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Aufregend, anstrengend, kreativ

Teil 2 der campus.leben-Serie: Wie war das digitale Semester? Stimmen aus der Freien Universität Berlin

14.07.2020

Wie hat sich der Alltag für Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Beschäftigte der Freien Universität Berlin in der Verwaltung durch die kurzfristig nötig gewordene Umstellung auf den digitalen Betrieb verändert? Was lief in diesem Semester, das so anders war als sonst, gut und was weniger? Lesen Sie in Teil 2 der campus.leben-Serie, mit welchen Herausforderungen die Studienberatung konfrontiert war, welche Erfahrungen Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler gemacht hat und welche Online-Formate eine Arabistik-Dozentin erprobt hat.

Auch wenn der Campus in den vergangenen Wochen leer war – virtuell war die Freie Universität in Bewegung.

Auch wenn der Campus in den vergangenen Wochen leer war – virtuell war die Freie Universität in Bewegung.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Nicht nur Erschütterung, auch positive Lernerfahrung: Brigitte Reysen-Kostudis berät als Psychologin der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung.

Nicht nur Erschütterung, auch positive Lernerfahrung: Brigitte Reysen-Kostudis berät als Psychologin der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung.
Bildquelle: Privat

Brigitte Reysen-Kostudis, Psychologin in der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung

„Wir beraten seit drei Monaten ausschließlich telefonisch – und ich bin überrascht, wie gut das funktioniert.

Anfangs wurde das Angebot nur verhalten angenommen, seit Semesterbeginn aber sind die Telefontermine sehr gefragt – bis zu 30 Erstgespräche mit Studierenden führen wir im Moment wöchentlich. Manchen fällt es am Telefon sogar leichter, über ihre Probleme zu sprechen, als wenn sie jemandem gegenübersitzen.

Die Schwierigkeiten wiederum haben sich kaum verändert: Hauptsächlich sind es Lern- und Arbeitsprobleme, die zwar durch Corona geprägt, nicht aber von der Pandemie ausgelöst wurden. Für mich ist Corona ein Brennglas, das Probleme, die bereits vorher da waren, hervortreten lässt: etwa Konflikte mit den Eltern, bei denen manche wieder wohnen, oder Selbst- und Zeitmanagementprobleme, die sich durch geschlossene Bibliotheken und fehlende Tagesstruktur verstärken.

Viele hatten einen festen Plan – ein oder zwei Auslandssemester, dann der Abschluss. Das muss jetzt alles neu gedacht werden und kann Menschen schnell in eine Krise stürzen – auch wenn die Universität signalisiert, dass niemand einen Nachteil durch die Pandemie-Situation haben soll.

Die aktuelle Lage sehe ich nicht nur als Erschütterung, sondern auch als positive Lernerfahrung: Wir sind gegenüber alternativen Beratungskonzepten viel offener geworden und können uns vorstellen, sie nach Corona weiterzuführen.“

Nach dem Homeoffice wieder im Büro in der Kaiserswerther Straße: Universitätspräsident Prof. Dr. Günter M. Ziegler

Nach dem Homeoffice wieder im Büro in der Kaiserswerther Straße: Universitätspräsident Prof. Dr. Günter M. Ziegler
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Günter M. Ziegler, Professor für Mathematik und Präsident der Freien Universität Berlin

„Auch für mich war das digitale Semester ein ausgesprochenes Kreativsemester. Als solches hatten wir es nicht nur für unsere Universität ausgerufen, ich selbst habe es auch gelebt.

Ich bin ein sehr kommunikativer Mensch, persönliche Begegnungen sind für mich das Wichtigste im Alltag. Der Lockdown war deshalb hart. Und dennoch habe ich mir vorgenommen, „da mache ich was Gutes draus“: Alltag und Kommunikation neu zu gestalten, auch die Chance zu nutzen, auf neuen Wegen Kontakte zu pflegen und Leute zu erreichen, die in normalen Zeiten sehr wenig Zeit haben.

Gleichzeitig hat mich das digitale Semester inspiriert, über das analoge Leben nachzudenken: über den Wert des direkten Austauschs, darüber, wie wichtig für mich die persönlichen Gespräche im Restaurant sind oder auch die zufälligen Begegnungen in der Mensa oder vor der Kneipe.

Und was heißt eigentlich direkter Austausch? Ich habe plötzlich wieder sehr lange „altmodische“ Telefongespräche geführt mit Freunden, die eigentlich gar nicht so weit weg wohnen. Das Telefon ist eine großartige Erfindung!“

Isa Adriane Günther studiert Mathematik an der Freien Universität. Sie ist studentische Studienberaterin und Mentorin für ausländische Studierende am Fachbereich Mathematik und Informatik.

Isa Adriane Günther studiert Mathematik an der Freien Universität. Sie ist studentische Studienberaterin und Mentorin für ausländische Studierende am Fachbereich Mathematik und Informatik.
Bildquelle: Privat

Isa Günther, Mathematikstudentin und studentische Studienberaterin am Fachbereich Mathematik und Informatik

„Vor allem zu Semesterbeginn waren die Studierenden verunsichert, alles war so unübersichtlich. Ich habe deswegen viele E-Mails erhalten: Teilweise waren Daten im Vorlesungsverzeichnis nicht aktuell oder Studierende aus dem Ausland wollten wissen, welche Auswirkungen das digitale Semester auf ihr Visum hat. Diese Verunsicherung hat sich zum Glück mittlerweile gelegt.

Insgesamt ist das Unileben unübersichtlich geworden und vieles von dem, was ein Studium neben dem reinen Lernen ausmacht, ist weggefallen: persönliche Diskussionen, neue Menschen kennenlernen. Außerdem erfährt man ja vieles gerade im persönlichen Gespräch. Jetzt, wo es diese Möglichkeit nicht gibt, muss man darauf achten, bestimmte Informationen nicht zu verpassen.

An unserem Fachbereich arbeiten sonst alle sehr eng zusammen, die persönlichen Kontakte vermisse ich schon. Auch für die Erstsemester ist das alles schwierig und fordert ihnen ein hohes Maß an Selbstdisziplin ab.

Dennoch bin ich beeindruckt, wie schnell und gut es geklappt hat, quasi aus dem Nichts heraus ein digitales Semester anzubieten. Viele Angebote bei uns am Fachbereich konnten beibehalten werden.“

Hat auch Schwierigkeiten mitbekommen: Als Leiter des Studien- und Prüfungsbüros am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie ist André Nowakowski nah an Studierenden und Dozierenden.

Hat auch Schwierigkeiten mitbekommen: Als Leiter des Studien- und Prüfungsbüros am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie ist André Nowakowski nah an Studierenden und Dozierenden.
Bildquelle: Fotostudio Ludwig

André Nowakowski, Leiter des Studien- und Prüfungsbüros am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie

„Mein Resümee der vergangenen Wochen fällt geteilt aus: Es ist und war eine sehr aufregende und anstrengende Situation. Wir konnten einen Großteil unserer Lehrveranstaltungen digital anbieten, nur wenige Seminare wurden abgesagt. Unsere Lehrenden haben viel Kraft und Energie aufgebracht, um das hinzukriegen. Darauf bin ich sehr stolz.

Dennoch mussten alle sich erst einmal in der neuen Situation zurechtfinden. Studierende haben uns zurückgemeldet, dass sie die Arbeitsbelastung zum Teil als sehr hoch empfunden haben. Das betraf vor allem auch diejenigen, die wegen geschlossener Kitas und Schulen zu Hause neben der Arbeit ihre Kinder betreuen mussten.

Zudem hatten nicht alle die nötige technische Ausrüstung, um digital studieren zu können; manchmal war das Internet zu langsam. Wir haben Lehrende und Studierende deshalb ermutigt, in dieser Zeit noch stärker miteinander zu kommunizieren und sich gegenseitig Feedback zu geben.

Positiv ist aus meiner Sicht, dass nach kleineren anfänglichen Startschwierigkeiten Programme wie Webex und Blackboard auch in Zukunft wahrscheinlich stärker und besser in die Lehre eingebunden werden.“

Der Beratungsbedarf zum Thema Online-Lehre ist in die Höhe geschnellt: Das hat auch Karoline von Köckritz vom CeDiS-Team gemerkt.

Der Beratungsbedarf zum Thema Online-Lehre ist in die Höhe geschnellt: Das hat auch Karoline von Köckritz vom CeDiS-Team gemerkt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Karoline von Köckritz koordiniert den Arbeitsbereich „Consulting & Support“ am Center für Digitale Systeme (CeDiS)

„Nachdem Mitte März das „digitale Sommersemester“ verkündet worden war, häuften sich bei uns erst einmal die Support-Anfragen: Im April hatten wir bis zu 4000 E-Mails pro Woche! An telefonische Unterstützung war in dieser Phase kaum zu denken.

Dank unseres großen Erfahrungsvorsprungs und der etablierten zentralen Systeme und Unterstützungsstrukturen für Digitales Lehren und Lernen an der Freien Universität mussten wir nicht bei „Null“ anfangen: Wir beschäftigen uns seit mehr als 20 Jahren mit der Frage, wie Lehre und Lernen online unterstützt werden kann – didaktisch und technologisch. Wir haben deshalb Tutorials und Anleitungen erstellt und unser Schulungsprogramm als reines Online-Angebot neu aufbereitet.

Bei der Herausforderung, kurzfristig auf reine Online-Lehre umstellen zu müssen, haben wir gesehen, dass bestimmte digitale Szenarien besser realisierbar sind als andere: „Ich übersetze das, was ich in der Präsenzlehre dienstags von 14 bis 16 Uhr mache, eins zu eins in eine live Video-Konferenz“ klappt nicht immer, besonders bei großen Studierendenzahlen.

Eine Alternative ist beispielsweise das „Inverted-Classroom-Modell“. Dabei werden die Inhalte einer Vorlesung etwa per Podcast oder als vertonte Präsentation vor der Live-Veranstaltung online zur Verfügung gestellt. Vielen Dozentinnen und Dozenten kommt es entgegen, wenn die Studierenden mit entsprechendem Vorwissen in die Veranstaltung kommen, das befördert die Diskussion. Bei der Produktion ihrer Lehrinhalte waren die Dozierenden sehr erfindungsreich!“

Reale Begegnungen haben etwas für sich: Lukas Stoll, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Rechtswissenschaft, auf dem Campus.

Reale Begegnungen haben etwas für sich: Lukas Stoll, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Rechtswissenschaft, auf dem Campus.
Bildquelle: privat

Lukas Stoll, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Rechtswissenschaft, Arbeitsbereich Bürgerliches Recht, Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte sowie vergleichende Rechtsgeschichte

„Mal war ein Mikro kaputt, mal brach die Verbindung ab – wie vermutlich überall streikte bei uns manchmal die Technik.

Trotz der schwierigen Bedingungen haben sich die Studierenden sehr engagiert. So hat durchschnittlich mehr als die Hälfte von ihnen die bereitgestellten Übungsfälle aus dem allgemeinen Schuldrecht bearbeitet. Das ist angesichts des hohen Aufwands ein gutes Ergebnis! Immerhin ging es darum, komplexe juristische Gutachten von jeweils etwa zehn Seiten zu erstellen.

Als Herausforderung empfunden haben die Studierenden, dass sie ein neues Thema – wie zum Beispiel das Leistungsstörungsrecht als Teilbereich des allgemeinen Schuldrechts – ausschließlich mit einem Lehrbuch oder über ein Videopodcast erarbeiten sollten. Um sie zu unterstützen, haben wir zu sogenannten Input-Sitzungen eingeladen.

Insgesamt hat die Mischung aus Live-Online-Veranstaltungen und Selbstlernphasen gut funktioniert. Dieses Konzept hat uns Lehrenden und den Studierenden große zeitliche Flexibilität bei der Erledigung der Aufgaben ermöglicht.

Trotzdem freue ich mich schon sehr darauf, den Studierenden wieder in persona zu begegnen. Denn an die Lernatmosphäre in einem Seminarraum oder Hörsaal kommt die Online-Lehre leider nicht heran.“

Victoria Mummelthei am „heimischen Schreibtisch“. Von dort aus hat sie verschiedene Formen der digitalen Kommunikation für ihre Seminare getestet. Inspiriert wurde sie dabei auch durch beratende Veranstaltungen von SUPPORT für die Lehre.

Victoria Mummelthei am „heimischen Schreibtisch“. Von dort aus hat sie verschiedene Formen der digitalen Kommunikation für ihre Seminare getestet. Inspiriert wurde sie dabei auch durch beratende Veranstaltungen von SUPPORT für die Lehre.
Bildquelle: Privat

Victoria Mummelthei, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Semitistik und Arabistik

„Ich ziehe für mich ein positives Fazit. Das Forschen und Lehren aus dem Homeoffice – wobei ich eher vom „heimischen Schreibtisch“ als vom „Homeoffice“ sprechen würde – hat für mich ziemlich gut funktioniert.

Zwar hat mir einerseits das Socializing mit Kolleginnen und Kollegen in der Holzlaube gefehlt, andererseits hat mir gerade das Fehlen dieser Umgebung geholfen, mich auf meine eigenen Aufgaben konzentrieren und sie flexibler erledigen zu können – zum Beispiel das Zu-Ende-Korrigieren meiner Dissertation.

Bei meinen vier Lehrveranstaltungen habe ich auf vier verschiedene Weisen getestet, was Online-Unterricht sein kann:

Im Seminar ‚Araber und Orient in Hollywood‘ haben wir verstärkt auf asynchrone Formate wie schriftliches Diskutieren im Blackboard-Forum gesetzt; im Sprachkurs ‚Übersetzen aus dem Arabischen und ins Arabische‘ habe ich vor gemeinsamen Live-Sitzungen rein studentische Diskussionsrunden in Webex angesetzt; das Colloquium ‚Arabistik als Literatur, Kultur-, und Sprachwissenschaft‘ war als Blog angelegt, bei dem sich Studierende jeweils einem Gegenstand der Arabistik essayistisch nähern sollten; und im Kurs ‚Arabistik online – Wie geht das?‘ sollten Studierende einen Plan für einen fiktiven Online-Kurs in der Arabistik entwerfen.“

Weitere Informationen

Hier kommen Sie zum ersten Artikel der campus.leben-Serie „Wie war das digitale Semester?". Ein dritter Teil mit Stimmen unter anderem aus dem Dual Career & Family Service und der Universitätsbibliothek sowie von einer Physikstudentin folgt im Laufe der Woche.