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„Tunesien ist einer von vielen Nebenschauplätzen des Krieges“

campus.leben-Reihe: Wie haben sich Forschung und Lehre seit dem 7. Oktober 2023 verändert? / Politikwissenschaftlerin Mariam Salehi

04.10.2024

Die Politikwissenschaftlerin Dr. Mariam Salehi von der Freien Universität Berlin.

Die Politikwissenschaftlerin Dr. Mariam Salehi von der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Privat

Am 7. Oktober 2024 jährt sich der Terrorangriff der Hamas auf Israel. Wir haben Wissenschaftler*innen der Freien Universität Berlin aus Bereichen, die zur Region und zum Konflikt Naher und Mittlerer Osten lehren und forschen, gefragt: Wie blicken sie aus ihrer wissenschaftlichen Perspektive auf die Situation im Nahen und Mittleren Osten?

Ein Beitrag der Politikwissenschaftlerin Mariam Salehi

Von Ende Oktober bis Ende November 2023 war ich auf Feldforschung in Tunesien – ich arbeite seit mehr als zehn Jahren zur Aufarbeitung von Konflikt und Gewaltherrschaft in Tunesien. Das Land liegt gut 2300 Kilometer Luftlinie von Israel und Gaza entfernt. Doch auch dort spielt der Krieg trotz der geografischen Entfernung eine Rolle. Für mich als Forschende machte sich dies nicht nur durch die öffentlichen Demonstrationen der Solidarität mit den Menschen in den palästinensischen Gebieten bemerkbar. Dies ist wenig überraschend, so war doch das Hauptquartier der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in den 1980er Jahren südlich von Tunis angesiedelt und wurde 1985 Ziel eines Angriffs der israelischen Luftwaffe. Vielmehr wurde ich sehr häufig mit Unverständnis und Enttäuschung über die deutsche Außenpolitik konfrontiert.

Meine Interviewpartner*innen aus der progressiven tunesischen Zivilgesellschaft haben seit der Revolution 2010/2011 oft jahrelang mit deutschen außenpolitischen Akteuren zusammengearbeitet, zum Beispiel mit politischen Stiftungen. Nun fühlten sie sich im Stich gelassen oder unter Generalverdacht gestellt. Insbesondere spiele eine Politik, so war ein Argument, die zum einen den Krieg als notwendig hinnimmt und zum anderen keine Rücksicht auf langjährige Partner zu nehmen scheint, der Re-Autokratisierung im Land in die Hände. Ein Menschenrechtsaktivist erklärte mir, wie schwer es ihm falle, sich in seiner Arbeit weiterhin für Menschenrechte und internationale Zusammenarbeit mit westlichen Staaten einzusetzen, wenn „arabische Leben“ für diese offensichtlich unwichtig seien. Tunesien ist also einer von vielen Nebenschauplätzen, in dem der Krieg direkt rezipiert wird und indirekte Folgen hat.

Über die Autorin
Dr. Mariam Salehi ist Politikwissenschaftlerin, Konfliktforscherin und Gruppenleiterin „Transnationale Konflikte“ am Zentrum für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung.

Weitere Informationen

Alle Beiträge der campus.leben-Reihe „Wie haben sich Forschung und Lehre seit dem 7. Oktober verändert?“ finden Sie auf der Schwerpunktseite Naher und Mittlerer Osten.