„Trump ist nur ein Brandbeschleuniger“
Prof. Dr. Thomas Risse, Arbeitsstelle Transnationale Beziehungen, Außen- und Sicherheitspolitik, Otto-Suhr Institut für Politikwissenschaft
24.10.2024
Prof. Dr. Thomas Risse, Arbeitsstelle Transnationale Beziehungen, Außen- und Sicherheitspolitik, Otto-Suhr Institut für Politikwissenschaft, Seniorprofessor am Exzellenz-Cluster „Contestations of the Liberal Script (SCRIPTS)
Bildquelle: Katy Otto
In der Aufregung um Donald Trump wird übersehen, dass er ein Brandbeschleuniger der gesellschaftlichen Spaltung der USA ist, aber nicht die Ursache. Zwar sind die politischen Einstellungen der US-Bevölkerung zu Wirtschaft, Klimaschutz, Gesundheitspolitik etc. im Durchschnitt ähnlich moderat wie diejenigen in den meisten hochindustrialisierten Demokratien. Das Freund-Feind-Lagerdenken, die sogenannte affektive Polarisierung, bei den parteipolitischen Orientierungen – Republikaner versus Demokraten – überschattet aber alles andere. Es hat tiefgreifende Auswirkungen auf den US-amerikanischen Alltag und das gesellschaftliche Leben: von der Wahl von Freunden und Partnern bis zur Entscheidung, wo man in welchem Bundesstaat leben will. Das bedeutet, dass die konstitutiven Grundlagen einer liberalen De-mokratie zur Disposition stehen, zum Beispiel der friedliche Machtwechsel nach demokratischen Wahlen.
Die Polarisierung der US-Gesellschaft hat vielfältige Ursachen, aber zwei Gründe sind besonders hervorzuheben: Zum einen ist die Angst vor sozioökonomischem Statusverlust in der US-amerikanischen Mittelschicht größer als in vielen anderen westlichen Gesellschaften. Zum anderen wird die politische Konfliktlinie zwischen „links“ und „rechts“ zunehmend überla-gert von einer kulturellen Konfliktlinie zwischen kosmopolitisch-toleranten Einstellungen einerseits und autoritär-nationalistischen Haltungen andererseits. Die diversen „Kulturkämpfe“ in der US-amerikanischen Gesellschaft etwa um Abtreibung und LGBTQI+-Rechte sind Folge dieser Konfliktlinie. Hinzu kommt drittens ein politisches System der „checks und balances“, das mit Polarisierung nicht umgehen kann, sondern sie sogar noch verstärkt.
Wer auch immer die Präsidentschaftswahlen gewinnt, wird an dieser Polarisierung nichts ändern. Die US-amerikanische Demokratie bleibt gefährdet.
Wer weiterlesen möchte: Tanja Börzel et al. (Hrsg.), Polarization and Deep Contestations: The Liberal Script in the United States, Oxford: Oxford University Press 2024, kostenlos erhältlich (open access) unter: https://academic.oup.com/book/58012