Hochschulautonomie: im Grundgesetz verankertes Selbstbewusstsein
Rechtswissenschaftler Christoph Möllers, Humboldt-Universität
10.04.2025
Nicht nur einzelne Forschende, sondern auch die öffentlichen Hochschulen können sich auf die Freiheit der Wissenschaft aus Art. 5 Abs. 3 GG berufen. Das ist nicht selbstverständlich, schließlich werden diese vom Staat gegründet und finanziert. Doch wurde die Berechtigung der Hochschulen im Grundsatz schon in der Weimarer Zeit anerkannt und früh vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. In Deutschland wird damit eine alte Geschichte fortgeschrieben, in der Hochschulen immer wieder in Konflikt mit der politischen Gewalt kamen und auf ihren Status als eigene Körperschaft pochten. Der heute geltende Schutz der Wissenschaftsfreiheit garantiert zunächst, dass die Hochschulen alle Fragen von Forschung und Lehre eigenständig entscheiden können. Damit ist namentlich eine organisatorische Selbstständigkeit verbunden, die auch als Hochschulautonomie bezeichnet wird. Der Gesetzgeber kann zwar Universitäten gründen und ihre Form in Grundzügen ausgestalten, es muss aber dabei bleiben, dass die Universität von Wissenschaftler*innen für Wissenschaftler*innen organisiert und verwaltet wird.
Das wirft natürlich die Frage auf, wer sich innerhalb der Hochschule auf die Wissenschaftsfreiheit berufen kann: Präsidien, Professor*innen, PostDocs, Doktorierende oder Studierende? Grundsätzlich muss die Berechtigung bei denen liegen, die Wissenschaft betreiben. Das sind aber, anders als es früher auch vom Bundesverfassungsgericht angenommen wurde, nicht nur die Professor*innen, sondern all diejenigen, die forschen, und auch die Institutionen, die die Forschenden vertreten und für sie handeln. Aus der Hochschulautonomie folgt damit intern auch ein Recht auf Selbstverwaltung. Forschende haben das Recht (und die Pflicht) darüber zu entscheiden, wer in der Universität ein Amt bekommt. Doch besteht die Hochschule nicht nur aus Forschenden, sondern hängt auch von vielen anderen Mitarbeitenden, den Beschäftigten in der Verwaltung, ab. Auch sie haben Mitbestimmungsrechte – und zugleich muss der Grundsatz beachtet werden, dass über wissenschaftliche Fragen wie Forschungsinhalte oder Berufungen von Forschenden entschieden wird. Die Verwaltung ist wichtig, aber sie dient der Wissenschaft. Das macht die gelebte Wissenschaftsfreiheit zu einer komplizierten Praxis, in der sich selten grundrechtliche Freiheit und Staat direkt gegenüberstehen, viel öfter dagegen verschiedene Wissenschaftsfreiheiten, die gegeneinander abgewogen und miteinander ausgehandelt werden müssen.
Die grundgesetzliche Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen ist in Deutschland – bis auf weiteres – nicht dadurch gefährdet, dass der Staat Forschungsfragen vorschreibt und mit Sanktionen droht. Öfter wurde sie dadurch infrage gestellt, dass er seine Vorstellung einer richtigen, sei es demokratischen, sei es politischen Organisation durchsetzen wollte, etwa indem er Nichtforschende wie Wirtschaftsvertreter in Hochschulgremien setzten wollte. In solchen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber nicht selten daran erinnert, dass Hochschulen keine Unternehmen und auch keine Verwaltungen sind.
Überhaupt ist die Wissenschaftsfreiheit ein oft bemühtes Grundrecht. Es gibt vergleichsweise viele Entscheidungen zum Hochschulrecht von Verfassungs- und Verwaltungsgerichten. Die Wissenschaftsfreiheit ist auch rechtswissenschaftlich besser aufgearbeitet als viele andere Grundrechte. Das dokumentiert das Selbstbewusstsein der Hochschulen gegenüber dem politischen Prozess.
Eine allgemeine politische Neutralitätspflicht der Hochschulen gibt es nicht. Neutralität ist heute oft ein Argument, um dissentierende Institutionen aus der öffentlichen Auseinandersetzung zu nehmen. Doch kennt das Hochschulrecht zwei Sonderregeln: Zum einen haben die Studierendenvertretungen kein „allgemein-politisches“ Mandat. Sie dürfen sich nicht zu allen möglichen politischen Fragen in ihrer Vertretung äußern, sondern nur zu Angelegenheiten der Hochschule. Das wird vom Gesetzgeber damit gerechtfertigt, dass alle Studierenden Mitglied der Vertretungen sein müssen. Zwingend erscheint es nicht. Zweitens kennt das Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG eine Ausnahme von der Lehrfreiheit (nicht von der Forschungsfreiheit) mit Blick auf die Verfassungstreue. Professor*innen dürfen nicht im Namen der Wissenschaft gegen den demokratischen Rechtsstaat hetzen.
Nicht gegen alle Bedrohungen der Wissenschaftsfreiheit hilft ein Grundrecht. Insbesondere garantiert Art. 5 Abs. 3 GG keine feste Finanzierung der Hochschulen, es schützt sie auch nicht unbedingt vor einer Schließung. Durch die Drohung mit Mittelkürzungen hat der politische Prozess ein informelles Instrument in der Hand, das auch dazu genutzt werden könnte, unliebsame Forschung zu verhindern. In den USA ist dies zu beobachten, aber auch in Deutschland zeigten sich Ansätze in diese Richtung, etwa in den umstrittenen Äußerungen der letzten Bundesforschungsministerin. Die Hochschulen sollten sich, soweit möglich, gegen solche Anmutungen auf ihr Grundrecht berufen und gerichtlich zur Wehr setzen, aber das wird, wenn es hart auf hart kommt, nicht reichen. Dann ist politisches Handeln und Solidarität des ganzen Wissenschaftssystems gefragt.