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Spielerisch die Wirtschaft neu erfinden

Bei der SchülerUni „Nachhaltigkeit + Klimaschutz“ haben Kinder darüber nachgedacht, welche Art des Wirtschaftens sie für sinnvoll und wünschenswert halten – und was sie selbst beitragen können

09.10.2019

Im SchülerUni-Workshop „1, 2, 3. Aus Müll mach Allerlei“ wurde gebastelt: Portemonnaies aus Tetrapaks.

Im SchülerUni-Workshop „1, 2, 3. Aus Müll mach Allerlei“ wurde gebastelt: Portemonnaies aus Tetrapaks.
Bildquelle: Sören Maahs

Die Sechstklässler der Berliner Sonnenblumengrundschule überlegen. Was ist Nachhaltigkeit? Was ist Gemeinwohl? Was hat die Wirtschaft mit der Erderwärmung zu tun? Warum hat Greta Thunberg die Schulstreikbewegung gestartet? Die jungen Schülerinnen und Schüler machen mit beim Workshop „Ich, das Gemeinwohl und Fridays for Future“, einem von mehr als 70 Angeboten der SchülerUni Nachhaltigkeit + Klimaschutz, die zweimal jährlich an der Freien Universität stattfindet. Seit 2005 lädt die Hochschule immer im Herbst und im Frühling auf ihren Campus ein und heißt rund 2600 Berliner Kinder aus 50 Berliner Schulen willkommen.

Bea Hackbarth leitet den vierstündigen Workshop. Die Soziologin ist bei „Lernsinn erlebbar“ aktiv, einem Verein, der sich unter anderem für ein Wirtschaftssystem einsetzt, das sich statt an Wachstum an Nachhaltigkeit orientiert. „Mit dem Workshop möchten wir anregen, dass die Kinder über das Verhältnis von Geld als Mittel und dem Gemeinwohl als Zweck des Wirtschaftens nachdenken“, sagt die Aktivistin.

Was ist Gemeinwohl? Was ist Nachhaltigkeit?

„Gemeinwohl“, sagt die Schülerin Alicia, „heißt, dass es allen gut geht, nicht nur wenigen Reichen mit viel Geld.“ „Und dass man nicht nur an sich selbst denkt“, fährt ihr Klassenkamerad Henry fort. „Nachhaltig ist, wenn man die Dinge nicht gleich wegschmeißt, sondern wiederverwendet“, findet Meryem. Die Kinder im Alter von zehn bis zwölf Jahren wissen längst, was sie für das Klima tun können: mit dem Fahrrad zur Schule fahren, weniger fliegen, seltener Fleisch essen, Strom sparen, Müll vermeiden. Klimaschutz fängt im Kleinen an.

Zusammenhang von Wirtschaft und Klimaschutz

„Greta möchte die Politiker zum Handeln bewegen“, sagt Maximilian. „Wenn es nämlich zu heiß ist, kann man es auf der Erde nicht mehr aushalten.“ Alicia nimmt den Gedanken auf: „Dadurch, dass es immer heißer wird, wird es immer trockener. So trocken, dass die Wälder brennen, die den Sauerstoff produzieren, den wir atmen.“ Oder wie es Henry formuliert: „Wir hauen uns selbst den Boden unter den Füßen weg.“

Leon dagegen weiß, dass Brandrodung für viele südamerikanische Kleinbauern die einzige erschwingliche Möglichkeit ist, um durch die Aschedüngung ihre Produktion zu fördern: „Das machen sie, damit sie mit den Feldern ihre Familien ernähren können.“ Hier stoßen die Schülerinnen und Schüler auf ein echtes Dilemma: Während einerseits die Angst um den Fortbestand des Amazonasregenwalds groß ist, sorgen sich die von der Ausbeutung der Wälder lebenden Menschen um ihre Existenz.

„Aber was soll es bringen, wenn die Bauern ihre Familien ernähren können, wenn sie damit das Leben ihrer Kinder in der Zukunft unmöglich machen?“, fragt Alicia. Durch die Diskussion gelangen die Schüler von ganz allein zur Erkenntnis, dass ohne den Erhalt unserer Lebensgrundlage, Wirtschaften keinen Sinn ergibt.

Gewinnstreben auf Kosten des Gemeinwohls? Es geht auch anders: Im Spiel bleiben kann nur, wer mit beiden Füßen auf den Ressourcen steht. Und: Nur wer mit einem sozialen Faden in Berührung ist, dem geht es wirklich gut.

Gewinnstreben auf Kosten des Gemeinwohls? Es geht auch anders: Im Spiel bleiben kann nur, wer mit beiden Füßen auf den Ressourcen steht. Und: Nur wer mit einem sozialen Faden in Berührung ist, dem geht es wirklich gut.
Bildquelle: Sören Maahs

Gewinne auf Kosten der Lebensgrundlage?

Damit sich die Schülerinnen und Schüler in anregender und verständlicher Weise mit den Widersprüchen in der heutigen Wirtschaftswelt auseinandersetzen können, spielt Bea Hackenbarth ein Spiel mit ihnen, und das geht so: Auf dem Boden liegen grüne Stofffetzen, die für erneuerbare Rohstoffe stehen, und schwarze Stofffetzen, die für nicht-erneuerbare stehen. Alle Stofffetzen sind über rote Fäden, die den sozialen Zusammenhalt symbolisieren, miteinander verbunden. Die Schülerinnen und Schüler verteilen sich auf den etwa Din-A4-Blatt-großen Stoffflächen. Ziel des Spiels ist das Überleben, das heißt: im Spiel bleiben, und das kann nur, wer mit beiden Füßen auf den Ressourcen steht. Und: Nur wer mit einem sozialen Faden in Berührung ist, dem geht es wirklich gut.

Durch den Einsatz von Ereigniskarten machen die Kinder unternehmerische Gewinne, die im Spiel Erfolgstaler heißen. Die eingeheimsten Gewinne gehen allerdings auf Kosten der tragenden Ressourcen, wodurch diese schneller verbraucht werden, als sie sich regenerieren können. Im Verlauf des Spiels werden so viele Rohstoffe entnommen, bis das Personengefüge immer wackliger wird und schließlich zusammenbricht.

„Das Spiel veranschaulicht das Problem von Gewinnstreben auf Kosten des Gemeinwohls und eröffnet die Diskussion für wirtschaftliche Alternativen“, erklärt Bea Hackbarth. Im Anschluss reflektieren die Schüler, welche Art des Wirtschaftens sie für sinnvoll und wünschenswert halten und was sie persönlich tun können.

Spielend recyceln: „1, 2, 3. Aus Müll mach Allerlei“

Während die sechste Klasse über eine ethische Marktwirtschaft nachdenkt, basteln und werkeln die Fünftklässler von der Charlottenburger Dietrich-Bonhoeffer-Grundschule mit Plastikmüll. Längst findet sich Plastik überall auf der Erde, als riesiger Strudel in den Ozeanen und als Mikroplastik im Blut des Menschen. Verpackungen machen den Großteil des Mülls aus, Deutschland ist mit jährlich mehr als 200 Kilogramm Verpackungsmüll pro Kopf sogar Europameister. Die enorme Haltbarkeit des Materials wird zum Fluch.

Ziemlich praktisch und langlebig: aus Abfall gebastelte Tetrapak-Portemonnaies.

Ziemlich praktisch und langlebig: aus Abfall gebastelte Tetrapak-Portemonnaies.
Bildquelle: Sören Maahs

Der Workshop „1, 2, 3. Aus Müll mach Allerlei“, den die Kunstlehrerin Hanne Baum und die Studentin Maria Menzel anbieten, will dem stetig steigenden Plastikberg deshalb kreativ begegnen: Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern basteln sie Portemonnaies aus Tetrapaks. Ein paar gezielte Scherenschnitte und eine geschickte Ziehharmonikafaltung verleihen alten Milch- und Saftpackungen ein zweites Leben.

Kreativität fördern und die Lust auf Wiederverwertung wecken

Schülerin Alva ist begeistert: „Ich finde es eine tolle Idee, dass man aus Wegwerfzeug etwas so Schönes und auch Praktisches machen kann.“ Ihr Portemonnaie hat sie mit einem Muster in leuchtenden Farben verziert. Anis wiederum hofft, dass sich mit der Anzahl seiner Gelbeutel auch sein Taschengeld verdoppelt. Statt Taschengeld möchte Marie in ihrem aus einer Apfelsaftpackung gebastelten Portemonnaie lieber Haargummis, Spangen und andere Kleinigkeiten aufbewahren. „Das kullert sonst nur im Zimmer herum.“

Mit dem Workshop möchte Hanne Baum nicht nur auf die gefährliche Langzeitwirkung von Plastikmüll für Mensch und Tier aufmerksam machen, sondern auch die Kreativität fördern und die Lust auf Wiederverwertung von Abfall wecken. „Vielleicht fangen die Kinder an, Müll mit anderen Augen und neuen Möglichkeiten zu sehen“, sagt sie. „Es geht mir auch darum, eine ausgeprägte Wegwerfmentalität anzugehen. Denn was einmal im Meer landet, das lässt sich nur schwer wieder entsorgen.“

Die Kinder kämen mit sehr viel Wissen in den Workshop, sagt Maria Menzel. „Sie wissen schon ganz genau, dass wir mehr Müll verursachen als die Umwelt verträgt. Zum Beispiel kennen sie die Verpackungsmengen, die anfallen, wenn Avocados aus Guatemala importiert werden.“ Im Workshop, so ihre Hoffnung, könnten die Kinder lernen, dass selbst Verpackungsmüll noch seinen Wert hat. „Denn so ein Tetrapak-Portemonnaie ist erstaunlich langlebig.“

Weitere Informationen

Die nächste SchülerUni Nachhaltigkeit + Klimaschutz findet vom 16. bis 20. März 2020 statt. Anmeldung und weitere Informationen finden Sie hier.