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„Schule muss sich positionieren – zu allem, was in irgendeiner Form die Demokratie gefährdet“

Die Dahlem School of Education (DSE) hat eine Stellungnahme zum professionellen Umgang mit gesellschaftlichem Pluralismus und politischer Kontroversität im Unterricht veröffentlicht / campus.leben-Gespräch mit Geschäftsführerin Eva Terzer

12.12.2018

Meinungspluralismus im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung: Die Dahlem Research School tritt dafür ein, dass zukünftige Lehrkräfte in der Ausbildung auf kontroverse Diskussionen im Klassenzimmer vorbereitet werden.

Meinungspluralismus im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung: Die Dahlem Research School tritt dafür ein, dass zukünftige Lehrkräfte in der Ausbildung auf kontroverse Diskussionen im Klassenzimmer vorbereitet werden.
Bildquelle: Elisa Hartwig

„Neutrale Schule“ heißt das Portal der AfD, über das Schülerinnen und Schüler aufgefordert werden, AfD-kritische Lehrerinnen und Lehrer anzuzeigen. Dabei beruft sich die Partei auf die Verfassung und das Schulgesetz, in denen sich vermeintlich ein staatliches Neutralitätsgebot der Schule findet. Der Institutsrat der Dahlem School of Education – dem Zentralinstitut für Lehrkräftebildung der Freien Universität – hat aus gegebenem Anlass ein Positionspapier zum „professionellen Umgang mit gesellschaftlichem Pluralismus und politischer Kontroversität im Unterricht“ verfasst. Ein Gespräch mit Eva Terzer, promovierte Biologiedidaktikerin und Geschäftsführerin des Zentralinstituts.

Frau Terzer, warum hat die DSE das Positionspapier entworfen?

Wenn man das Zeitgeschehen beobachtet, bekommt man den Eindruck, dass die Demokratie angreifbar geworden ist. Das wirkt sich auch auf die Tätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern aus und bringt für alle Unterrichtsfächer Herausforderungen mit sich. Bundesweit gibt es eine große Verunsicherung an Schulen, aber auch in der Bildungspolitik, wie Lehrkräfte sich professionell verhalten sollten, wenn in ihrem Unterricht z. B. rechtsextreme oder islamistische Positionen formuliert werden. Im Gespräch der Mitglieder, auch zur Neutralitätsforderung der AfD auf ihren Portalen, ist die Idee entstanden, eine Stellungnahme zu verfassen. Hier konnten wir besonders auf die Expertise unserer Politikdidaktik zurückgreifen. Wir wollten zum einen unseren Studierenden eine Orientierung zur Bedeutung von Meinungspluralismus im Schulunterricht geben und uns zum anderen als Institution in der aktuellen Debatte fachlich positionieren.

Sie sprechen in Ihrer Stellungnahme von einem „vermeintlichen Neutralitätsgebot der Schule“. Warum vermeintlich?

Vermeintlich deshalb, weil es nirgends verankert ist. Tatsächlich ist das aus unserer Sicht ein Gespenst, das gezeichnet wurde, um Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler einzuschüchtern. Was gefordert wird, ist parteipolitische Neutralität. Wenn man diese Forderung auf Lehrkräfte bezieht, heißt das, dass Lehrerinnen und Lehrer den Schülerinnen und Schülern ihre Meinung nicht aufdrängen dürfen. Gleichzeitig gibt es aber ein Kontroversitätsgebot, in dem es darum geht, dass Debatten, die in der Gesellschaft kontrovers geführt werden, auch im Unterricht entsprechend abgebildet werden sollen. Das muss natürlich im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung passieren. Das heißt, dass sich Schule zu allem, was in irgendeiner Form die Demokratie gefährdet, ganz klar nicht neutral sein darf, sondern sich positionieren muss.

Wie ist dieses Kontroversitätsgebot gesetzlich verankert?

Im Schulgesetz steht gleich in Paragraph 1, unter „Auftrag der Schule“, dass ein Ziel die Heranbildung von Schülerinnen und Schülern ist, die fähig sind, „das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens, der Freiheit, der Menschenwürde, der Gleichstellung der Geschlechter und im Einklang mit Natur und Umwelt zu gestalten“. Schule hat den expliziten Auftrag einzuschreiten, wenn demokratische Werte und Prinzipien verletzt werden. Außerdem gibt es den sogenannten Beutelsbacher Konsens, im Jahr 1976 auf einer Tagung der Baden-Württembergischen Landeszentrale für politische Bildung formulierte zentrale didaktische Leitgedanken, die Richtlinien für die politische Bildung festlegen.

Eines dieser Prinzipien ist, dass Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler keine Meinungen aufzwängen und sie nicht indoktrinieren dürfen, ein zweites, dass kontroverse politische oder wissenschaftliche Themen auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden müssen. Diese Kontroversität muss aber im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bleiben, das heißt, dass beispielsweise Diskriminierungen von sozialen Gruppen oder Angriffe auf die Menschenwürde wiederum nicht kontrovers dargestellt werden dürfen, weil die das Grundgesetz verletzen. In einem solchen Fall müssen Lehrerinnen und Lehrer Position beziehen.

Warum ist es für Schülerinnen und Schüler generell wichtig, sich kontrovers mit politischen Themen zu beschäftigen?

Wir leben in einer komplexen Welt, deshalb sind auf politische Fragestellungen keine einfachen Antworten zu erwarten. Gerade wenn es darum geht, in einer strittigen Situation Positionen zu verhandeln, ist es besonders wichtig, dass Schülerinnen und Schüler Pluralismus lernen. Sie sollen – als spätere Wahlberechtigte und generell als Bürgerinnen und Bürger – verstehen, dass es ein Grundprinzip von demokratischen Prozessen ist, dass Interessen miteinander ausgehandelt werden. Und sie müssen Gelegenheit haben zu lernen, wie das geht. Das ist auch das dritte Prinzip des Beutelsbacher Konsenses, dass Lehrkräfte die politische Handlungsfähigkeit der Schüler fördern sollen.

Wie fördern Sie in der Lehrkräftebildung konstruktive, demokratische Auseinandersetzungen mit politischen Themen?

Die Beschäftigung mit Diversität ist uns ein wichtiges Anliegen; Sprachbildung und Inklusion sind Pflichtinhalte im Lehramtsstudium. „Inklusion“ umfasst dabei vielfältige Facetten: zum Beispiel sonderpädagogischen Förderbedarf, Fragen zu Gender oder Migration. Ein großes Thema ist Kontroversität natürlich in den Fächern Politische Bildung und Geschichte in den fachdidaktischen Seminaren. Aber in der ganzen Lehrkräftebildung gibt es Elemente, die sich mit Meinungsvielfalt beschäftigen, etwa Bewertungskompetenz in den Naturwissenschaften.

Wir hatten in letzter Zeit trotzdem den Eindruck, dass wir unsere Studierenden gerne noch gezielter auf bestimmte Situationen im Schulalltag vorbereiten möchten. Deshalb haben wir als Jahresthema „Demokratie und Schule: Pluralismus fördern“ gewählt. Wir fördern die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Thematik und organisieren Vorträge und Workshops zu einzelnen Aspekten. Hier setzen die Studierenden sich zum Beispiel mit dem Umgang mit Antisemitismus auseinander oder lernen etwas über Grundsätze erfolgreicher Kommunikation. Darüber hinaus gibt es das Projekt „Demos Leben“, eine Zusammenarbeit der Geschichts- und Politikdidaktik an der Freien Universität und der Sachunterrichtsdidaktik an der Humboldt-Universität. Hier erarbeiten wir Konzepte, wie Demokratiebildung in der gesamten Lehrkräftebildung stärker verankert werden kann.

Einige Lehramtsstudierende der Freien Universität haben in einem offenen Brief die Meldeportale der AfD kritisiert, sich den Anschuldigungen der Partei „schuldig bekannt“ und sammeln nun dahingehend Unterschriften. „Wir gestehen, dass wir nach der Ausbildung in unserem Unterricht für Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit werben wollen“, lautet etwa der erste Standpunkt. Wie reagieren Ihre Studierenden generell auf die Meldeportale?

Unsere Studierenden haben sich sofort vernetzt und über die Thematik diskutiert, unserem Eindruck nach stehen sie den Portalen sehr ablehnend gegenüber. Ich hatte aber auch den Eindruck, dass viele verunsichert und sich nicht sicher waren, wie sie in ihrer anstehenden Praxisphase auf parteipolitisch extreme Positionen von Schülerinnen und Schülern reagieren sollten. Wir haben, wohl gerade aus diesem Grund, sehr positive Reaktionen auf die Wahl unseres Jahresthemas und unsere Positionierung bekommen.

Die Fragen stellte Jennifer Gaschler