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Olaf Scholz und die Lehren aus der Finanzkrise

Der Bundesfinanzminister war im Rahmen einer von Studierenden organisierten Ringvorlesung zu Gast an der Freien Universität – im Audimax stellte er sich Fragen zur Finanzkrise und den Konsequenzen

28.06.2019

Die VWL-Studierenden Lars Felder und Gerrit Schröter hatten Bundesfinanzminister Olaf Scholz ins Seminar eingeladen.

Die VWL-Studierenden Lars Felder und Gerrit Schröter hatten Bundesfinanzminister Olaf Scholz ins Seminar eingeladen.
Bildquelle: Miriam Klingl

Zwanzig Minuten vor Beginn der Veranstaltung ist das Foyer des Henry-Ford-Baus gut gefüllt. Die Gesichter der Studierenden sind voller Erwartungen – es passiert schließlich nicht alle Tage, dass der Bundesfinanzminister zur Diskussion vorbeikommt. Olaf Scholz ist der Einladung der Kritischen Wirtschaftswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen (KriWis) gefolgt – ein studentischer Arbeitskreis, der sich wissenschaftlich mit wirtschaftlichen Fragen auseinandersetzt und sich für mehr Pluralismus in der Lehre und der Forschung einsetzt. Die KriWis organsieren in diesem Semester in Zusammenarbeit mit Barbara Fritz, Wirtschaftsprofessorin am Lateinamerika-Institut der Freien Universität, die Ringvorlesung „Finanzkrisen und Geldsysteme“. Dazu hatten die VWL-Studierenden Lars Felder und Gerrit Schröter kurzerhand Olaf Scholz eingeladen – und der sagte zu.

Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler begrüßte den Minister an der Freien Universität.

Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler begrüßte den Minister an der Freien Universität.
Bildquelle: Miriam Kling

Nach einer kurzen Begrüßung durch den Universitätspräsidenten Günter M. Ziegler betritt Scholz an diesem 19. Juni die Bühne des Audimax: ohne Krawatte, der oberste Hemdknopf geöffnet. Während seines Studiums hatte er sich selbst mit kapitalismuskritischen Wirtschaftstheorien auseinandergesetzt, war Anhänger der marxistisch-leninistischen „Staatsmonopolkapitalismus“-Theorie, die den spätkapitalistischen Staat mit der einer Finanzoligarchie verschmolzen sah.

Vielleicht ist Scholz deshalb eine gewisse Freude anzumerken, als er im Audimax mit grundsätzlicher Kapitalismuskritik konfrontiert wird. An Scholz‘ frei gehaltenen Vortrag schließen sich Fragen aus dem interessierten Publikum an, Cara Nadler und Lars Felder moderierten die Fragerunde.

„In einem Wirtschaftssystem, in dem es nur darum geht, etwas zu produzieren, um es mit Gewinn zu verkaufen, entsteht ein zielloser Wachstumszwang“, bemerkt ein Student. Sei es darum nicht geboten, den wirtschaftlichen Prozess zu demokratisieren? „Auf die Wirtschaftskraft, die im privaten Unternehmertum liegt, sollten wir nicht verzichten, denn sie hat viel Wohlstand ermöglicht. Das wäre in anderen Strukturen nicht zustande gekommen“, entgegnet Scholz. „Was die Marktwirtschaft aber braucht, sind Regeln.“ So sei zum Beispiel der soziale Wohnungsbau eine notwendige öffentliche Aufgabe. „Dass die Eigengesetzlichkeiten kapitalistischer Ökonomien auch zu großen Krisen und Verwerfungen führen können, sollten wir immer wissen. Deshalb war die Idee, den Bankenmarkt zu deregulieren einer der größten Irrtümer der vergangenen Jahrzehnte.“

Nach dem Seminar setzte der Bundesfinanzminister den Austausch mit Studierenden fort: auf dem Sommerfest des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft.

Nach dem Seminar setzte der Bundesfinanzminister den Austausch mit Studierenden fort: auf dem Sommerfest des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft.

Womit der Finanzminister beim zentralen Thema der Veranstaltung angekommen war. Gut ein Jahrzehnt ist vergangen, seit die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz beantragte und die größte Finanzkrise der Nachkriegszeit ins Rollen brachte. „Anfangs dachten viele Politiker in Deutschland, das ist ein amerikanisches Problem, damit haben wir gar nichts zu tun“, erinnert sich Scholz, der damals Bundesminister für Arbeit und Soziales in der Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel war. Doch schnell sei die gesamte Weltwirtschaft ins Taumeln geraten. Andere Finanzhäuser, die zuvor noch gewaltige Gewinne eingefahren hatten, mussten mit Steuergeldern gerettet werden. Daraus habe man gelernt und vorgesorgt, entgegnet Scholz auf kritische Nachfrage: Banken müssten zusätzliche Kapitalpuffer aufbauen, zudem habe man einen europäischen Bankenaufsichtsmechanismus geschaffen, um auch große Geldhäuser im Notfall schnell und ohne Kosten für den Steuerzahler abwickeln zu können.

Zur letzten Finanzkrise gehörte auch die griechische Staatsschuldenkrise, in deren Folge der sogenannte „Euro-Rettungsschirm“ beschlossen wurde. Die damit verbundenen und Austeritätsbestimmungen hatten in Griechenland zunächst zu einer erheblichen Verschlechterung der sozialen Lage geführt. Daraufhin kursierte das zugespitzte Bild des „deutschen Lehrmeisters“, der anderen europäischen Ländern seine Wirtschaftspolitik aufzwinge. Scholz – durch Fragen mit diesem Vorwurf konfrontiert – hält dagegen, dass Deutschland als zahlkräftiges Land durchaus solidarisch in europäischen Staaten investiere, beispielsweise in die Infrastruktur osteuropäischer Länder.

Auch die Frage des deutschen Exportüberschusses wird von einem Studenten kritisch aufgeworfen. Scholz räumt ein, dass es Kritik an der deutschen Handelsbilanz im internationalen Kontext gebe, hält jedoch den Bewegungsspielraum der Bundesregierung hier für begrenzt. Denn Deutschland werde wohl kaum die heimischen Unternehmen schwächen, von denen viele auf den Weltmarkt exportieren – im Gegenteil: Durch öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung werde die Wettbewerbsfähigkeit durch die Bundesregierung gar gefördert, und viele deutsche Unternehmen schafften Arbeitsplätze auch im Ausland. Die Regierungen wirtschaftlich schwächerer Länder, argumentiert Scholz, müssten bei sich für bessere Investitionsbedingungen sorgen, damit ausländische Investoren dort Arbeitsplätze schaffen könnten.

Applaus erntet bereits die Frage, weshalb nach der Finanzkrise immer noch keine Finanztransaktionssteuer zustande gekommen sei, also eine Abgabe beispielsweise auf den Verkauf von Finanzanlagen. Das habe er sich auch gefragt, als er Bundesfinanzminister wurde, antwortet Scholz, besonders angesichts der Tatsache, dass die Einführung einer solchen Steuer zuvor bereits in zwei Koalitionsverträgen festgeschrieben gewesen war. Das Problem seien europäische Unstimmigkeiten gewesen. „Einige Finanzminister wollten eine Steuer, aber nur wenn sie ganz doll ist, ein Teil nur, wenn sie ganz sachte ist. Ein Teil wollte sie gar nicht, ein Teil wollte sie nur, wenn sie in allen europäischen Staaten eingeführt wird.“ Nun stehe aber ein Kompromiss bevor, im Herbst solle ein Rechtstext zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer vorliegen.

Zumindest in einem Punkt – jenseits des ökonomischen Streites – herrscht Einigkeit an diesem Abend: Olaf Scholz verweist eingangs auf den Fall des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der von einem rechtsextremen Täter ermordet wurde: „Solche Gewalttaten dürfen in unserem Land nie wieder Praxis werden.“

Weitere Informationen

Das Bundesministerium der Finanzen hat den Besuch des Ministers an der Freien Universität Berlin in einem Video festgehalten.