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Zukunft auf Rädern

Wie das autonome Fahren die Gesellschaft verändern wird und welche Hürden es noch zu bewältigen gilt, diskutierten Wissenschaftler der Freien Universität und der Indiana University

13.02.2019

Von links: Yaobin Chen, Dimitris Milakis, Clayton Nicholas, Daniel Göhring

Von links: Yaobin Chen, Dimitris Milakis, Clayton Nicholas, Daniel Göhring

Ein Auto rast mit 200 Stundenkilometer über die Landstraße, auf dem Weg zum nächsten Krankenhaus – ein Notfall. Der einzige Passagier des Fahrzeugs ist verletzt und blutet, er ist nicht in der Lage, selbst zu steuern, und doch rauscht der Wagen sicher über den Asphalt. Die nächste Kreuzung ist noch einen Kilometer entfernt. Dort blockieren gerade andere Autos die Weiterfahrt, die Ampel zeigt rot. Auf einmal springt das Licht vorzeitig auf grün, die Wagen fahren an den Straßenrand und geben den Weg für die Durchfahrt frei, denn sie haben ein Signal des Notfallwagens erhalten.

„Die Zukunft des autonomen Fahrens“

So oder so ähnlich könnte die Zukunft aussehen, wenn statt Menschen künftig Computer die komplette Steuerung von Fahrzeugen übernehmen würden. „Die Zukunft des autonomen Fahrens“ war das Thema der Veranstaltung am 24. Januar im Rahmen der Joint Speaker Series 2018/19, eine Kooperation von Freier Universität und Indiana University. Auf dem Podium saßen Daniel Göhring, Professor am Dahlem Center for Machine Learning and Robotics der Freien Universität Berlin, Yaobin Chen, Professor am und Leiter des Transportation Active Safety Institute der Indiana University – Purdue University Indianapolis (IUPUI), und Clayton Nicholas, ebenfalls vom Transportation Active Safety Institute der IUPUI. Auch das obige Beispiel besprachen die drei Diskutanten mit Moderator Dimitris Milakis vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Solche Notfallsituationen seien „mit autonomen Fahrzeugen einfacher zu lösen“, zeigte sich Yaobin Chen überzeugt.

„Fast 90 Prozent der Unfälle heute werden von Menschen verursacht“

Doch wird es überhaupt so weit kommen, dass die Straßen von selbstfahrenden Vehikeln wimmeln? Und ist diese Zukunft wünschenswert? Mit einem klaren „Ja“ beantwortete Clayton Nicholas beide Fragen. Viele Verkehrstote könnten verhindert werden, sobald der „Hauptrisikofaktor Mensch“ aus der Gleichung ausgeklammert wäre: „Fast 90 Prozent der Unfälle heute werden von Menschen verursacht“, gab Nicholas zu bedenken. Für Zweifler, die sich unwohl dabei fühlen, den Algorithmen das Steuer zu überlassen, zeigte der Spezialist für die Entwicklung von Industrieforschung wenig Verständnis. Schließlich seien schon heute Computer und Sensoren in der Ausstattung vieler Fahrzeug nicht wegzudenken: „Wenn Sie davor Angst haben, warne ich Sie davor, Ihr Auto anzulassen.“

Zahllose unbeantwortete Fragen

Diesen Optimismus teilt Daniel Göhring von der Freien Universität nur bedingt. Es sei gut möglich, dass selbstfahrende Autos die Straßen übernehmen, doch die entscheidende Frage sei: wann? Während Tesla-Chef Elon Musk von ein paar Jahren spricht, rechnet Göhring eher in Jahrzehnten. Gemeinsam mit Kollegen und unter der Leitung von Informatikprofessor Raúl Rojas hat er im AutoNOMOS-Projekt der Freien Universität ein selbstfahrendes Auto entwickelt. Trotz sichtbaren Fortschritts – das Fahrzeug rollte bereits über die Straßen der Hauptstadt – kennt er die zahlreichen ungelösten Probleme und Hindernisse, die mit dem kleinteiligen Entwicklungsprozess einhergehen.

Einige Hürden sprach Göhring an: Kann sich das Auto allein über Kameras lokalisieren oder benötigt es ein GPS-System? Trotz teurer Ausstattung hatte das Team im Rahmen des AutoNOMOS-Projekts die Nachteile von GPS in Form gelegentlicher Signalstörungen erlebt. Verzerrt sich das Signal plötzlich um einen Meter zur Seite, könnte auch das Auto einen Satz zur Seite machen, was Gefahren birgt. Wie steht es angesichts der klaffenden Funklöcher in Deutschland um den notwendigen flächendeckenden Internetzugang für die Fahrzeuge? Wer stellt die Daten für die Kartensysteme bereit? Und könnte man Unternehmen wie Google all diese Informationen anvertrauen? Wieviel muss finanziell in Entwicklung und Infrastruktur investiert werden? Und zuletzt erwähnte er noch ein Paradoxon: „Je mehr wir auf elektrisches Fahren setzten, desto weniger Strom haben wir im Auto. Gleichzeitig brauchen wir mehr Energie um die intelligenteren Systeme zu versorgen“, merkte Göhring an.

Wie schnell sich neue Technologien durchsetzen, hängt auch von der Politik eines Landes ab

Zu all diesen praktischen Fragen gesellen sich ökonomische, politische und philosophische Bedenken, die auf der Veranstaltung im Rahmen der Möglichkeit besprochen wurden. Gewisse Jobs, wie Taxi- oder LKW-Fahrer etwa, könnten zugunsten von günstigeren Computersystemen komplett wegfallen. „Andere Berufe werden entstehen, um sie zu ersetzen“, meint Nicholas. Doch wer bringt einem 50-jährigen Truckdriver aus Oklahoma das Programmieren bei?

Und auch das berühmte Trolley-Problem könnte den Weg aus den theoretischen Philosophieseminaren in die politische Praxis finden. Denn was, wenn das autonome Fahrzeug plötzlich ausweichen muss? Soll es lieber auf das Rentnerpärchen oder die Frau mit Hund zusteuern? Oder soll es unter gewissen Umständen gar das Leben der Autoinsassen opfern? Beim Menschen stellen sich diese Fragen nicht, denn das Steuer wird im Affekt herumgerissen, doch der Algorithmus entscheidet stets nach präzisen Vorgaben.

Wie schnell und in welcher Art und Weise die Technologie adaptiert wird, hängt wohl auch von regionalen Unterschieden ab. „In Chinas starkem Wirtschaftssystem kann die Regierung effektiver Entscheidungen durchsetzen. Sie könnten beispielsweise festlegen, dass keine menschengesteuerten Autos mehr fahren dürfen“, sagt Chen. Derzeit wird 100 Kilometer südlich von Peking die Stadt Xiongan von Grund auf errichtet, ihre Infrastruktur ist bereits komplett auf autonome Fahrzeuge ausgerichtet. Doch während in China die Kommunistische Partei die Linie vorgibt, steht in demokratischen Ländern die Gesellschaft selbst in der Pflicht, die Herausforderungen anzugehen. Dimitris Milakis stellte am Ende der erhellenden Diskussionsrunde fest: „Derzeit haben wir mehr Fragen als Antworten.“