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„Frankreich, Deutschland und Sie?“

Wissenschaftler und Studierende der Freien Universität werten Stimmungsbarometer zur deutsch-französischen Wirklichkeit in Europa aus

15.01.2013

Vor 50 Jahren unterschrieben Konrad Adenauer (li.) und Charles de Gaulle (re.) im Elysée-Palast einen Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit. Wie sieht die deutsch-französische Wirklichkeit heute aus?

Vor 50 Jahren unterschrieben Konrad Adenauer (li.) und Charles de Gaulle (re.) im Elysée-Palast einen Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit. Wie sieht die deutsch-französische Wirklichkeit heute aus?
Bildquelle: Bundesarchiv / B 145 Bild-P106816

Wie sehen die Deutschen die Franzosen und was halten diese wiederum von ihren deutschen Nachbarn? Zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages, der am 22. Januar 1963 unterzeichnet wurde, führten Radiosender eine grenzüberschreitende Umfrage mit über 25.000 Deutschen und Franzosen durch. Aus den Antworten ergab sich ein umfangreiches Stimmungsbild zu den Beziehungen zwischen beiden Ländern. Sabine von Oppeln, promovierte Politikwissenschaftlerin und stellvertretende Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, hat die Umfrage mit ihren studentischen Mitarbeitern wissenschaftlich ausgewertet.

Frau von Oppeln, die deutsch-französische Freundschaft ist aus einer konfliktreichen Geschichte hervorgegangen – wie schätzen die Befragten das Verhältnis der Partnerländer heute ein?

Positiv: 82 Prozent der deutschen und 73 Prozent der französischen Befragten geben an, das Nachbarland leidenschaftlich oder sehr zu mögen. Die Belastungen der Vergangenheit scheinen keine große Rolle mehr zu spielen. Das deutsch-französische Verhältnis wird eher mit den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft assoziiert.

Wie sieht es mit der gegenseitigen Wahrnehmung aus, existieren noch Stereotypen?

In Bezug auf die ersten drei positiven Eigenschaften des Nachbarn werden von den Befragten beider Seiten typische Charakteristika reproduziert. Die Deutschen werden als besonders gründlich, diszipliniert und fleißig, die Franzosen vorrangig als genießerisch, individualistisch und kreativ, verführerisch und charmant, bezeichnet.

Wie sehen die Franzosen das wiedervereinigte Deutschland?

In der Wahrnehmung hat sich das Deutschlandbild zugunsten eines positiveren verschoben. Kurz vor der Wende war Deutschland nur 28 Prozent der befragten Franzosen einen Besuch wert, heute sind es rund 78 Prozent.

Deutlich über die Hälfte würde gerne in Deutschland leben und arbeiten. Während Deutschland als Wohn- und Arbeitsort für die Franzosen immer attraktiver wird, würde mehr als die Hälfte der befragten Deutschen zwar gerne in Frankreich leben, aber nur ein gutes Drittel kann sich vorstellen, in Frankreich zu arbeiten.

Offensichtlich werden einzelne Lebensbereiche unterschiedlich wahrgenommen?

Die Befragten stufen übereinstimmend Kultur, Familiensituation und allgemeine Lebensqualität in Frankreich besser ein. Deutschland werden Vorteile in den Bereichen Wirtschaft, Beschäftigung und Umwelt zugesprochen. Interessant ist, dass sowohl Deutsche als auch Franzosen stark am eigenen Sozialmodell festhalten.

Rund 74 Prozent der französischen Befragten präferieren das französische System der sozialen Sicherheit, rund 50 Prozent das französische Gesundheitswesen. Die Deutschen bevorzugen zu 53 Prozent ihr System der sozialen Sicherung und zu 45 Prozent das deutsche Gesundheitswesen.

Ist die besondere Beziehung beider Länder überhaupt noch notwendig?

Für die große Mehrheit der Befragten auf beiden Seiten ist sie eine Realität und eine Notwendigkeit für die Zukunft. Man misst auch 50 Jahre nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrags den deutsch-französischen Beziehungen eine hohe Bedeutung zu, beide Länder sind unverzichtbare Partner.

Mit Blick auf die Rolle beider Staaten innerhalb der EU ist übrigens die überwiegende Mehrheit der Befragten der Meinung, dass Deutschland das Land ist, das politisch und wirtschaftlich an erster Stelle steht, gefolgt von Frankreich und Großbritannien.

Also doch kein gleichwertiges Verhältnis?

Aus Sicht der Deutschen begegnet man sich auf Augenhöhe, das sagen 78 Prozent. Auf französischer Seite meinen dies nur 53 Prozent, 41 Prozent verneinen sogar ein gleichgewichtiges Verhältnis zwischen beiden Ländern. Dennoch wünschen sich die Franzosen kein anderes Partnerland.

Sollte das deutsch-französische Paar eine führende Rolle innerhalb der EU übernehmen?

Hier zeigen sich die französischen Befragten zurückhaltender. Auf deutscher Seite sprechen sich 81 Prozent dafür aus, während es auf französischer Seite nur 55 Prozent sind und 39 Prozent einen starken deutsch-französischen Motor sogar ablehnen.

Beide Seiten vereint dagegen trotz Schuldenkrise die Befürwortung des Euro: 86 Prozent der französischen und 81 Prozent der deutschen Befragten sprechen sich für eine Beibehaltung des Euro als Gemeinschaftswährung aus. Und: Die Analyse ergibt, dass sich die große Mehrheit auf beiden Seiten für eine Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit ausspricht.

Die Fragen stellte Torsten Schaletzke

 

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