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„Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zerrt an den Fundamenten der Nation“

Christian Lammert, Professor für Politische Systeme Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut

04.10.2024

Christian Lammert, Professor für Politische Systeme Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut

Christian Lammert, Professor für Politische Systeme Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut
Bildquelle: Kerstin Petermann

Die USA, einst Beispiel für Freiheit und Demokratie, stehen heute am Abgrund ihrer eigenen Realität. Der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 hat eine tiefe Wunde bei einer Nation aufgerissen, die sich in ihrem Selbstverständnis sucht. Die politisch zerklüftete Landschaft, in der Einheit längst einer tiefen Spaltung gewichen ist, blieb auch unter Präsident Joe Biden eine Baustelle. Seine Versuche, den gesellschaftlichen Riss zu kitten, schienen wie der Versuch, Wasser mit bloßen Händen zu halten.

Biden, der als Heiler ins Weiße Haus gewählt wurde, sah sich mit einer schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert. Seine Initiativen, von massiven Konjunkturpaketen bis hin zum Infrastrukturgesetz, waren ambitioniert, doch sie prallten auf eine von Ungleichheit und Rassismus durchzogene Gesellschaft. Die sozialen und wirtschaftlichen Schatten, die den Aufstieg des Populismus unter Präsident Donald Trump befeuerten, haben sich nicht verzogen – ganz im Gegenteil.

Während die Bürger zunehmend Vertrauen in die Politik verlieren, stellt sich die Frage nach dem american dream. Soziale Mobilität, einst Stolz und Motor der US-Gesellschaft, hat ihren Schwung verloren. Heute ist der Traum des Aufstiegsversprechens dem existenziellen Überleben gewichen. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zerrt an den Fundamenten einer Nation, die einst die Mittelschicht als Herzstück ihrer Identität pries.

Die USA taumeln am Scheideweg. Zwischen dem schwindenden Glanz ihrer Ideale und der Realität der Gegenwart steht eine Demokratie, die um ihre Zukunft kämpft. Ob sie diesen Kampf gewinnen kann, bleibt offen.