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Vielstimmige Literatur

Cilja Harders und Anne Fleig diskutierten im Deutschen Theater über Mehrsprachigkeit in der deutschen Gegenwartsliteratur / Nächster Termin der Veranstaltungsreihe „Wer Wen“: 7. März, 18.30 Uhr

04.03.2019

Wie verändert sich die deutsche Gegenwartsliteratur durch Migration? Darüber sprachen Politikwissenschaftlerin Cilja Harders (links) und Literaturwissenschaftlerin Anne Fleig.

Wie verändert sich die deutsche Gegenwartsliteratur durch Migration? Darüber sprachen Politikwissenschaftlerin Cilja Harders (links) und Literaturwissenschaftlerin Anne Fleig.
Bildquelle: Jennifer Gaschler

„Allein in Berlin leben Menschen aus 120 Ländern mit 180 verschiedenen Muttersprachen – das prägt nicht nur unsere Alltagssprache, sondern auch die Literaturlandschaft“, sagte Cilja Harders. Die Politikprofessorin von der Freien Universität war Gastgeberin des Abends im Deutschen Theater, der im Rahmen der Reihe „Wer Wen“ unter dem Titel „Geteilte Gefühle – Gebrochenes Deutsch? Mehrsprachigkeit und Zugehörigkeit in der deutschen Gegenwartsliteratur“ stand.

Ihre Kollegin Anne Fleig schloss daran an: In den vergangenen zehn Jahren hätten sich einige mehrsprachige Autorinnen und Autoren auf dem deutschen Literaturmarkt etablieren können: „Sie publizieren in bekannten Verlagen und werden mit wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet.“ So sei der Büchner-Preis im vergangenen Oktober etwa an die Schriftstellerin Terézia Mora gegangen. Die in Ungarn geborene und dort zweisprachig aufgewachsene Autorin sei in den Medien dabei stets explizit als deutsch-ungarische Autorin vorgestellt worden, kritisierte die Literaturwissenschaftlerin: „Solange die nationale Herkunft noch so stark hervorgehoben wird, ist Transkulturalität eben doch noch nicht selbstverständlich.“

Plädoyer für Literatur jenseits nationaler Zugehörigkeit

Auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Literaturen sei noch immer „national strukturiert“ – „klare Sprachzugehörigkeiten bestimmen unsere Forschungstraditionen“, merkte Anne Fleig an. Doch es geht auch anders: Die Literaturwissenschaftlerin leitet an der Freien Universität das Projekt „Geteilte Gefühle. Entwürfe von Zugehörigkeit in der transkulturellen deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“, das am Sonderforschungsbereich „Affective Societies. Dynamiken des Zusammenlebens in bewegten Welten“ angesiedelt ist.

Den Betrachtungsgegenstand dieses neuen Forschungsansatzes korrekt zu benennen, sei dabei die erste Herausforderung: Während früher bei deutschsprachigen literarischen Veröffentlichungen von Einwanderern von ‚Migrationsliteratur‘ die Rede gewesen sei, fanden Anne Fleig und ihre Arbeitsgruppe neue Begriffe: „Uns geht es darum, nicht mit ausgestrecktem Finger auf ein eventuelles ‚Anderssein‘ der Autorinnen und Autoren zu zeigen. Deshalb sagen wir lieber ‚mehrdeutschsprachige Literatur‘.“ Es seien schließlich nicht nur die Menschen, die migrierten: „Häufig sind die Texte selbst von Geschichten aus dem Herkunftsland der Schriftsteller geprägt. Deshalb sprechen wir heute von ‚Migration der Literatur‘.“

Das Deutsche für deutsche Leser „fremdmachen“

Herta Müller, Terézia Mora, Emine Sevgi Özdamar und Yoko Tawada sind einige der Autorinnen, zu deren Werk die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in „Geteilte Gefühle“ forschen. Die in Tokio geborene Yoko Tawada etwa, die zum Studium nach Hamburg kam, fügt japanische Schriftzeichen in ihre deutschen Erzählungen und Gedichte ein, spiegelt beide Sprachen ineinander und mache so auch „das Deutsche für deutsche Leser fremd“, erläuterte Anne Fleig. Das gelinge der Schriftstellerin mit wörtlichen Übersetzungen japanischer Redeweisen, aber beispielsweise auch, indem sie darüber nachdenke, dass es im Japanischen kein Wort für ‚Ich‘ gebe.

Etwa 30 Interessierte kamen in den opulenten Saal des Deutschen Theaters.

Etwa 30 Interessierte kamen in den opulenten Saal des Deutschen Theaters.
Bildquelle: Jennifer Gaschler

Sprache im Wandel

Dass die Sprache eines Einwanderungslandes wie Deutschland im ständigen Wandel sei, darin waren sich Cilja Harders und Anne Fleig einig. Wenn Varianten des Deutschen in literarischen Texten verwendet würden, sorge das jedoch regelmäßig für Aufsehen. So provozierte Mitte der neunziger Jahre Feridun Zaimoglu mit dem im Jargon der türkischstämmigen Jugendlichen verfassten Buch „Kanak Sprak – 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft“.

Vor zwei Jahren trat der israelische Schriftsteller Tomer Gardi bei den Ingeborg-Bachmann-Tagen mit „Broken German“ an, einem Romanauszug voller Grammatikfehler und Fehlschreibungen. „Das ist auch Deutsch“, befand Anne Fleig, „sein Deutsch.“ Der Begriff ‚gebrochenes Deutsch‘, werde generell zu negativ verwendet, resümierte die Literaturwissenschaftlerin am Ende des Gesprächs: „Es geht nicht um Scherben des Deutschen, sondern darum, dass Sprache geteilt wird. Die Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschende Vorstellung, dass es ein reines, einheitliches Deutsch gibt, das man exklusiv besitzen kann, ist so nicht mehr aktuell.“

In der Kulisse des Deutschen Theaters

Als bauliche Verkörperung des historischen Nationalgedankens entpuppte sich das Deutsche Theater als guter Ort, um über Mehrsprachigkeit in der Gegenwartsliteratur nachzudenken. Literatur, Theater und Nationalbewusstsein seien auch in Deutschland eng miteinander verbunden, sagte Politikwissenschaftlerin Cilja Harders. Schließlich hätten Autoren wie Schiller oder Lessing das Entstehen der deutschen Nation mit ihrer Epik, Dramatik und Lyrik maßgeblich beeinflusst.

Über die Veranstaltungsreihe „Wer Wen“

Der Abend war Teil der von Cilja Harders konzipierten Vortrags- und Gesprächsreihe. Sie steht unter dem Titel „Wer Wen“, mit dem auch die laufende Spielzeit des Deutschen Theaters überschrieben ist. „Absichtlich etwas rätselhaft" sei das Motto, sagte Claus Caesar, Chefdramaturg des Hauses, bei seiner Einführung: „Es fordert, vervollständigt zu werden: Wer gegen wen? Wer für wen?“. Auf diese Weise komme man schnell ins Gespräch über Verhältnisse der Macht und Repräsentation.

Cilja Harders hatte im Rahmen der Reihe bereits mit dem Sozialanthropologen Olaf Zenker ein Gespräch geführt zu „Land- und Verfassungskonflikten in Südafrika“, ein Amerikanist hatte über „Verschwörungstheorien und Populismus im Zeitalter des Internets“ gesprochen, ein Journalist aus Syrien berichtet.

Am 7. März diskutiert Cilja Harders mit der Politikwissenschaftlerin Miriam Hartlapp von der Freien Universität unter dem Titel „Frankreich zwischen Polarisierung und Protest“ über die Hintergründe der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich.

Weitere Informationen

Macron, démission!" – Frankreich zwischen Polarisierung und Protest“

Cilja Harders im Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Miriam Hartlapp

Frankreich wird seit Monaten von Protesten erschüttert und erlebt die größte Massenmobilisierung seit den 1968er Jahren. Cilja Harders spricht mit Miriam Hartlapp, Professorin für deutsch-französische Beziehungen am Otto-Suhr Institut der Freien Universität Berlin, über die Hintergründe dieser Entwicklungen.

Wer sind die Gelbwesten, und was wollen sie? Erleben wir neue Formen der gesellschaftlichen und politischen Polarisierung? Und was bedeuten die Proteste für Europa und die Europäische Integration?

In Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich „Affective Societies", gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Zeit und Ort

  • Donnerstag, 7. März 2019, 18.30 Uhr
  • Deutsches Theater, Schumannstraße 13A, 10117 Berlin

Der Eintritt ist frei.