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„Ostdeutschland ist in manchen politischen Entwicklungen weiter“

Nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg: Sabine Kropp, Leiterin des Arbeitsbereichs „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland“ am Otto-Suhr-Institut, im Interview

04.10.2024

Ostdeutschland wählt stärker situationsbezogen. Politologin Sabine Kropp forscht zu den Gründen.

Ostdeutschland wählt stärker situationsbezogen. Politologin Sabine Kropp forscht zu den Gründen.
Bildquelle: die KLEINERT / Martin Erl

Frau Professorin Kropp, Sie haben sich vor den Wahlen in Ostdeutschland damit beschäftigt, welche Folgen ein sehr starkes Abschneiden der AfD haben könnte. Welche Bilanz ziehen Sie?

Wenn ich die Ergebnisse in einem längeren Trend verorte, würde ich sagen, dass Deutschland hier eine Entwicklung nachvollzieht, die in einigen mittelosteuropäischen Ländern schon weiter vorangeschritten ist: Die Zerklüftung des Parteiensystems nimmt zu. Das führt dazu – wie jetzt in allen drei Bundesländern zu sehen –, dass Parteien nicht mehr mit ideologisch benachbarten Parteien eine Regierung bilden können. Es muss vielmehr Regierungen geben, in denen ein breites Spektrum von Positionen abgedeckt wird, was das Regieren mittel- und langfristig schwieriger werden lässt.

Was an dieser Entwicklung ist spezifisch ostdeutsch? Oder gilt das für ganz Deutschland?

In Ostdeutschland ist die Parteibindung weniger eng als in Westdeutschland. Das liegt auch daran, dass Vorfeldorganisationen wie Vereine, Kirchen oder Gewerkschaften gesellschaftlich schwächer verankert sind und damit weniger zur Sozialisation in die Parteien beitragen. Diese Integrationsleistung schwächt sich allerdings auch in Westdeutschland ab. Eine Folge ist, dass Ostdeutsche in der Regel stärker situationsbezogen wählen, es gibt mehr Wechselwähler und dadurch auch mehr Menschen, die neuen Mitbewerbern im Parteienspektrum wie dem Bündnis Sahra Wagenknecht ihre Stimme geben.

Eine Koalition aus so unterschiedlichen Parteien wie CDU und BSW hatte noch bis vor wenigen Monaten niemand auf dem Schirm. Aber vielleicht liegen die beiden auf Landesebene gar nicht so weit auseinander?

Ja, CDU und BSW positionieren sich in gesellschaftspolitischen Fragen in einigen Punkten durchaus ähnlich, etwa in der Migrationspolitik, der Identitätspolitik, also Fragen des Genderns und dergleichen, aber auch in der Bildungspolitik. In der Wirtschaftspolitik strebt das BSW auf Landesebene Forderungen an, über die die CDU sicher reden kann; aber wenn man außenpolitische Positionen oder das Wahlprogramm des BSW für die Europawahl betrachtet, liegen beide Parteien doch sehr weit auseinander: Dort ist die Rede von der Entflechtung von Konzernen, das Programm ist ein europaskeptisches, antiglobalistisches Manifest. Von der Westbindung der Bundesrepublik und generell außenpolitischen Positionen ganz zu schweigen.

Sie haben angedeutet, dass Ostdeutschland in mancher Hinsicht gerade Entwicklungen vorwegnimmt, die auch in Westdeutschland folgen könnten.

Deutschland war in den vergangenen Jahren in Bezug auf manche politischen Entwicklungen gegenüber dem europäischen Umfeld eher ein Nachzügler. Ich denke etwa an Frankreich und Emmanuel Macron, der ähnlich wie das BSW versucht hat, eine Bewegung ganz auf seine eigene Person zuzuschneiden. Solche Personalisierungen sehen wir vermehrt auch in anderen Ländern. 

Sabine Kropp ist Professorin für Politikwissenschaft an der Freien Universität

Sabine Kropp ist Professorin für Politikwissenschaft an der Freien Universität
Bildquelle: privat

Wie groß wird der Einfluss der AfD in den Landtagen sein? Ist man dort mit einem blauen Auge davongekommen?

In Thüringen und Brandenburg hat die AfD die Sperrminorität von einem Drittel der Mandate überschritten. Das bedeutet, dass die AfD nicht nur bei der Wahl der Verfassungsrichter mitredet, sondern auch im Richterwahlausschuss sitzen wird. Wenn man sich dort nicht einigt, könnte die Wahl von Richtern blockiert werden.

Die Sperrminorität bedeutet aus rechtlicher Sicht ferner, dass man keine Verfassungsänderung mehr ohne die Partei machen kann, auch eine Auflösung des Landtages ist ohne sie nicht möglich. Politisch wird ihr Einfluss davon abhängen, wie die anderen Parteien auftreten, etwa bei der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen: Wenn Mario Voigt von der CDU keine Mehrheit zustande bekommt, dann könnte die AfD ihm im zweiten Wahlgang zu einer Mehrheit verhelfen, zumal der Ministerpräsident mit verdeckten Stimmzetteln gewählt wird.

Die Befürchtung, dass die AfD das ihr zustehende Amt des Alterspräsidenten in der konstituierenden Sitzung des Landtags nutzen könnte, um das Ansehen des Parlaments zu beschädigen, ist jedenfalls eingetreten.

Der Soziologe Klaus Dörre hat die Wahlen in Ostdeutschland so interpretiert, dass dort auch gegen die Transformation der Wirtschaft abgestimmt wurde: gegen E-Mobilität und Wärmewende, für den Verbrennermotor. Wie sehen Sie das?

In den ostdeutschen Bundesländern, gerade in Thüringen mit einer starken ländlichen Struktur und wenigen Ballungsräumen, erkennt man zum Beispiel eine starke Ablehnung der Energiewende. Die Menschen sind auf das Auto angewiesen, der öffentliche Nahverkehr ist nicht ausgebaut, ganz allgemein hat sich der Staat in den Augen der Menschen aus der Fläche teilweise zurückgezogen. Das sogenannte Heizungsgesetz, das ja zunächst als Belastung ohne soziale Abfederung erschien, hat da eine große Verunsicherung bewirkt. Wenn man sich überlegt, dass in einem Landkreis wie Sonneberg, wo inzwischen ein AfD-Landrat gewählt ist, das durchschnittliche Brutto-Jahreseinkommen bei rund 29.000 Euro liegt, sind diese Befürchtungen und die damit verbundene Ablehnung einer ökologischen Transformation durchaus nachvollziehbar.

Die Fragen stellte Pepe Egger.