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Woher kommt das Berliner Trinkwasser?

Jordanische Geologiestudierende ließen sich im Rahmen ihres Aufenthalts an der Freien Universität den Berliner Wasserkreislauf erklären

05.08.2019

Professor Michael Schneider (rechts) erklärt, wie Berlin ans Trinkwasser kommt. Da lauschen sogar die Wasservögel.

Professor Michael Schneider (rechts) erklärt, wie Berlin ans Trinkwasser kommt. Da lauschen sogar die Wasservögel.
Bildquelle: Sören Maahs

Am Ostufer der Unterhavel steht ein Dutzend Menschen im Sand. Dort, unweit der Badestelle Große Steinlanke, erklärt der Hydrogeologe Professor Michael Schneider einer Gruppe von jordanischen Geologiestudierenden das Berliner Trinkwassermanagement. Ein junger Schwan verfolgt mit zwischen Misstrauen und Neugier pendelnder Miene dem wissenschaftlichen Vortrag, während etwas abseits ein Blässhuhn-Paar Zwiesprache hält.

Berlin sei in Vielem speziell, erklärt Michael Schneider, so auch bei der Wasserversorgung. Die meisten deutschen Großstädte beziehen ihr Trinkwasser aus Regionen außerhalb des eigenen Stadtgebietes. In der Hauptstadt hingegen erfolgt die Wasserversorgung fast ausschließlich innerhalb der Berliner Stadtgrenze. Da die natürlich gebildeten Grundwasservorräte zur Versorgung nicht ausreichen, setzt man zusätzlich auf Grundwasseranreicherung durch Oberflächenwasser: Rund 60 Prozent des Trinkwassers wird durch Uferfiltration aus Havel und Spree sowie den angeschlossenen Seen gewonnen.

Uferfiltration, erklärt Michael Schneider, funktioniert so: In der Nähe vom Ufer sind Trinkwasserbrunnen installiert. Er deutet auf einen von Maschendraht umzäunten Brunnen etwa 50 Meter landeinwärts, von dem lediglich ein grüner Deckel sichtbar ist. Mehr als 800 solcher Brunnen – zwischen 30 und 100 Metern tief – ziehen sich in langen Galerien entlang der Berliner See- und Flussufer. Die Absenkung des Wasserspiegels in den Brunnen zieht das Wasser aus den Seen und Flüssen in das Grundwasser.

Da die Versickerung langsam und durch viele verschiedene Bodenschichten vonstattengeht – sie dauert mindestens 50 Tage lang, mitunter ist das Wasser mehrere Monate oder sogar Jahre unterwegs – erfolgt dadurch eine gründliche Reinigung: Die Sand- und Kiesschichten im Untergrund bilden einen natürlichen Filter. Sie halten schädliche Inhaltsstoffe aus dem Sickerwasser zurück, die von Mikroorganismen abgebaut werden. „Besonders effektiv werden bei der Uferfiltration Trübstoffe und krankheitserregende Keime im Wasser entfernt“, sagt Michael Schneider.

Ad-hoc-Lehre im Grunewald: Landkarten, Diagramme und geologische Profile werden kurzerhand mit Magneten am universitätseigenen Kleinbus befestigt.

Ad-hoc-Lehre im Grunewald: Landkarten, Diagramme und geologische Profile werden kurzerhand mit Magneten am universitätseigenen Kleinbus befestigt.
Bildquelle: Sören Maahs

Aus den Brunnen gelangt das Grundwasser in die Wasserwerke, wo es belüftet, von Eisen und Mangan befreit und in Reinwasserbehältern gespeichert wird. Nach der Wassernutzung und der Behandlung in der Kläranlage gelangt es zurück in die Seen und Flüsse, und der Kreislauf beginnt von Neuem. „Viele Berliner wissen gar nicht, dass der Tegeler See überwiegend aus aufbereitetem Abwasser gespeist wird“, sagt Michael Schneider. Trotzdem besitze der See Badewasserqualität, sein Zustand sei nach EU-Einstufung ausgezeichnet.

Sturzfluten und Dürre als Folgen der Erderwärmung

Der jordanische Student Albaraa meldet sich zu Wort: „Warum eigentlich schmeckt das Leitungswasser in Berlin so anders als in Amman?“ Das interessiert auch seine Kommilitonen. „Die gute Qualität des Berliner Grundwassers macht es möglich, dass das Trinkwasser nicht gechlort werden muss“, antwortet Michael Schneider. „So behält es seinen frischen Geschmack.“

Die Studierenden vom Geologischen Institut an der Universität von Jordanien kommen auf Einladung des Meteorologieprofessors Uwe Ulbrich. Gemeinsam mit Ines Langer, Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Stadtklima, hat er ein sogenanntes Kurzzeitprogramm beim Deutschen Akademischer Austauschdienst (DAAD) eingeworben. Der dreiwöchige Workshop gibt den Jordaniern und Jordanierinnen die Möglichkeit, nicht nur in ein neues Land kennenzulernen, sondern auch über ihr Studienfach hinauszuschauen. Sie lernen zum Beispiel, wie man Klimamodelle erstellt und auswertet, um unterschiedliche Zukunftsszenarien für die Niederschlagssumme in Jordanien berechnen zu können.

„Dass die Einführung der Klimamodellierung in die Geologielehre äußerst wichtig ist, haben zum Beispiel die heftigen Regenfälle im November 2018 in Petra gezeigt“, sagt Ines Langer. Ein interdisziplinäres Klimamodul könne die Studierenden besser darauf vorbereiten, wie sich Sturzfluten und Dürre als Folge der Erderwärmung auf hydrologische Fragestellungen auswirkten. Die promovierte Meteorologin betreut die jordanischen Studierenden während ihres Aufenthalts in Berlin. „Unser Workshop hilft auch, eine langfristige Kooperation zwischen der Freien Universität und der Universität von Jordanien aufzubauen.“

Gruppenfoto vorm Schlachtensee.

Gruppenfoto vorm Schlachtensee.
Bildquelle: Sören Maahs

Forschungskooperation für nachhaltige Trinkwassergewinnung

Ebenfalls zur Reisegruppe gehört Professor Fathi Shaqour, er lehrt Geologie an der Universität in Amman. Jordanien ist eines der trockensten Länder der Erde. „Wenn es in den Wintermonaten doch einmal regnet, verdunstet das Wasser sofort oder läuft auf dem staubtrockenen Boden ungenutzt ab“, sagt der Wissenschaftler. „Außerdem gehen aufgrund des Klimawandels die ohnehin geringen Niederschläge zurück. Jordaniens Grundwasserspiegel sinkt im Schnitt um einen Meter pro Jahr.“ Das werde zunehmend zum Problem, denn die Bevölkerung wächst. Hinzu kommen eine Million Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien. All diese Menschen brauchen Wasser.

Um den Bedarf zu decken, suchen jordanische und deutsche Forschende gemeinsam nach nachhaltigen und dem Klima angepassten Methoden der Trinkwassergewinnung. Ob sich das in Berlin bewährte Verfahren der Uferfiltration auch in Jordanien anwenden lässt? „An bestimmten Standorten halte ich es für gut vorstellbar“, sagt Fathi Shaqour. „Das Prinzip ist einfach und viel preiswerter als eine chemische Behandlung.“ Allerdings bräuchte es Untersuchungen über die geologischen Verhältnisse im Untergrund, man bräuchte Erfahrungen, wie man entsprechende Brunnen baut, wo man sie baut, und wie lange das Wasser für die reinigende Kraft der „Sedimentpassage“ unterwegs sein muss. Ein größeres Potenzial verspricht sich Fathi Shaqour von künstlicher Grundwasseranreicherung. Dafür wird Regen- und Oberflächenwasser in großen Becken gesammelt, das allmählich versickert und später als Grundwasser gefördert wird. Die Reinigungsmechanismen entsprechen denen der Uferfiltration.