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Wissenschaftsfreiheit unter Druck: Transatlantische Entwicklungen und Herausforderungen

Politikwissenschaftlerin Tanja A. Börzel, Freie Universität

04.04.2025

Prof. Dr. Tanja A. Börzel, Jean Monnet Lehrstuhl und Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration

Prof. Dr. Tanja A. Börzel, Jean Monnet Lehrstuhl und Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration
Bildquelle: SCRIPTS

Die aktuelle Entwicklung der Wissenschaftsfreiheit sorgt auf beiden Seiten des Atlantiks für Aufregung. Während der kürzlich wiedergewählte US-Präsident Donald J. Trump amerikanischen Universitäten die Gelder streicht – mit der Begründung, sie würden zu viel für Diversity, Inclusion and Equity (DIE) und zu wenig gegen Antisemitismus tun –, ist Deutschland im Academic Freedom Index (AFI) aus der Spitzengruppe herausgefallen.

Prof. Dr. Katrin Kinzelbach, die den AFI maßgeblich mitentwickelt hat, betont, dass Wissenschaftsfreiheit in Deutschland – anders als in den USA – verfassungsrechtlich geschützt ist. Der AFI erfasst anhand von Experteneinschätzungen die tatsächlich realisierte Wissenschaftsfreiheit, die in Deutschland insbesondere durch die Förderaffäre des Bundesforschungsministeriums und den Umgang mit propalästinensischen Protesten beeinflusst wurde. Politische Versuche der Politik, in die Autonomie deutscher Hochschulen durch die Kürzung von Fördermitteln, Antisemitismusresolutionen oder Exmatrikulationsklauseln einzugreifen, sind – im Gegensatz zu den Entwicklungen in den USA – auf breiten gesellschaftlichen Widerstand gestoßen.

Die Drittmittelabhängigkeit deutscher Universitäten mag hoch und vielleicht zu hoch sein, aber die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist eine Mitgliederorganisation der Universitäten und keine Bundeseinrichtung. Das bedeutet nicht, dass es in Deutschland keine Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit gibt. Vielmehr beobachten wir einen zunehmenden „Chilling-Effekt“, der weniger durch direkte politische Einflussnahme als durch Dynamiken innerhalb der Universitäten und den Einfluss von (sozialen) Medien sowie Polarisierungsunternehmern erzeugt wird. Eine repräsentative Umfrage des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) konnte im letzten Jahr allerdings keine strukturelle Kultur des „Cancelns“ feststellen.

Im internationalen Vergleich bleibt die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland resilient. Das Land verfehlte nur knapp die obersten zehn Prozent des AFI, während die USA bereits vor Trumps Wiederwahl in die Gruppe der 20 bis 30 Prozent abgerutscht waren und mittlerweile hinter Kanada und Israel sowie der Schweiz und dem Vereinigten Königreich rangieren, die zu der Gruppe der 30 bis 40 Prozent gehören. Trumps konservative „MAGA“-Bewegung nimmt Universitäten als vermeintliche Bollwerke liberal-progressiver Werte ins Visier. Das verheißt nichts Gutes für die Wissenschaftsfreiheit.

Vor diesem Hintergrund gibt es in Deutschland Forderungen, die Kooperation mit US-amerikanischen Universitäten zu überdenken. Allerdings existieren keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass akademische Boykotte oder Sanktionen politischen Einfluss auf Regierungen ausüben. Solange Wissenschaftler*innen in den USA – ebenso wie in Israel oder der Türkei – ihre Stimme gegen illiberale politische Entwicklungen erheben, erscheint akademische Solidarität und nicht Boykott als angemessene Reaktion. Deutsche Universitäten haben ihre Kooperationen mit russischen Hochschulen, die den Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützen, beendet. Aber selbst in diesem Extremfall halten wir aus gutem Grund an individuellem Wissenschaftsaustausch fest.

Besonders wichtig ist die Vermeidung einer Doppelmoral: Während die Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Universitäten infrage gestellt wird, bauen deutsche Hochschulen ihre Kooperationen mit Indien aus – einem Land, das im AFI noch schlechter abschneidet als Russland – und setzen die Zusammenarbeit mit China fort, das am unteren Ende des Indexes rangiert. Eine konsequente Wissenschaftspolitik sollte diese Widersprüche reflektieren und wissenschaftliche Zusammenarbeit in einem globalen Kontext kritisch, aber differenziert bewerten.

Weitere Informationen

Website Prof. Dr. Tanja A. Börzel