Springe direkt zu Inhalt

Zwischen den Sprachen

Uljana Wolf, die dreizehnte Schlegel-Gastprofessorin für Poetik der Übersetzung, entwickelte in ihrer Antrittsvorlesung eine Theorie der poetischen Translingualität

10.12.2019

Uljana Wolf bei ihrer Antrittsvorlesung im Collegium Hungaricum.

Uljana Wolf bei ihrer Antrittsvorlesung im Collegium Hungaricum.
Bildquelle: Sören Maahs

Der Vortrag Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens des Übersetzungstheoretikers Friedrich Schleiermacher aus dem Jahr 1813 beschäftigt die Translationswissenschaft bis heute. Schleiermacher zufolge besteht die Aufgabe der Übersetzung darin, sich so weit wie möglich an der Ausgangssprache und Ausgangskultur auszurichten. Diese Methode des „Verfremdens“ müsse erahnen lassen, dass die Sprache der Übersetzung „nicht ganz frei gewachsen, vielmehr zu einer fremden Ähnlichkeit hinübergebogen sei“. Anders lasse sich der „Geist der Sprache“ des Originals nicht in die Übersetzung retten. Diese Idee bereitet Schleiermacher aber auch Schwierigkeiten. Produziere eine solche Methode nicht notwendigerweise eine ungelenke, künstliche, ja unreine Sprache? Seinen Zwiespalt lässt er erkennen, wenn er die rhetorische Frage stellt: „Wer möchte nicht lieber Kinder erzeugen, die das väterliche Geschlecht rein darstellen, als Blendlinge?“

Uljana Wolf nahm genau dieses Wort – „Blendling“ – zum Ausgangspunkt ihrer Antrittsvorlesung. Unter dem Titel „Bring your own Blendling“ hielt die Dichterin und Übersetzerin am 24. Oktober im Collegium Hungaricum ihre Antrittsvorlesung als dreizehnte August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessorin für Poetik der Übersetzung am Peter-Szondi-Institut für Vergleichende und Allgemeine Literaturwissenschaften der Freien Universität Berlin. Sie sprach darin über ihre Vorstellung von translingualer Lyrik. Selbst hat sie mehrsprachige Literatur verfasst und übersetzt (aus dem Englischen, Polnischen und Portugiesischen). Für beides, Schreiben und Übersetzen, hat sie zahlreiche Preise erhalten.

Übersetzungstheoretisches „Flaggschiff“

In diesem Wintersemester hält Uljana Wolf an der Freien Universität Berlin ein Seminar, das den Titel „Gedichte übersetzen, Sprachkörper vernetzen“ trägt. Neben der Lektüre einflussreicher Aufsätze – von Schleiermacher bis Gayatri Spivak – werden die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer selbst Übersetzungsproben erstellen, die dann ausführlich besprochen werden. Michael Gamper, geschäftsführender Direktor des Peter-Szondi-Instituts, nannte das gemeinsam mit dem Deutschen Übersetzerfonds ausgerichtete Seminar das „Flaggschiff“ der übersetzungstheoretischen Auseinandersetzungen am Institut. Dies zeige sich auch darin, dass sich mit 42 Studierenden weit mehr für die Teilnahme beworben haben, als in ein solches Seminar aufgenommen werden können. „Man kann die Studierenden nur beneiden, die sich mit Uljana Wolf auf Schmugglerfahrt in die Sprache begeben dürfen“, sagte Marie Luise Knott, Vorstandsmitglied des Deutschen Übersetzerfonds, in ihrer Einführung.

(v. l. n. r.) Prof. Dr. Michael Gamper (Peter-Szondi-Institut), Jürgen Jakob Becker (GF Deutscher Übersetzerfonds), Gastprofessorin Uljana Wolf, Marie Luise Knott (Vorstand Deutscher Übersetzerfonds) und Dr. Márta Nagy (Collegium Hungaricum).

(v. l. n. r.) Prof. Dr. Michael Gamper (Peter-Szondi-Institut), Jürgen Jakob Becker (GF Deutscher Übersetzerfonds), Gastprofessorin Uljana Wolf, Marie Luise Knott (Vorstand Deutscher Übersetzerfonds) und Dr. Márta Nagy (Collegium Hungaricum).
Bildquelle: Sören Maahs

Was aber ist nun ein Blendling? Ein Blendling, so las Uljana Wolf im Grimm’schen Wörterbuch, ist ein „bastart und zwitter, wodurch die reine natürliche art getrübt und gemischt wird, von menschen, thieren und pflanzen“. Etymologisch doppelt abgeleitet von „blenden“ und dem Englischen „to blend“ (vermischen), lässt das Wort „Blendling“, so Uljana Wolf, „die Sprache performen, wovon sie spricht“. In ihm stecke die produktive Vorstellung der Verwirrung, Vermischung und „Trübung des Normierten“.

Dass die Übertragung von Literatur in eine andere Sprache unreine Mischwesen produziert, mag für Schleiermacher im Falle der Übersetzung noch zulässig sein. Die Literatur in der angeblich einheitlichen, quasi-natürlichen Muttersprache darf bei ihm aber „keine Mischpoke“ sein, wie Uljana Wolf es formulierte. Damit breite Schleiermacher eine Übersetzungstheorie aus, die sprachliche Zugehörigkeit bestimmt. Und um diese Zugehörigkeiten und ihre Infragestellung geht es der Gastprofessorin. Schleiermacher, sagte sie, verantwortete mit seinem berühmten Vortrag nicht nur einen Paradigmenwechsel in Bezug auf den „respektvollen sprachlichen Umgang mit dem Fremden, mit den fremden Texten und dem fremden Denken“. Sondern es würden zugleich „gelebte Vielsprachigkeit und multilinguale Autorschaft aus dem Bewusstsein und der Selbstwahrnehmung der deutschen Literatur gestohlen“. Was unser Denken über Sprache und Zugehörigkeit oder Autorschaft und Übersetzung bis heute beeinflusse.

Die Lyrik war immer schon „Blendlingssprache“

Aus ihrer eigenen poetischen Erfahrung aber weiß Uljana Wolf: „Die Literatur, zumal die Lyrik, kennt keine reinen Kinder“, sie sei immer schon „Blendlingssprache“ gewesen. Translinguale Lyrik zum Beispiel – das heißt durch Mehrsprachigkeit und Übersetzungsprozesse hergestellte Lyrik – unterlaufe die strenge Unterscheidung zwischen Original und Übersetzung, von Fremd- und Muttersprache, von Eigenem und Fremden. In diesem Licht lässt sich ihre Rede von der „Blendlingssprache“ verstehen als Einspruch gegen die Überhöhung sprachlicher Zugehörigkeit. Entschieden wendet sie sich dagegen, die dominante Eigenkultur identitätspolitisch aufzuladen: „Ich hoffe, dass meine Arbeit zu einer neuen Betrachtung von poetischer Übersetzung in unserem zwar vielsprachigen, aber von beängstigend monolingualem und monokulturellem Denken bedrohten Heute beitragen kann.“

An verschiedenen Beispielen aus ihrer eigenen Praxis erläuterte Uljana Wolf ihre Vorstellung eines „translingualen Sprachereignisses“. Da ist etwa die prinzipielle „Unzugehörigkeit“ des mehrsprachigen Dichters Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki, dessen Gedichtband „Norwinds Geliebte“ sie übersetzt hat. In seiner Lyrik scheint die ukrainisch-polnische Mischsprache Chachlakisch immer wieder durch und rüttelt am Mythos der Einsprachigkeit. „Wenn ich mir Gedichtübersetzungen anschaue, habe ich oft den Eindruck, es ist nicht genug Blendlingssprache darin“, sagte Uljana Wolf zum Abschluss ihrer Antrittsvorlesung. „Ich wünsche mir oft viel mehr Wildheit, viel mehr bending, mehr Echoräume für das Spiel der Sprache.“