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„Mit offenem Verstand und Herzen mit Büchern kommunizieren“

Die Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien und der Exzellenzcluster 2020 „Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspective“ begrüßten ihre neuen Doktorandinnen und Doktoranden

30.10.2019

Hanan Natour (l.) und Lukas Schramm (r.) moderierten den Abend und stellten die neuen Promovierenden vor.

Hanan Natour (l.) und Lukas Schramm (r.) moderierten den Abend und stellten die neuen Promovierenden vor.
Bildquelle: Lorenz Becker

In einer Villa am Ufer des Wannsees und zu den Klängen eines schwungvollen Jazzquartetts: Die neue Kohorte der Promovierenden an der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule (FSGS) der Freien Universität Berlin wurde auch in diesem Jahr feierlich im Literarischen Colloquium (LCB) willkommen geheißen.

An insgesamt 15 literaturwissenschaftlichen Promotionsvorhaben arbeitet der neue Jahrgang, es ist der größte in der elfjährigen Geschichte der Schule.

Die FSGS wächst unter nicht ganz einfachen Bedingungen. In diesem Herbst läuft die Förderung für Graduiertenschulen durch die Exzellenzinitiative aus – den Vorgängerwettbewerb der Exzellenzstrategie –, über die die Schlegelschule seit ihrer Gründung 2008 finanziert wurde.

Damit ende eine Ära, sagte Jutta Müller-Tamm, Direktorin der Schule, im LCB. Dass die Graduiertenschule so lange schon erfolgreich ist, sei auch Irmela Hijiya-Kirschnereit zu verdanken. Die Japanologie-Professorin habe sie als Direktorin von 2010 bis 2015 mit Bravour durch die zweite Runde der Exzellenzinitiative geleitet, so Jutta Müller-Tamm. Mit der internationalen Ausrichtung habe Irmela Hijiya-Kirschnereit der Einrichtung ein klares Profil gegeben. Für ihre Verdienste wurde die ehemalige Direktorin mit einer Ehrenmitgliedschaft in der Graduiertenschule gewürdigt.

Die Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien war 2008 im Rahmen der Exzellenzinitiative gegründet worden. Der an diesem Abend begrüßte Jahrgang ist der größte in ihrer Geschichte.

Die Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien war 2008 im Rahmen der Exzellenzinitiative gegründet worden. Der an diesem Abend begrüßte Jahrgang ist der größte in ihrer Geschichte.
Bildquelle: Lorenz Becker

Die Schlegelschule ist auch nach der auslaufenden Förderung durch die Exzellenzinitiative so lebendig wie eh und je. Sie vergibt Anschubfinanzierungen für Promotionsinteressierte und Promotionsplätze für Personen mit externen MItteln, vor allem aber kooperiert sie eng mit dem im Rahmen der Exzellenzstrategie eingerichteten Cluster „Temporal Communities – Doing Literature in a Global Perspective“. Der Cluster, der in diesen Tagen feierlich eröffnet wurde, ist ebenfalls international ausgerichtet: „Wir beschäftigen uns mit der Frage, was passiert, wenn Literatur global wird, und wie es dazu kommt. Es geht darum, Literatur neu zu bestimmen: als eine Form der Praxis, die Gemeinschaften in der Zeit und durch die Zeit bildet und die sich nicht in den traditionellen Rahmenkategorien wie Kulturraum oder Epoche beschreiben lässt“, erläutert Andrew James Johnston dessen Konzept. Der Professor für Englische Philologie ist gemeinsam mit Romanistikprofessorin Anita Traninger Sprecher des Clusters.

Promovieren unter einem Dach

Sechs Promovierende des neuen Jahrgangs sind bei „Temporal Communities“ angesiedelt, die anderen neun haben Projektstipendien, externe Finanzierungen durch Stiftungen bzw. den DAAD oder Stellen als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Freien Universität. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen also unterscheiden: „In der intellektuellen Interessantheit und Originalität gibt es keine Unterschiede“, betonte Andrew James Johnston. In der Schlegelschule könnten alle gleichberechtigt und in gemeinsamer Arbeit ihrer wissenschaftlichen Kreativität freien Lauf lassen.

Von Internet-Poesie über den russischen Autor Pavel Ulitin bis zu pälastinensischen Volksmärchen

Diese Kreativität zeigte sich bei der Präsentation der Promotionsthemen. Zeitlich reichen die Forschungsgegenstände vom Talmud bis zur Poesie des Internetzeitalters; räumlich stammen sie aus fernen Regionen wie China und Russland oder finden sich in nächster Nähe, dem Prenzlauer Berg in Berlin. Manche Promovierende werfen ein neues Licht auf literaturgeschichtliche Klassiker, etwa die Gedichte Paul Celans, andere nehmen sich weniger bekannte Themen vor: die Stoffwechselmetapher im Werk des russischen Autors Pavel Ulitin zum Beispiel. Oder palästinensische Volksmärchen, die eine Doktorandin ihrer Tochter vorliest, die für das Forschungsprojekt anschließend selbstgemalte Bilder beisteuert.

Sharon Dodua Otoo wurde 2016 mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet. Die britische Schriftstellerin und Aktivistin hielt ...

Sharon Dodua Otoo wurde 2016 mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet. Die britische Schriftstellerin und Aktivistin hielt ...
Bildquelle: Lorenz Becker

Die britische Autorin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo, Bachmann-Preisträgerin des Jahres 2016, hielt in diesem Jahr die Festrede: eine unterhaltsame und ironische Betrachtung literaturwissenschaftlichen Arbeitens. Den Titel ihrer Rede – ursprünglich „Wenn Bücher miteinander sprechen könnten“ – ersetzte die Autorin durch eine akademischer anmutende Überschrift: „Über die Möglichkeit der sprachlichen Auseinandersetzung von Druckwerken – eine teilnehmende Beobachtung“.

Unter Zuhilfenahme einer Powerpoint-Präsentation mitsamt Gliederung und Schaubildern berichtete Otoo von der „weltweit ersten Studie“, die beweise, dass Bücher tatsächlich miteinander sprächen. Statistiken zeigten: „Über siebzig Prozent aller Taschenbücher halten sich für selbstbestimmt, rational und emanzipiert – werden gebundene Ausgaben gefragt, ist der Prozentsatz sogar noch höher.“

... eine unterhaltsame und ironische Betrachtung literaturwissenschaftlichen Arbeitens.

... eine unterhaltsame und ironische Betrachtung literaturwissenschaftlichen Arbeitens.
Bildquelle: Lorenz Becker

Von Ähnlichkeiten zwischen Büchern und Menschen kam die Autorin zu einer „Fallstudie“, einem Dialog zweier Bücher: Ausgewählt hatte sie die von ihr verfasste Novelle „Synchronicity“ und „Lucinde“, den einzigen Roman Friedrich Schlegels, Namensgeber der Graduiertenschule.

„Lest uns bitte langsam! Wozu die ganze Hetze?“

Immer wieder sei es zwischen den beiden Büchern, die sich nebeneinander ins Regal gestellt wiederfanden, zu Missverständnissen gekommen, so Sharon Dodua Otoo. Um diese zu vermeiden, sei eine vermittelnde Person wichtig – vielleicht ein Hinweis auf die Rolle der Literaturwissenschaft. Die beiden Bücher, berichtete die Festrednerin, hätten einen klaren Ratschlag für die Menschen: „Lest uns bitte langsam! Wozu die ganze Hetze?“ Es sei eine große Tragödie, so die Autorin weiter, wieviel Wissen den Menschen entgehe, weil sie nicht zuhörten, wenn Bücher „sprechen“. Dem könne man nur entgegenwirken, indem man mit offenem Herzen und Verstand mit den Büchern kommuniziere.

Weitere Informationen

Lesen Sie hier die Festrede von Sharon Dodua Otoo: „Wenn Bücher miteinander sprechen könnten“.

Weitere Informationen

Aktuell schreibt die Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule gemeinsam mit dem Exzellenzcluster „Temporal Communities“ erneut unterschiedliche Positionen für Promovierende aus. Weitere Infromationen zur Ausschreibung, die am 15. Dezember 2019 endet, finden sich hier.