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„Resilienz gehört zur DNA der Freien Universität Berlin“

Zum Ende des Sommersemesters ein Interview mit Vizepräsident Professor Hauke Heekeren

09.07.2020

Welchen Einfluss hatte das digitale Semester auf Studium und Lehre? Wie geht der an der Freien Universität initiierte Strategieprozess Studium und Lehre 2030 weiter?

Welchen Einfluss hatte das digitale Semester auf Studium und Lehre? Wie geht der an der Freien Universität initiierte Strategieprozess Studium und Lehre 2030 weiter?
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Das durch die Coronavirus-Pandemie bedingte digitale Semester hat an allen Universitäten, so auch an der Freien Universität Berlin, Einfluss auf sämtliche Planungen gehabt. Einen besonderen Fokus legt das Präsidium der Freien Universität auf den Bereich Studium und Lehre. Vizepräsident Hauke Heekeren im campus.leben-Interview über die Erfahrungen und Herausforderungen des Sommersemesters 2020 und den Strategieprozess „Studium und Lehre 2030“.

Herr Professor Heekeren, Sie haben in den vergangenen drei Monaten gemeinsam mit der Kanzlerin der Freien Universität, Andrea Bör, die Task Force für das Coronavirus-Krisenmanagement geleitet. Nehmen Sie bitte Platz in einer Zeitmaschine ins Jahr 2025: Mit welchen fünf Begriffen würden Sie das Sommersemester 2020 rückblickend beschreiben?

Prof. Dr. Hauke Heekeren, Vizepräsident für Studium und Lehre.

Prof. Dr. Hauke Heekeren, Vizepräsident für Studium und Lehre.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Zunächst mit zwei miteinander verbundenen Termini: Krise und Resilienz. Denn die Pandemie hat uns vor eine kritische Zäsur gestellt, einen – ganz im Sinne der medizinischen Etymologie – ergebnisoffenen Scheidepunkt im Verlauf unseres gesellschaftlichen Lebens.

Wenn ich an unsere Universität in den vergangenen fünf Monaten denke, erkenne ich jene Haltung wieder, die unsere Institution stets an den kritischen Wendepunkten ihrer Geschichte charakterisiert hat: Resilienz gehört zur DNA der Freien Universität Berlin. Damit meine ich die Fähigkeit, in einer Schock-Situation dem Druck nicht nachzugeben, sondern dadurch Widerstandskraft und neuen Schwung zu gewinnen.

Diese Elastizität und Veränderungsfähigkeit hat die Freie Universität wieder einmal in allen Bereichen bewiesen: Von der digitalen Umstellung von Lehre und Prüfungen, Verwaltung und Forschung bis hin zur radikalen Änderung unseres Alltags durch die Minimierung physischer Kontakte. Voraussetzung dafür sind Empathie und Verantwortungsbewusstsein, wofür aus meiner Sicht das große Engagement aller Hochschulangehörigen in diesen Zeiten spricht.

Ist die aktuelle vor allem eine Sondersituation, oder könnten die Erfahrungen der vergangenen Wochen als roter Faden dafür taugen, Vorstellungen zu entwickeln, wie Studium und Lehre an der Freien Universität künftig aussehen werden – sagen wir in einem Jahrzehnt?

In dem geplanten Strategieprozess „Studium und Lehre 2030: Zukunft gemeinsam gestalten“ werden wir uns sicherlich unter anderem auch dieser und ähnlichen Fragen widmen.

Ohne dieser Diskussion vorgreifen zu wollen, kann man schon sagen, dass die außerordentlichen Umstände dieses Semesters uns genötigt haben, über den Status quo sowie unsere bisherigen Zukunftsvorstellungen nachzudenken.

Nehmen wir die Digitalisierung: Hier haben wir eine spürbare Beschleunigung erfahren, der gesellschaftliche Wandel findet seit Wochen faktisch statt, in etablierter oder noch experimenteller Form und in verschiedenen Richtungen.

Es liegt mir hierbei besonders am Herzen, zur Entwicklung eines differenzierten Konzeptes der Digitalisierung im Bereich Studium und Lehre beizutragen, das dem einzigartigen Profil der Freien Universität entspricht: Wie kann die Digitalisierung uns helfen, unseren genuinen Forschungs- und Bildungsauftrag zu erfüllen? Wo gibt es einen Mehrwert für alle Beteiligten und wo nicht? Kann die Digitalisierung mehr Zeit und Qualität für Kommunikation, Interaktion und Austausch in physischer Präsenz schaffen?

Sie haben den Strategieprozess „Studium und Lehre 2030: Zukunft gemeinsam gestalten“ erwähnt. Die Coronavirus-Pandemie hat auch den Zeitplan dieses Vorhabens durcheinandergewirbelt: Das ursprünglich für Ende April geplante universitätsweite Kick-off-Event findet voraussichtlich im Oktober statt, und alle geplanten Etappen werden bis weit ins Jahr 2021 getragen. Sehen Sie das eher mit einem lachenden oder mit einem weinenden Auge?

Wir mussten schweren Herzens die schon geplante Auftaktveranstaltung des Strategieprozesses auf das Wintersemester und dadurch den Gesamtablauf um ein Semester verschieben.

Die pandemiebedingten Einschränkungen und die daraus resultierende Umwälzung unserer Gewohnheiten im privaten sowie universitären Kontext haben uns andererseits zum Nachdenken gezwungen: Wo stehen wir, was bedeutet diese neuartige Situation für uns, wie gehen wir mit ihr um? Diese Fragen haben uns motiviert, den Strategieprozess weiterzuentwickeln und eine neue Komponente zur gemeinsamen Reflektion und Standortbestimmung einzubauen.

Sie meinen das digital veranstaltete Event, das am 22. Juni stattgefunden hat und bei dem rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Erfahrungen zu diesem ungewöhnlichen Sommersemester austauschen konnten. Wie lief die Veranstaltung, was war gut, was vielleicht eher gewöhnungsbedürftig?

Bei der Konzeption dieser Veranstaltung ging es vor allem darum, dem Grundgedanken des Strategieprozesses treu zu bleiben und ein Angebot an Kommunikation und Vernetzung trotz oder genau wegen der außerordentlichen Umstände zu ermöglichen.

Das innovative Format des digitalen World Cafés hat aus meiner Sicht dazu beigetragen, dass Universitätsmitglieder aus allen Statusgruppen und Fächern ins Gespräch gekommen sind und sich über ihre diversen Perspektiven auf das Sommersemester 2020 austauschen konnten. Ich fand die Gespräche im Plenum und die Diskussion im Chat besonders erfrischend und dynamisch.

Gewöhnungsbedürftig ist sicherlich der digitale Austausch in großer Gruppe; herausfordernd war, dass man sich nicht sehen oder „spüren“ konnte, denn Körpersprache und nonverbale Zeichen sind Bestandteil unserer Kommunikation. Das war jedoch das Spezifikum dieses Sommersemesters und für mich persönlich eine Bestätigung dafür, dass Miteinandersein und die persönliche Interaktion eine unersetzliche Dimension unseres sozialen und universitären Lebens sind.

Das Interesse an der Zukunft von Studium und Lehre an der Freien Universität ist groß – wie nicht zuletzt die vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des digitalen Events gezeigt haben. Wie kann der Schwung bis zum Kick-off-Meeting Ende Oktober getragen werden? Wie geht es weiter?

Die Diskussion des digitalen World Cafés wurde durch die White-Board-Funktion von WebEX live dokumentiert, die Beiträge aus den verschiedenen virtuellen Tischrunden haben wir auf der Website des Strategieprozesses zur Verfügung gestellt, damit alle Interessierten sie als Anlass für weitere Reflektion nutzen können.

Im Wintersemester werden wir den Strategieprozess mit der geplanten Auftaktveranstaltung fortsetzen; es bleibt unser Ziel, eine Vision für die Zukunft von Studium und Lehre an der Freien Universität Berlin in einem gemeinsamen, breit partizipativen Prozess zu entwickeln. In diesem Rahmen sollen ein Leitbild Lehre, eine Strategie und nicht zuletzt eine intensivere Vernetzung und Zusammenarbeit in diesem Bereich entstehen.

Im Anschluss an das Kick-off-Event, das voraussichtlich im Oktober stattfinden wird, werden sich Diskussions- und Arbeitsgruppen bilden, die während des Semesters Themen und inhaltliche Beiträge zum Prozess ausarbeiten. In den nächsten Wochen werden wir darüber konkreter informieren, aber ich lade schon heute alle Studierenden, Dozentinnen und Dozenten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Freien Universität Berlin ganz herzlich ein, sich an diesem Prozess zu beteiligen.

Wie wird das Wintersemester 2020/2021 an der Freien Universität Berlin aussehen?

Die Herausforderung liegt darin, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine endgültige Aussage treffen können, unter welchen konkreten Rahmenbedingungen das Wintersemester stattfinden wird. Werden die aktuellen Abstands- und Hygieneregeln vom Land bestätigt, angepasst oder aufgehoben? Werden wir eine zweite Infektionswelle erleben, was zu neuen Einschränkungen führt? Welche wären das? Oder wird sich das Infektionsgeschehen weiterhin stabilisieren?

Trotz dieser Unwägbarkeiten haben wir uns im Präsidium und in der Corona-Task-Force ein dreifaches Ziel gesetzt: ein möglichst umfassendes Lehrangebot bereitzustellen, den Gesundheitsschutz aller Personen auf dem Campus zu gewährleisten und weiterhin unseren Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Eindämmung des Coronavirus‘ zu leisten.

Deshalb soll das Wintersemester aus einer Kombination von Lehrveranstaltungen in digitaler beziehungsweise alternativer Form sowie in Präsenz bestehen, wobei wir für die Angebote auf dem Campus eine klare Priorisierung vorgenommen haben: Veranstaltungen in den Phasen des Studieneingangs und -ausgangs, solche für internationale Studierende, Praxiseinheiten und Prüfungen sowie Lehrformate in kleinen Gruppen sollen hierbei bevorzugt in Präsenzformaten stattfinden.

Die Fachbereiche und Zentralinstitute arbeiten intensiv daran, entlang ihrer jeweiligen Spezifika die Lehrveranstaltungen zu planen. Uns ist es ein wichtiges Anliegen, an die Erfahrungen des Sommersemesters anzuknüpfen und weiterhin flexibel zu bleiben, jedoch Präsenz mindestens in ausgewählten Bereichen wieder zu ermöglichen.

Die Fragen stellte Carsten Wette

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Zum Prozess Studium und Lehre 2030. Zukunft gemeinsam gestalten