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Für eine Handvoll Creditpoints nach Westeros

Ein Geschichtsseminar am Friedrich-Meinecke-Institut zur Fernsehserie „Game of Thrones“ will Interesse für das Mittelalter wecken

22.01.2020

Drachen waren im Mittelalter ein beliebtes Fabel- und Wappentier: Darstellung der „Schlacht auf dem Goldweg“ auf dem offiziellen Game-of-Thrones-Wandteppich, gestickt nach dem Vorbild des Teppichs von Bayeux aus dem 11. Jahrhundert.

Drachen waren im Mittelalter ein beliebtes Fabel- und Wappentier: Darstellung der „Schlacht auf dem Goldweg“ auf dem offiziellen Game-of-Thrones-Wandteppich, gestickt nach dem Vorbild des Teppichs von Bayeux aus dem 11. Jahrhundert.
Bildquelle: Kal242382, Battle of the Goldroad from Game of Thrones, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Wer nächtelang seine Lieblingsserie schaut, ist in der Wissenschaft manchmal klar im Vorteil: Denn das Themenspektrum des Seminars, das der Mittelalterhistoriker Thomas Ertl in diesem Semester anbietet, reicht von Politik, Kleidung und Heldengeschichten über Sex und Geschlechterrollen bis zur Wahrnehmung des „Anderen“ in dem TV-Epos Game of Thrones. Die Studierenden widmen sich der Frage, wie diese Aspekte in der Serie bearbeitet werden und inwiefern die Darstellung mit historisch fundiertem Wissen über das Mittelalter zusammenhängt. Trägt Game of Thrones zur Klischeebildung bei? Oder erschließen sich den Zuschauern über die Serie auch wenig bekannte Seiten des Mittelalters?

Sich mit Game of Thrones zu beschäftigen, lohne deshalb, weil die Serie auf historische Ereignisse zurückgreife. So hat George R. R. Martin, der Autor der Romanvorlagen, Elemente der Wikingerzeit im Frühmittelalter und der Rosenkriege zwischen den Familien York und Lancaster im England des 15. Jahrhundert verarbeitet.

Apfelkrapfen und Zitronenkuchen

Thomas Ertl will mit den Studierenden erarbeiten, wie geschichtswissenschaftliche Inhalte und die Mittelalterrezeption in populären Medien vermittelt wird: „Es geht darum, ein Dreiecksverhältnis zu ergründen: die Fantasy-Welt von Game of Thrones, das Mittelalter der historischen Forschung und die Mittelalterbilder der Gegenwart.“ Neben der Lektüre von Quellen gingen die Studierenden auch auf Exkursion: ins Deutsche Historische Museum in Berlin etwa und das Kulturhistorische Museum in Magdeburg.

Ende Dezember, in der letzten Stunde vor der Weihnachtspause, besprachen die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer Speisen und Tischsitten im Mittelalter. Passend zum Thema bewirteten sie sich dabei mit Selbstgebackenem. Kursleiter Thomas Ertl hatte nach einem Rezept aus dem offiziellen Game-of-Thrones-Kochbuch jene Apfelküchlein gebacken, die Jon Snow an der großen Eismauer isst. Außerdem gab es einen Zitronenkuchen, das Lieblingsgebäck der Sansa Stark, und Plätzchen, die wie Dracheneier aussahen.

Rücksichtnahme auf die Tischgenossen

Die studentische Tafelrunde stellte ausgewählte Texte zur mittelalterlichen Esskultur vor. Die Küche jener Epoche, so war zu erfahren, war international. Vor allem der Fernhandel führte damals zu einem europaweiten Austausch von Rezepten und Nahrungsgewohnheiten. Die Kulturkontakte im Mittelalter sind kaum schriftlich überliefert. Wenn aber fremde Kulturpflanzen wie Gurke, Walnuss, Rosmarin und Weintrauben heimisch werden – gerade Deutschland war schon immer auch ein Einwanderungsland –, gewährt das eine blasse Vorstellung von dem Ausmaß, wie sehr das Mittelalter von Mobilität und internationalem Austausch geprägt war.

Der Historiker Thomas Ertl (Bildmitte) untersucht mit den Studierenden, wie „Game of Thrones“ mit historischen Anspielungen den Eindruck von Mittelalterlichkeit erzeugt.

Der Historiker Thomas Ertl (Bildmitte) untersucht mit den Studierenden, wie „Game of Thrones“ mit historischen Anspielungen den Eindruck von Mittelalterlichkeit erzeugt.
Bildquelle: Sören Maahs

Apfelküchlein und Zitronenkuchen im Seminar für mittelalterliche Geschichte.

Apfelküchlein und Zitronenkuchen im Seminar für mittelalterliche Geschichte.
Bildquelle: Sören Maahs

Im mittelalterlichen Europa aß man mit den Fingern: Viele Hände bedienten sich aus einer gemeinsamen Schüssel. Damit das gut funktionierte, gab es Anstandsregeln, die sich seit dem 12. Jahrhundert auch schriftlich erhalten haben. Diese sogenannten Tischzuchten schrieben zum Beispiel vor, sich den Mund abzuwischen, bevor man trinkt, denn der mit Wein gefüllte Becher wanderte von Gast zu Gast. Es schickte sich nicht, die gemeinsame Schüssel zu drehen, um an die besten Stücke zu kommen. Das Disziplinieren der Essgier sollte zu mehr Höflichkeit und Rücksichtnahme auf den Tischnachbarn führen. All das zeigt: „Das Ideal einer manierlichen Tischkultur ist kein Phänomen der Neuzeit“, so Thomas Ertl.

Vom Game-of-Thrones-Fan zur Mittelalterhistorikerin

„Im Gegensatz zur ‚Nouvelle Cuisine‘ der Gegenwart versuchte die vornehme Küche des Mittelalters keineswegs, Lebensmittel ‚naturell‘ zu servieren, ihren Eigengeschmack und ihr natürliches Aussehen zu bewahren“, erläuterte der Historiker weiter. Ganz im Gegenteil, die Köche zeigten ihre Kunstfertigkeit, indem sie Speisen als etwas Anderes erscheinen ließen oder sie mit leuchtenden Farben versahen.

Die Tafel ist – heute wie damals – ein Ort, an dem soziale Zugehörigkeit offenbar wird. Auch in Game of Thrones dienen die besonders aufwendigen und repräsentativen Festgelage, um hierarchische Ansprüche zu dokumentieren: Wer höheren Standes ist, sitzt auch „höher“, das heißt der Hausherrin oder dem Herrscher näher. Beim Bankett, das Lord Eddard Stark zu Ehren von König Robert gibt, darf „Bastard“ Jon Snow, Eddards unehelicher Sohn, nicht in der Nähe des Königs sitzen, um die königliche Familie nicht zu kränken.

Auf diese Weise erschließen sich die Studierenden die mittelalterlichen Inspirationsquellen der populären Serie: „Durch Game of Thrones erhalten die Themen gleichermaßen ‚Sinn‘ und ‚Farbe‘“, sagt Thomas Ertl. Diese Perspektive könnte Studierende motivieren, mehr wissen zu wollen. „Aus dieser Begeisterung entsteht zunächst eine Bachelorarbeit und vielleicht mehr.“ So wird, das ist seine heimliche Hoffnung, aus einem Game-of-Thrones-Fan eine Mittelalterhistorikerin oder -historiker.