Wie viel CO2 verursacht die eigene Forschung?
Physiker wollen das Bewusstsein dafür schärfen, dass auch Forschung nicht klimaneutral ist
27.11.2024
Blick in die Experimentierhalle von BESSY II, einem der beiden Berliner Elektronenspeicherringe.
Bildquelle: Silvia Steinbach
In der Arbeitsgruppe „Quantenrechnen und -simulation“ von Professor Jens Eisert schicken Forschende der theoretischen Physik täglich Rechenaufträge an Großcomputer, die rund um die Uhr komplexe Berechnungen anstellen. Das kostet viel Strom. Marcel Goihl, der bei Jens Eisert promoviert wurde, fragte sich irgendwann, wie hoch die Kohlendioxid-Emissionen seiner eigenen Doktorarbeit wohl wären. Er fing an zu rechnen und kam auf rund elf Tonnen. Noch einmal genau so viel, wie jeder Mensch pro Jahr ohnehin emittiert. Und das allein für die Rechnerleistung – Flüge zu Tagungen und Konferenzen waren noch gar nicht einkalkuliert.
Ließen sich Emissionswerte nicht auch für einzelne wissenschaftliche Publikationen berechnen und jenen, der Transparenz halber, hinzufügen? Diesen Gedanken verfolgte 2021 das ganze Team, als es einen Artikel für „Communications Physics“ schrieb, ein Journal der renommierten Nature-Gruppe.
Nun wurde ein kleines Extraprojekt daraus: Eine neu geschriebene Software erstellt eine Tabelle, die zeigt, wie viel Treibhausgase die Arbeit erzeugt hat. „Es war dann ein ziemlicher Kampf, diese Tabelle in der Veröffentlichung unterzubringen“, erinnert sich Goihl. „Nicht, weil die Zeitschrift das nicht begrüßte, sondern weil es schlicht den Formatvorgaben widersprach.“ Inhaltlich hatte es nichts mit der Forschungsarbeit zu tun, und ganz am Ende, bei den Danksagungen, passte es auch nicht. Schließlich landete die Tabelle im Anhang.
Mit Reisen verbundene Tagungen sind Löwenanteil
Das Team war überrascht, wie hoch die Emissionen allein dieser einen Arbeit gewesen waren – 3,878 Tonnen CO2. Drastischer noch: Nur gut eine Tonne davon hatten die numerischen Simulationen erzeugt. Den Löwenanteil emittierten die Forschenden selbst – bei Flügen zu Tagungen und Forschungstreffen.
Diese „Trefferitis“, wie Jens Eisert es nennt, ärgert ihn. „Ich war einmal auf einer Konferenz auf der Karibikinsel Aruba, für die sich im Wesentlichen Leute aus Amsterdam und Berlin getroffen haben. Das muss nicht sein.“ Häufig würden kurz hintereinander mehrere Konferenzen an unterschiedlichen Orten der Welt abgehalten, an denen mehr oder weniger dieselben Personen teilnehmen, ist Marcel Goihls Erfahrung. „Wir haben deshalb vorgeschlagen, Konferenzen zu bündeln, zu verlängern und an zentralen Orten abzuhalten, die reisetechnisch Sinn ergeben.“
Die Corona-Pandemie hat zudem gezeigt, dass vor allem kürzere Dienstreisen verzichtbar sind, weil man sich mit wenigen Teilnehmenden ebenso gut im virtuellen Raum vom eigenen Büro aus austauschen kann. Das spart Zeit und bereitet meist weniger Stress.
Nun ist, emissionstechnisch gesehen, theoretische Physik in den Naturwissenschaften ein simpler Fall: Großrechner, Tafelkreide und Konferenzen – das war’s. Weniger leicht dürfte es beispielsweise in den Fächern Chemie, Pharmazie oder Medizin sein, für die neben vielfältigem Verbrauchsmaterial fürs Labor diverse Chemikalien und Lösungsmittel erzeugt und entsorgt werden müssen. „Da ist es schwieriger, akkurate Abschätzungen anzustellen, aber ich denke, dass es auch dort funktionieren kann“, meint Eisert. „Wenn man konservative untere Schranken findet und herausbekommt, wie groß der Fußabdruck mindestens ist, ist doch auch schon etwas gewonnen.“
Energiehungrig: CERN in Genf, in Berlin BESSSY I und II
Großforschungseinrichtungen – wie der europäische Teilchenbeschleuniger CERN in Genf oder beide Berliner Elektronenspeicherringe BESSSY I und II – sind extreme Energiefresser und damit regelrechte „CO2-Schleudern“. Mal ganz abgesehen von den Emissionen des Baumaterials, das für die Erstellung der riesigen Anlagen benötigt wird. „Andererseits werden diese Einrichtungen von sehr vielen Forschungsgruppen genutzt, sodass man die Emissionen auf diese umlegen müsste“, sagt Marcel Goihl.
Inzwischen gibt es die Webseite scientific-conduct.github.io, über die sich CO2-Emissionen berechnen lassen. Sie führt Schritt für Schritt durch den Prozess und liefert nach nicht einmal einer Stunde den Wert.
Was wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Plattform erreichen? „Wir wollen Forschende in anderen Feldern einladen, ähnliche Dinge zu betreiben“, sagt Jens Eisert.
Einsparpotenziale erkennen
Zwar werde Wissenschaft ganz ohne Emissionen nie auskommen. „Man sollte da keine radikale Position einnehmen, aber sich klarmachen, wie hoch der eigene Beitrag ist, und das bei der Arbeit im Blick haben“, betont Eisert. So lassen sich Einsparpotenziale erkennen und nutzen. Privat achteten die meisten inzwischen auf Energieeinsparung und Nachhaltigkeit, da funktioniere es ja auch.
Einige von Eiserts Fachkollegen deklarieren bereits den CO2-Fußabdruck ihrer Forschung. Es könnten gern deutlich mehr sein, meint Eisert. Alle, die mitmachen möchten, können sich über die Webseite informieren. Die Initiatoren freuen sich, wenn ihre Initiative bei Publikationen zitiert wird.