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Gemeinsam auf Spurensuche

Studierende der Berliner Universitäten lernen in Seminaren und Vorträgen, wie die Herkunft von Kunstwerken erforscht wird – ein neuer Flyer bündelt das Studienangebot zur Provenienzforschung

10.04.2019

„Susanna“ von Reinhold Begas in der Alten Nationalgalerie Berlin. Die Skulptur gehörte zur Kunstsammlung des deutsch-jüdischen Verlegers Rudolf Mosse, an deren Rekonstruktion und Erforschung auch Studierende der Freien Universität beteiligt sind.

„Susanna“ von Reinhold Begas in der Alten Nationalgalerie Berlin. Die Skulptur gehörte zur Kunstsammlung des deutsch-jüdischen Verlegers Rudolf Mosse, an deren Rekonstruktion und Erforschung auch Studierende der Freien Universität beteiligt sind.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Auch für Forschungslandschaften können Reiseführer nützlich sein. Ein solcher ist der Flyer, den Meike Hoffmann, promovierte Kunsthistorikerin an der Freien Universität, und Christine Howald, promovierte Historikerin an der Technischen Universität, nun schon zum zweiten Mal zusammengestellt haben. Darin aufgelistet finden sich die Seminare und Vortragsreihen zum Thema Provenienzforschung, die an der Freien Universität Berlin und der Technischen Universität Berlin sowie der Humboldt-Universität zu Berlin – Partnerinnen in der Berlin University Alliance – angeboten werden. Ebenfalls aufgenommen wurde das Angebot der Hochschule für Wirtschaft und Technik.

Gemeinsam bilden diese unterschiedlichen Lehrveranstaltungen zu Themen wie „Aufgaben und Methoden der Provenienzforschung“ und „Kunst und Recht“ bis hin zu „Das Naturkundemuseum, seine Geister und Monster“ eine Art ideales Studienprogramm – über die Grenzen der Einrichtungen hinweg.

Typische Anzeigen führender deutscher Ostasiatika-Händler in der „Ostasiatischen Zeitschrift“ aus dem Jahr 1912.

Typische Anzeigen führender deutscher Ostasiatika-Händler in der „Ostasiatischen Zeitschrift“ aus dem Jahr 1912.
Bildquelle: Christine Howald

Für die beiden Wissenschaftlerinnen könnte das die Grundlage für eine verstärkte Zusammenarbeit der Universitäten in der Zukunft sein. „Wir wollen ein Programm entwickeln, das die Expertise der verschiedenen Einrichtungen bündelt und international ausgerichtet ist“, sagt Christine Howald, die an der Technischen Universität zu chinesischer, japanischer und koreanischer Kunst – sogenannte Ostasiatika – auf dem westlichen Kunstmarkt im 19. und 20. Jahrhundert arbeitet und hier den Forschungsschwerpunkt TEAA – Tracing East Asian Art aufgebaut hat und leitet.

„Wir sehen das als ideales System, wenn das Programm von unterschiedlichen Einrichtungen sowie Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen abgedeckt wird“, erklärt Meike Hoffmann, seit mehr als zehn Jahren Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Universität.

Derzeit leitet die Kunsthistorikerin die institutionenübergreifende Mosse Art Research Initiative (MARI), ein Forschungsprojekt, dessen Ziel es ist, den Verbleib der einst etwa 4000 Stücke umfassenden Sammlung des Berliner Verlegers und Mäzens Rudolf Mosse zu rekonstruieren. Es ist die erste öffentlich-private Partnerschaft in der Provenienzforschung, bei der deutsche Institutionen mit Nachfahren von Opfern der rassischen Verfolgung während des NS-Regimes kooperieren.

Während an der Freien Universität in den vergangenen Jahren – auch durch die Arbeit von Meike Hoffmann, die 2012 staatsanwaltlich mit der wissenschaftlichen Untersuchung des Falles Gurlitt beauftragt worden war – ein Schwerpunkt auf der Kunst im Nationalsozialismus sowie Sammlungsgeschichte allgemein entstanden ist, stehen an der Technischen Universität die Kunstmarktforschung und die außereuropäische Kunst im Mittelpunkt, so bei TEAA – Tracing East Asian Art, dem Bereich von Christine Howald.

Bénédicte Savoy, an der Technischen Universität Leiterin des Fachgebiets Kunstgeschichte der Moderne, verfasste im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem senegalesischen Wissenschaftler und Autor Felwine Sarr im Auftrag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Bericht zur Restitution des afrikanischen Kulturerbes.

An der Humboldt-Universität beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem am Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage mit der Geschichte und Herkunft von Objekten in ethnographischen und naturkundlichen Sammlungen. Mit einbezogen in das Netzwerk zur Provenienzforschung wurde auch die Hochschule für Technik und Wirtschaft, die den Bachelorstudiengang Museumskunde anbietet.

Ostasiatische Multiplen im Weltmuseum Wien

Ostasiatische Multiplen im Weltmuseum Wien
Bildquelle: Christine Howald

In dieser Vielfalt sehen die beiden Wissenschaftlerinnen eine große Stärke, denn das neue Arbeitsgebiet, dessen Methodologie sich noch herausbilde, lebe von der Vernetzung, sagt Meike Hoffmann. Nur durch Austausch könne man den verschlungenen Pfaden folgen, die Kunstwerke und andere Objekte oftmals zurückgelegt hätten. „Wir müssen ständig im Gespräch bleiben, um überhaupt zu Ergebnissen zu kommen“, sagt Christine Howald.

Wenn es etwa um Einordnung von Händler- oder Sammlermarken auf Objekten geht, um Restitutionsfragen oder die Umrechnung alter Währungen – viele Fragen lassen sich nur durch die Expertise von Kolleginnen und Kollegen und dank des Instrumentariums anderer Fächer lösen. In den Lehrveranstaltungen lernen die Kunstgeschichtsstudierenden so auch Expertinnen und Experten aus der Archäologie, den Geschichts- oder der Rechtswissenschaften kennen; Kuratorinnen und Kuratoren aus den Museen sind ebenfalls eingebunden.

Meike Hoffmann (li.), promovierte Kunsthistorikerin an der Freien Universität, und Christine Howald (re.), promovierte Historikerin an der Technischen Universität, planen einen universitätsübergreifenden Studiengang Provenienzforschung.

Meike Hoffmann (li.), promovierte Kunsthistorikerin an der Freien Universität, und Christine Howald (re.), promovierte Historikerin an der Technischen Universität, planen einen universitätsübergreifenden Studiengang Provenienzforschung.
Bildquelle: Nina Diezemann

Besonders wichtig sei es, sich mit der Arbeit in Archiven vertraut zu machen, sagt Meike Hoffmann. Denn ein Werk oder die Genese einer Sammlung hinterlassen oftmals Spuren in Akten, Listen und Protokollen, in Briefen und Vermerken.

So gibt das Handelsregister im Landesarchiv etwa Auskunft über Verkäufe im Kunsthandel, und in den Akten der Oberfinanzpräsidien ist der zurückgelassene Hausrat sowie das übrige Vermögen der deportierten und in den Konzentrationslagern ermordeten deutschen Juden dokumentiert – beide Archive sind unerlässlich für die Erforschung der Herkunft von Werken für die Zeit des Nationalsozialismus. Das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes und das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz bewahren Quellen zur Kolonialgeschichte.

Studierende an der Forschung beteiligen

Studierende können in den Lehrveranstaltungen auch selbst einen Beitrag zur Forschung leisten. Sie sind dabei behilflich, bestimmte Aktenbestände systematisch aufzuarbeiten, etwa im Mosse-Projekt, sagt Meike Hoffmann. Die vertiefende Arbeit werde dann von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geleistet. Auch in einem Seminar von Christine Howald haben Studierende im Museum für Asiatische Kunst unbekannte Geschichten von Objekten rekonstruieren können.

Immer wichtiger werden für diese Detektivarbeit die digitalen Techniken, und das nicht nur, weil über Datenbanken wie etwa jene, die derzeit im Zuge der Mosse Art Research Initiative entsteht, Wissen auch anderen Forscherinnen und Forschern zugänglich gemacht wird. Computerprogramme unterstützen die Identifizierung von Kunstwerken, etwa indem historische Fotografien entzerrt werden können. Auch bei der Erforschung von Multiplen – von ostasiatischen Objekten wurden oftmals mehrere identische Stücke produziert, erzählt Christine Howald – sollen Computer helfen. „Wir interpretieren Werke oder Quellen – aber die Daten erzählen oftmals eine andere Geschichte“, sagt sie.

Das Thema Provenienzforschung löst politische Debatten aus

Wenn Kunstwerke restituiert werden – weil ihre ursprünglichen Eigentümer sie etwa zu Schleuderpreisen an Kunsthändler wie Hildebrand Gurlitt im Nationalsozialismus verkaufen mussten – oder ganze Bestände an die Herkunftsländer zurückgegeben werden sollen – wie Bénédicte Savoy und Felwine Sarr das in ihrem Bericht fordern – löst das politische Debatten aus. Auch für die Ostasiatika rechnet Christine Howald mit Restitutionsforderungen aus China. Wie verhalten sich die Wissenschaftlerinnen in ihren Seminaren zu solchen Fragen?

Die Studierenden kämen oft sehr motiviert in die Veranstaltungen, wollten „etwas wiedergutmachen“, erzählt Meike Hoffmann. Für die Forschung sei diese emotionale Einstellung nicht immer hilfreich. Und so sind kontroverse Debatten, die oftmals unpräzise Berichterstattung in den Medien oder die Interessen der verschiedenen Akteure auf diesem Feld immer wieder Thema in den Lehrveranstaltungen – auch um eine eigene Haltung entwickeln zu können, sagt Christine Howald. Hier könne man viel von den Anthropologen lernen.

Dass die Provenienzforschung nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine Herausforderungen für die Museen ist, sehen die beiden Wissenschaftlerinnen als Chance, um die Ausbildungsmöglichkeiten in Berlin mit seinen zahlreichen Museen, Archiven und Universitäten auszubauen.

„Wir decken hier das breiteste Feld ab – das ist so in anderen Städten nicht möglich“, sagt Meike Hoffmann. Doch auch wenn sich die Studierenden die Veranstaltungen an den anderen Einrichtungen anrechnen lassen können – die Studienordnungen und Anforderungen unterscheiden sich voneinander.

Das könnte in der Berlin University Alliance, dem geplanten Verbund von Freier Universität, Humboldt-Universität, Technischer Universität und Charité - Universitätsmedizin Berlin, einfacher werden. Und vielleicht können dann auch Interessierte aus aller Welt auf Englisch systematisch an mehreren Universitäten Provenienzforschung studieren. Denn das große Ziel von Meike Hoffmann und Christine Howald heißt: „ein gemeinsames Programm für Berlin“.


Provenienzforschung an Berliner Universitäten