Emilia Roig über das Verhältnis von Antizionismus und Antisemitismus
22.07.2024
Die französische Politikwissenschaftlerin Emilia Roig hat an der Freien Universität Berlin einen Vortrag über die Frage: „Ist Antizionismus antisemitisch? Die Instrumentalisierung von Antisemitismus in aktuellen Debatten“ gehalten.
Argumentieren. Zuhören. Diskutieren: Der Vortrag von Emilia Roig war Teil einer Vortrags- und Veranstaltungsreihe zu Antisemitismus und anti-muslimischem Rassismus.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Die Veranstaltung mit knapp 350 Zuhörenden im Raum und 220 im Livestream war Teil einer Vortrags- und Diskussionsreihe über Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus. Die Veranstaltungsreihe ermöglicht es Studierenden, aktuelle Diskussionen nach dem Angriff der Hamas auf Israel und die israelische Reaktion im Gazastreifen besser zu verstehen.
Eine Videoaufzeichnung des Vortrags finden Sie auf dem YouTube-Kanal der Freien Universität Berlin.„Ich bin eine säkulare Jüdin, in Frankreich geboren und aufgewachsen. Meine Familie stammt aus Algerien, aber ich habe auch Wurzeln in Polen und Deutschland. Ich bin also sowohl aschkenasische als auch sephardische Jüdin, aber mehrheitlich sephardisch.“ Mit diesen Worten will Emilia Roig den Zuhörenden im Hörsaal A des Henry-Ford-Baus der Freien Universität Berlin gleich zu Beginn ihres englischsprachigen Vortrags mit dem Titel „Is anti-Zionism antisemitic? About the weaponization of antisemitism in current debates“ klarmachen, von welcher Position aus sie spricht.
An dem Vortrag hatte es im Vorfeld Kritik gegeben. Roig verbreite israelbezogenen Antisemitismus, hieß es etwa. Mit Blick auf die Vorwürfe sagte Roig: „Ich wurde als Hamas-Unterstützerin beschimpft, als Terroristin und Antisemitin. Es hieß, ich sollte nicht an der Freien Universität Berlin sprechen dürfen. Ich möchte nur sagen: Ich lasse mich nicht zum Schweigen bringen, nicht als jüdische Person, nicht hier in Deutschland.“ Für diese Worte erhielt Roig Standing Ovations vieler Zuhörenden. Professorin Gudrun Krämer vom Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität, die Roigs Vortrag angekündigt hat, wird im Anschluss sagen: „Es ist gut, dass diese Vortragsreihe fortgesetzt wird, dass die Diskussion fortgesetzt wird, in angemessener Form. Wir werden keine Cancel Culture haben an der Freien Universität Berlin. Wir werden kein Silencing haben, sondern mutige Stimmen, die sprechen, gehört werden und denen applaudiert wird.“
Die emeritierte Professorin Gudrun Krämer vom Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität begrüßte das Publikum, stellte die Referentin vor und führte ins Thema ein.
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In ihrem Vortrag hatte Roig zuvor argumentiert, dass Antizionismus nicht mit Antisemitismus gleichgesetzt werden dürfe. Der Zionismus sei lediglich ein Teil einer über 4000-jährigen jüdischen Geschichte, die sich durch Vielfalt auszeichne. Zu dieser Vielfalt gehörten viele –auch bekannte – Juden, die den Zionismus abgelehnt haben oder ablehnen. Diese würden von Zionisten und ihren Unterstützern inzwischen als Selbsthasser gebrandmarkt. Roig warnte davor, den Eindruck zu erwecken, alle Juden seien Zionisten. Die zutiefst antisemitischen Angriffe auf Synagogen als Reaktion auf israelisches Militärvorgehen seien ein mögliches Ergebnis der Gleichsetzung von Judaismus und Zionismus. Auch dürften Juden nicht nach deren Haltung zum Staat Israel in „gute“ und „schlechte“ Juden eingeteilt werden. Diese reduktionistische Binärität käme heutzutage in deutschen Diskursen sehr häufig vor und gehöre zu den Hauptmerkmalen von Antisemitismus.
Den Zionismus kritisierte Roig in der Folge scharf. Unter anderem sagte sie, Zionisten hätten wie Kolonialisten behauptet, das zur Besiedelung auserkorene Land sei Niemandsland (terra nullius). Zu Vorwürfen, Antizionisten stritten das Existenzrecht Israels ab, sagte sie in der Diskussion nach ihrem Vortrag, bei der Zuschauende online und im Saal Fragen stellen konnten: „War die Gründung Israels eine gute Idee? Nein. War die Gründung der USA eine gute Idee? Auch das nicht. Sollen die USA und Israel deshalb ausgelöscht werden? Absolut nicht.“ Ziel müsse vielmehr der Aufbau einer egalitären Gesellschaft für alle, frei von Unterdrückung, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen sein. Klar sei: „Israel kann keinen Frieden finden, solange Palästinenser unterdrückt werden.“
Emilia Roig warnte davor, Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen.
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Den Rechtsruck in Israel deutete Roig im Anschluss an den jüdischen Antizionisten Henryk Ehrlich als Folge der Gründung des Staates Israel zulasten der Palästinenser. Ehrlich wurde als designiertes Mitglied der polnischen Exilregierung am 15. Mai 1942 auf Befehl des sowjetischen Diktators Josef Stalin ermordet. Die Gründung Israels erlebte er nicht mehr, Roig zitierte seine – wie sie es ausdrückte – „prophetischen Worte“: „Wenn ein jüdischer Staat in Palästina gegründet würde, wird sein geistiges Klima bestimmt sein durch ewige Furcht vor dem äußeren Feind, die Araber, von unendlichem Kampf um jeden Flecken Land und jeden Wortfetzen gegen den inneren Feind, die Araber, und von unermüdlichem Kampf zur Auslöschung der Sprache und Kultur der nicht hebräischen Juden Palästinas.“ Und weiter: „Ist das die Art von Klima, in dem Freiheit, Demokratie und Fortschritt florieren? Ist das nicht die Art von Klima, in der sich reaktionärer Chauvinismus ausbreitet?“ Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen, trage deshalb weder zum Frieden in Palästina noch zum Kampf gegen Antisemitismus bei, so Roig.
Weitere Informationen
Der Vortrag von Emilia Roig ist Teil einer von der Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung veranstalteten Vortrags- und Veranstaltungsreihe. In Zusammenarbeit mit Personen, die von den Auswirkungen des Krieges in Israel/Gaza hier auf dem Campus betroffen sind, wurde eine Reihe konzipiert, die unterschiedliche Positionen zu Wort kommen lässt, darunter Meron Mendel und Saba Nur-Cheema sowie Klaus Holz. Die Vorträge können online nachgehört werden.
- Artikel über den wissenschaftlicher Debattenraum Naher und Mittlerer Osten an der Freien Universität
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- Vergangene Veranstaltungen im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus