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Corona-Pandemie: fünf Jahre danach

Wie schauen Forschende der Freien Universität Berlin rückblickend auf die Zeit? Antworten aus verschiedenen Disziplinen

19.02.2025

Studieren in Zeiten von Corona: Um Ansteckungen zu vermeiden, waren Arbeitsplätze in den Bibliotheken mit Flatterband gesperrt.

Studieren in Zeiten von Corona: Um Ansteckungen zu vermeiden, waren Arbeitsplätze in den Bibliotheken mit Flatterband gesperrt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Vor fünf Jahren und zehn Tagen, am 11. Februar 2020, erhielt eine neuartige Atemwegserkrankung durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Namen: Covid-19; das ursächliche Virus hieß Sars-CoV-2. Einen Monat später stufte die WHO die weltweite Ausbreitung des Virus als Pandemie ein. Die Krankheit hatte Deutschland Ende Januar 2020 erreicht, in Berlin wurde die erste Infektion am 1. März bestätigt. Schulen und Clubs schlossen in Berlin am 17. März, alle Geschäfte bis auf wenige und Lebensmittelläden am 23. März. Das öffentliche Leben kam mit Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen weitgehend zum Erliegen. 

Die Menschen mussten sich in einem neuen Alltag einrichten, mit kleinem Radius, kaum Kontakt zu Familie und Freunden, alles musste zu Hause stattfinden: Wohnen, Arbeiten, Lernen. Es galt, neue Indikatoren und Modelle zu verstehen: etwa, wie hohe Inzidenzraten immer wieder von weit höheren übertroffen wurden und was exponentielles Wachstum bedeutet. Die Pflicht, an öffentlichen Orten eine Atemschutzmaske zu tragen, war umstritten; die spätere Diskussion über eine Pflicht zur Schutzimpfung spaltete die Gesellschaft. Welche Freiheiten darf der Staat warum einschränken? Gesellschaftlich und politisch ist die Corona-Krise bisher nicht aufgearbeitet.

Die Freie Universität musste wie alle anderen Hochschulen den Betrieb binnen kürzester Zeit auf digitale Lehrveranstaltungen und Arbeiten im Homeoffice umstellen. Es gelang – und doch war es eine extreme Zeit, gerade für Studierende jüngeren Semesters. Einige Forschungsarbeiten konnten nicht fortgeführt werden, andere entstanden rund um Impfstoffe oder wirksame Masken.

Sechs Forschende blicken von ihrem Fach aus auf die Pandemie – es ist der Auftakt zu einer kleinen Serie, die anknüpft an eine Reihe mit wissenschaftlichen Beiträgen aus den Anfangsmonaten der Pandemie und in der neue und fortgeführte natur- und sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte zu Corona vorgestellt 

Lehre aus der Pandemie: Mehr Kommunikations- Expertise in der Ständigen Impfkommission

Christoph Neuberger ist Professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaft

Christoph Neuberger ist Professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaft
Bildquelle: Weizenbaum-Institut/Kay-Herschelmann

Der erste Lockdown im März 2020 war ein Schock. Es dauerte eine Weile, bis sich alle – auch Politik, Medien und Wissenschaft – in der neuen Pandemie-Situation zurechtgefunden hatten. Um Leben zu schützen, wurden Grundrechte eingeschränkt. Dabei musste schnell entschieden werden, möglichst auf Basis des aktuellen, stets nur vorläufigen Wissensstands. Das war eine große Herausforderung, die nicht fehlerfrei bewältigt wurde. Bald kam laute Kritik auf. Dabei verwischten oft die Grenzen zwischen berechtigtem Zweifel an politischen Entscheidungen, Hilferufen der schwer betroffenen Bevölkerungsgruppen, esoterischem Schwurbeln und politischem Extremismus, der die Proteste vereinnahmen wollte. 

Desinformation und Verschwörungsmythen waren Teil einer Gegen-Wissensordnung, die sich vor allem in den sozialen Medien bildete, eigene Autoritäten hervorbrachte und sich teilweise den Anstrich einer „besseren“ Wissenschaft gab. Versagen wurde auch den Journalistinnen und Journalisten von Presse und Rundfunk vorgeworfen. 

Später ließ sich inhaltsanalytisch nachweisen, dass sie keineswegs so einstimmig und regierungsnah kommentiert hatten, wie oft behauptet wurde. Auch das Vertrauen in die Wissenschaft und die Medien wurde nicht untergraben. Befragungen belegen, aufs Ganze gesehen, steigende Vertrauenswerte während der Corona-Zeit. Allerdings hat die Pandemie dazu beigetragen, dass sich die Öffentlichkeit weiter polarisiert hat. Zu den langfristigen Wirkungen gehören sicher die aktuellen Wahlerfolge der Rechten. Überzeugende Kommunikation ist daher wichtig, wenn es um Gesundheitsmaßnahmen wie Maskentragen und Impfen geht. Heute ist eine Kommunikationswissenschaftlerin Mitglied der Ständigen Impfkommission des Robert Koch-Instituts – als Lehre aus der Pandemie.

Überlastete Eltern, psychisch angegriffene Kinder und Jugendliche: Wie kann Unterstützung aussehen?

Claudia Calvano ist Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und -psychotherapie.

Claudia Calvano ist Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und -psychotherapie.
Bildquelle: Joscha Kirchknopf 

Eine Vielzahl an Studien konnte aufzeigen, dass vor allem Familien während der Covid-19-Pandemie belastet waren. Es lohnt jedoch eine differenzierte Betrachtung hinsichtlich des Zeitpunkts der Befragung.

Im August 2020, ein halbes Jahr nach Beginn der Pandemie, ergab eine für Deutschland repräsentative Stichprobe von Eltern, dass insbesondere die Social-Distancing-Maßnahmen sowie Schul- und Kitaschließungen eine hohe Belastung darstellten.

Im Dezember 2021, als sich ein erneuter Lockdown anbahnte, galt die größte Sorge der ungeklärten Dauer der Pandemie und der psychischen Gesundheit von Angehörigen. Insgesamt gesehen berichteten Eltern im Dezember 2021, fast zwei Jahre nach Pandemiebeginn, über eine deutlich höhere Gesamtbelastung, das Thema der psychischen Gesundheit von Eltern und insbesondere von Kindern wurde zunehmend wichtiger.

Diese Ergebnisse bilden dringende Handlungsfelder ab, um Unterstützungsmaßnahmen vor allem im Bereich der familiären und elterlichen Belastung und im Bereich der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen umzusetzen – zum Schutz in Zeiten globaler Krisen.

Ungeahnte Kräfte in der Virologie: Wissen über das unbekannte Virus und neue Impfstoffe

Benedikt Kaufer ist Professor für virale Integration, Tumorigenese und Virus-Evolution.

Benedikt Kaufer ist Professor für virale Integration, Tumorigenese und Virus-Evolution.
Bildquelle: Kia Malik

Die Corona-Zeit war eine große Belastung für die Gesellschaft. Solch eine bedrohliche medizinische Situation hat in der Neuzeit wohl noch niemand erlebt. Für meine Frau, unsere drei Kinder und mich war die Pandemie anstrengend und spannend zugleich, denn wir hatten neben der umfangreichen Forschungsarbeit in der Virologie den ungewohnten Dreiklang aus Homeschooling, Home-Kita und Home-cooking zu bewältigen. Allerdings hat die Pandemie in der Wissenschaft und insbesondere in der Virologie ungeahnte Kräfte freigesetzt; wir haben schneller denn je Wissen über ein neuartiges Virus akquiriert und gelernt, was bei der Entwicklung von Corona-Impfstoffen geht – und was nicht.

Es war einzigartig, dass Forschende weltweit in mehr als 200 Laboren binnen kurzer Zeit unterschiedliche Impfstoffe generieren, testen und sich wechselseitig beflügeln konnten. Nur durch diese internationale Kraftanstrengung gelang es, die letztlich für die Bekämpfung der Pandemie erfolgreichen, sehr wirksamen mRNA-Wirkstoffe zu entwickeln. Diese Vakzin-Plattform kann sogar über die Pandemie hinaus eine wichtige Rolle spielen und entscheidend sein für die Entwicklung von Impfstoffen in der Krebstherapie.

Gemeinsam mit meinem Kollegen Jakob Trimpert haben wir am Institut für Virologie während der Pandemie einen Spray-Impfstoff entwickelt und patentieren lassen, der dort appliziert werden kann, wo Pathogene angreifen: in der Nasenschleimhaut. So schwer die Pandemie die Menschheit auch getroffen hat, in der Virologie und Medizin haben wir vieles dazugelernt: Wir verstehen besser, wie dieser Gegner – das Corona-Virus – aussieht, wie wir ihn bekämpfen und abwehren können. Ich habe die Hoffnung, dass global gesehen das Verständnis und Know-how für den Umgang mit einer Pandemie gewachsen ist und die Gesellschaft bei Bedarf darauf zurückgreifen kann.

Dynamiken der Ungleichheit: Soziale Unterschiede verschärften sich massiv

Hansjörg Dilger ist Professor für Sozial- und Kulturanthropologie

Hansjörg Dilger ist Professor für Sozial- und Kulturanthropologie
Bildquelle: FU Berlin

Als Covid-19 Anfang 2020 in der Öffentlichkeit auftauchte, wurde schnell deutlich, dass das Risiko einer Ansteckung mit dem Virus sehr ungleich verteilt ist. Auch hinsichtlich der Auswirkung von Erkrankungen verschärften sich soziale Unterschiede massiv: innerhalb der Gesellschaft mit Blick auf Alter, Geschlecht, sozialen Status oder Vorerkrankungen. Global waren Gesundheitssysteme unterschiedlich widerstandsfähig, hatten ungleiche Ressourcen zur Etablierung von Präventions- und Unterstützungsprogramme und verfügten zu unterschiedlichen Zeitpunkten über Impfstoffe.

Dynamiken von Ungleichheit in Verbindung mit der Pandemie verschränkten sich rasch mit den tiefgreifenden Einschnitten der Pandemiebekämpfung in individuelle Lebenssituationen. Zusammen mit den Folgen anderer Krisen – Kriege, Klimawandel und Spannungen im Kontext von Migration und Flucht – verstärkten diese Maßnahmen nicht zuletzt in den Gesellschaften des ‚Globalen Nordens‘ Verlusterfahrungen und Ängste vor einer ungewissen Zukunft. Bis heute gibt es in Deutschland kein politisch verankertes Forum, das sich mit den vielschichtigen Folgen im Zusammenhang mit Covid-19 auseinandersetzt – oder damit, wie in einer zukünftigen Pandemie besser gehandelt werden kann.

Forschende der Sozial- und Kulturanthropologie befassen sich mit all diesen Phänomenen. Sie untersuchen die langfristigen Auswirkungen, die das Ineinandergreifen von gesundheitlichen und anderen Krisen und Ungleichheiten im Leben von Menschen hinterlässt: psychisch, körperlich, sozial und politisch. Die Erforschung all dieser Prozesse in internationalen Partnerschaften ist dabei zentral, um Grundlagen für gleichberechtigte Kooperationen bei zukünftigen Herausforderungen der globalen Gesundheit zu schaffen.

Freiheit als soziale Beziehung: Zur Balance zwischen Grundrechtseinschränkungen und individueller Freiheit

Dorothea Gädeke ist Professorin für Politische Theorie und Rechtstheorie.

Dorothea Gädeke ist Professorin für Politische Theorie und Rechtstheorie.
Bildquelle: Ed van Rijswijk, Utrecht Young Academy

Die Covid-19-Pandemie war nicht nur eine globale Gesundheitskrise. Sie war auch eine Krise der Freiheit. Lockdown, Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen – niemals zuvor in Friedenszeiten wurden Grundrechte in der Bundesrepublik derart eingeschränkt. Schnell wurden Rufe nach Freiheit laut; der Bundesregierung wurde vorgeworfen, eine „Corona-Diktatur“ zu errichten. Damit ließ die Pandemie wie in einem Brennglas die Probleme eines verkürzten liberalen Verständnisses von Freiheit erkennen.

Individuelle Freiheit besteht demnach darin, sich selbst zu entfalten, losgelöst von sozialen Zusammenhängen. Ob demokratisch legitimiert oder nicht, aus dieser Perspektive wird jeder staatliche Eingriff zum vermeintlich autoritären Angriff auf die eigene Freiheit. 

Mit einem solchen Freiheitsverständnis lässt sich indes das Verhältnis von coronabedingten Grundrechtseinschränkungen und Freiheit gar nicht aufklären. Denn ausgeblendet wird, dass Freiheit kein individuell verfügbares Gut ist, sondern eine soziale Beziehung. Ebenso wie Unfreiheit sozialen Ursprungs ist, so ist auch Freiheit gesellschaftlich konstituiert. Es ist nicht erst staatliches Handeln, das eine vermeintlich natürlich gegebene Freiheit beschneidet. Im Gegenzug erlaubt erst die gesellschaftliche Autorisierung kollektiver Entscheidungen die Verwirklichung von Freiheit.  

Das Problem der Freiheit besteht daher nicht in der Abwehr jeglicher staatlicher Einschränkung. Es besteht vielmehr in der Frage nach den gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen von Freiheit – und danach, welche gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse sie untergraben. Diese Frage bleibt hochaktuell, auch fünf Jahre nach der Pandemie.

Digitalisierung während der Krise: Die vielen Wege zur digitalen Reife in den deutschen Gesundheitsämtern

Martin Gersch, Professor für Betriebswirtschaftslehre, Laura von Welczeck (M.), Assoziierte Forscherin, und Nina Schlömer (r.), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Wirtschaftwissenschaft.

Martin Gersch, Professor für Betriebswirtschaftslehre, Laura von Welczeck (M.), Assoziierte Forscherin, und Nina Schlömer (r.), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Wirtschaftwissenschaft.
Bildquelle: profund (li,)/Jan Fock (Mitte und re.)

„Mit Papier, Stift und Fax gegen Corona“ – solche Schlagzeilen prägten zu Pandemiebeginn die Diskussion über die rund 375 Gesundheitsämter in Deutschland. Tatsächlich erwies sich das Faxgerät in so manchem Amt zeitweise als unverzichtbar. Parallel dazu wurde im öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) die Digitalisierung vorangetrieben: Für die Modernisierung stellen Bund und Länder bis 2026 vier Milliarden Euro zur Verfügung, 800 Millionen davon für die Digitalisierung. Anhand eines Reifegradmodells können die Gesundheitsämter ihre Digitalität selbst messen und folglich Digitalisierungsprojekte ableiten.

An der Freien Universität begleiten wir diesen Digitalisierungsprozess seit vier Jahren – bundesweit sowie mit einem Fokus auf das Land Berlin – und analysieren die im Verlauf entstehenden Spannungen. 

Ein genauerer Blick in die einzelnen Ämter zeigt, wie Digitalisierung nicht nur vorgegebenen Strategien folgt, sondern sich auch aus der alltäglichen Arbeit heraus entwickelt. In der ersten Welle bauten Gesundheitsämter beispielsweise kreative Eigenlösungen, um exponentiell steigende Fallzahlen zu bewältigen. Es gibt im ÖGD nicht die eine Digitalisierung, in der sich Befürwortende und Ablehnende gegenüberstehen. Es gibt viele Digitalisierungen, in denen unterschiedliche Vorstellungen von Digitalität und einzusetzenden technologischen Lösungen Realität werden.

Mit unserer Forschung relativieren wir die oft wiederholte Mär von faxenden und nichtdigitalen Gesundheitsämtern. Gleichzeitig bieten wir aus der Wissenschaft Anstöße für eine Diskussion darüber, welche Formen der Digitalisierung wir uns als Gesellschaft für unser öffentliches Gesundheitswesen eigentlich wünschen.