Springe direkt zu Inhalt

Erster Test mit CRISPR-Gerste im Freiland in der Schweiz

Die Biologen Thomas Schmülling und Jan Erik Leuendorf von der Freien Universität haben einen Feldversuch mit Sommergerste gestartet

09.07.2024

Gemeinsam mit Agroscope werden die Gerstenpflanzen auf der „Protected Site“, einer speziell für solche Versuche ausgewiesenen Fläche, untersucht.

Gemeinsam mit Agroscope werden die Gerstenpflanzen auf der „Protected Site“, einer speziell für solche Versuche ausgewiesenen Fläche, untersucht.
Bildquelle: Agroscope

Im Fokus steht ein Gen, das zuvor mittels neuer Züchtungsverfahren in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben ausgeschaltet worden ist. Der Versuch auf den Feldern des Schweizer Partners Agroscope soll zeigen, ob so der Ertrag gesteigert werden kann.

Die Ertragsbildung von Nutzpflanzen ist komplex, und es sind viele verschiedene Gene daran beteiligt. Japanische Forscher haben bei Reis schon 2005 herausgefunden, dass die Mutation des CKX2-Gens einen unerwartet großen Effekt auf den Ertrag hat. Das CKX2-Gen ist an der Produktion von Cytokininoxidasen und Cytokinindehydrogenasen beteiligt. Diese sind wichtig beim Abbau des Pflanzenwachstumshormons Cytokinin. Cytokinine steuern Wachstumsprozesse wie die Blüten-, Samen- und Kornbildung.

Somit kann durch das Ausschalten bzw. Herunterregulieren des CKX2-Gens die Konzentration von Cytokininen erhöht und der Ertrag einer Pflanze gesteigert werden. Resultate von Arbeiten mit dem CKX2 Gen waren so überzeugend, dass sie heute in der Reiszüchtung angewandt werden.

Doch nicht nur das: Auch Gene, die mit CKX2 aus Reis verwandt sind – etwa bei Raps – spielen eine große Rolle bei der Ertragsbildung. Es liegt daher nahe, diesen Effekt auch in weiteren Nutzpflanzen zu untersuchen.

Pascale Haberey von der Schweizer Agroscope und Prof. Dr. Thomas Schmülling (links), Freie Universität Berlin, betrachten die Entwicklung der Gersteähren im Feldversuch.

Pascale Haberey von der Schweizer Agroscope und Prof. Dr. Thomas Schmülling (links), Freie Universität Berlin, betrachten die Entwicklung der Gersteähren im Feldversuch.
Bildquelle: Jan Erik Leuendorf

Forschende der Freien Universität Berlin haben festgestellt, dass auch Gerste zwei leicht unterschiedliche Kopien des CKX2-Gens besitzt. Gerstenlinien, bei denen sie in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe „Pflanzliche Reproduktionsbiologie“ des Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) beide Kopien des Gens ausschalteten, bildeten dann im Gewächshaus mehr Körner pro Ähre.

„Die Ergebnisse waren durchaus vielversprechend“, so Professor Thomas Schmülling, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Entwicklungsbiologie der Pflanzen an der Freien Universität Berlin. „Bei Merkmalen wie Ertrag ist es besonders wichtig, sie nicht nur im Gewächshaus, sondern vor allem unter Feldbedingungen zu untersuchen. Der Versuch zeigt exemplarisch, wie wichtig Feldversuche sind“, betont Susanne Brunner, promovierte Wissenschaftlerin bei Agroscope, dem Schweizer Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Fragen.

Der Feldversuch ist im März gestartet und soll drei Jahre dauern

Deshalb gehen die Berliner Wissenschaftler jetzt einen Schritt weiter. Gemeinsam mit Agroscope werden die Gerstenpflanzen auf der „Protected Site“, einer speziell für solche Versuche ausgewiesenen Fläche, untersucht. Der Feldversuch, der im März startete, soll drei Jahre dauern.

„Wir wollen wissen, ob die Pflanzen unter Feldbedingungen ebenfalls mehr Körner pro Ähre produzieren und daraus ein höherer Ertrag resultiert“, erläutert Thomas Schmülling. „Außerdem interessiert uns, ob es reicht, nur eine Gen-Kopie auszuschalten oder ob beide Kopien ausgeschaltet werden müssen“, erklärt der Berliner Wissenschaftler. Und natürlich untersucht das Forschungsteam, ob das Ausschalten des oder der Gene auch Auswirkungen auf weitere Eigenschaften der Pflanze hat.

Jochen Kumlehn und Robert Hoffie vom IPK hatten zuvor in Zusammenarbeit mit Jan Erik Leuendorf von der Freien Universität bei verschiedenen Gerstenpflanzen mit dem präzisen CRISPR/Cas9-Verfahren jeweils eine oder beide Kopien des CKX2-Gens ausgeschaltet. „Die CRISPR-Konstrukte sind die Grundlage für unseren Versuch“, erklärt Thomas Schmülling. „Die Freilandversuche mit CRISPR/Cas-Gerste sind eine erfolgreiche internationale Kooperation, die unter Beteiligung von mehreren Institutionen schnell und reibungslos erfolgte“, betont Susanne Brunner von Agroscope.

Die gesamte Vorbereitung des Versuchs hat fast fünf Jahre gedauert. Im vergangenen Jahr wurden dann zehn ausgewählte Linien im Gewächshaus vermehrt. Anschließend kamen die Samen – jeweils 25.000 bis 30.000 pro Linie – in die Schweiz. „Für den Versuch nutzen wir ein Areal, das so groß ist wie ein Fußballfeld“, sagt Versuchsleiter Thomas Schmülling.

Die alte Braugerstensorte „Golden Promise“ lässt sich vergleichsweise einfach genetisch verändern und wird deshalb häufig in der Forschung verwendet.

Die alte Braugerstensorte „Golden Promise“ lässt sich vergleichsweise einfach genetisch verändern und wird deshalb häufig in der Forschung verwendet.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Aus praktischen Gründen wird auf der Protected Site in Zürich-Reckenholz mit der alten Braugerstensorte „Golden Promise“ geforscht, die in der Schweiz nicht angebaut wird. Diese Sorte lässt sich vergleichsweise einfach genetisch verändern und wird deshalb häufig in der Forschung verwendet. Das gewonnene Wissen kann aber auch auf moderne Gerstensorten mit guten Erfolgsaussichten auch bei weiteren Getreidearten wie Weizen oder Dinkel angewendet werden.

Die Veränderungen könnten auch durch zufällige Mutationen entstehen

Im Unterschied zu den bisher auf der „Protected Site“ untersuchten Pflanzen enthalten die jetzigen Gerstenlinien kein fremdes Erbgut. Obwohl die durch CRISPR/Cas9 verursachten Veränderungen auch durch zufällige, natürliche Mutationen entstehen könnten, werden diese Gersten rechtlich in Europa als gentechnisch veränderte Pflanzen klassifiziert.

„CRISPR/Cas-Pflanzen gelten nach aktuellem Recht auch in der Schweiz als GVO und können entsprechend – auch wenn sie keine transgenen Elemente enthalten – nur unter sehr strengen Auflagen auf der „Protected Site“ freigesetzt werden“, erläutert Agroscope-Wissenschaftlerin Susanne Brunner. Daher musste der Versuch erst von den Schweizer Behörden genehmigt werden. Die Bewilligung erhielt Agroscope im Februar vom Schweizer Bundesamt für Umwelt.

Die Regulierung von Pflanzen aus neuen Züchtungsverfahren wie CRISPR/Cas9 wird derzeit in verschiedenen Ländern diskutiert. Nach der EU-Kommission hat sich kürzlich auch das EU-Parlament dafür ausgesprochen, gentechnisch veränderte Pflanzen, so wie sie auch zufällig in der Natur entstehen könnten, künftig weniger streng zu regulieren. Was noch fehlt ist aber die Zustimmung des Europäischen Rats. „Mit der ‚Protected Site‘ hatte die Schweiz jedoch schon ganz andere Möglichkeiten, als wir den Feldversuch geplant haben“, erklärt Thomas Schmülling die Standortwahl. „Damals waren wir in der EU noch nicht so weit, aber ich bin zuversichtlich, dass sich das in naher Zukunft ändern wird.“

Der Artikel ist zuerst im IPK Journal, dem Magazin des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, Ausgabe 1/2024, erschienen.