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Aus Erfahrung klug

Interview mit Reinhard Bernbeck und Sérgio Costa über ihre Auszeichnung mit dem DRS Award für die herausragende Betreuung ihrer Promovierenden

03.02.2021

Individuell oder im Rahmen eines strukturierten Programms kann man an der Dahlem Research School promovieren. Ganz gleich welcher Weg: Gute Betreuung ist unerlässlich.

Individuell oder im Rahmen eines strukturierten Programms kann man an der Dahlem Research School promovieren. Ganz gleich welcher Weg: Gute Betreuung ist unerlässlich.
Bildquelle: Still aus dem Film: „Promovieren an der Freien Universität Berlin“

Für die exzellente Betreuung von Doktorandinnen und Doktoranden zeichnet die Dahlem Research School jährlich zwei Professorinnen oder Professoren der Freien Universität mit dem DRS Award for Excellent Supervision aus. Nominiert werden sie von den Promovierenden selbst. Der Preis ist mit 2000 Euro dotiert, die wiederum zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eingesetzt werden sollen. Die Auszeichnung für das Jahr 2020 geht an Reinhard Bernbeck, Professor am Institut für Vorderasiatische Archäologie, und Sérgio Costa, Professor für Soziologie am Lateinamerika-Institut und am Institut für Soziologie. Im campus.leben-Interview sprachen die beiden Wissenschaftler über ihre Erfahrungen als Mentoren in einem außergewöhnlichen Jahr, ihre Betreuungskonzepte und die eigene Promotionszeit.

Reinhard Bernbeck ist Erstbetreuer von gut zehn Doktorandinnen und Doktoranden der Archäologie.

Reinhard Bernbeck ist Erstbetreuer von gut zehn Doktorandinnen und Doktoranden der Archäologie.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Herr Professor Bernbeck, Herr Professor Costa, was macht für Sie die gute Betreuung von Doktorandinnen und Doktoranden aus?

Reinhard Bernbeck: Für mich bedeutet das vor allem, auf die individuellen Bedürfnisse, Umstände und das Promotionsthema der Doktorandin oder des Doktoranden einzugehen. Mir geht es darum, Stärken zu fördern und eventuelle thematische oder arbeitstechnische Schwächen gemeinsam zu erkennen und daran zu arbeiten.

Sérgio Costa: Da möchte ich mich anschließen. Eine Promotion ist außerdem eine Kombination aus eigenständiger Arbeit und Teamarbeit. Ich versuche immer, meine Promovierenden in eine Gruppe einzubinden, wobei die Mitglieder meist zu ganz unterschiedlichen Themen forschen, aber ähnliche Interessen und Methoden haben. Schön ist es auch, dass sich in solch einem Kolloquium verschiedene akademische Level begegnen und zusammenarbeiten: Masterstudierende, Doktoranden, Postdocs, Professorinnen und Professoren.

Sérgio Costa betreut zurzeit zehn Promotionsstudierende im Fachgebiet Soziologie Lateinamerikas.

Sérgio Costa betreut zurzeit zehn Promotionsstudierende im Fachgebiet Soziologie Lateinamerikas.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Welche Dissertationen betreuen Sie zurzeit? Und was lernen Sie möglicherweise durch die Betreuung?

Reinhard Bernbeck: Die Archäologie kommt mit vielen anderen Fachgebieten in Berührung. Meine Doktorandinnen und Doktoranden forschen an Themen, die in die Literaturwissenschaft hineinreichen, über archäologische Materialanalysen bis hin zu Naturwissenschaften wie Biologie oder Chemie. Aktuell führt etwa eine Promotionsstudentin eine Isotopen-Analyse im Labor durch zur Ernährung von Tieren in prähistorischer Zeit.

Zeitlich und regional erstrecken sich die Dissertationen, die ich derzeit betreue, von Ausgrabungsergebnissen in Nordmesopotamien aus dem 10. Jahrtausend vor Chr. bis zu aktueller postkolonialer Theorie in Europa.

Da kann ich gar nicht an mich selbst den Anspruch haben, immer alles wissen zu können. Ich lerne sehr viel Neues von den Promovierenden und begleite sie bei ihrer Forschung. Was ich beitragen kann, ist ein Weitblick in der Archäologie und meine langjährige akademische Erfahrung.

Sérgio Costa: In meiner Professur zur Soziologie Lateinamerikas gibt es zwar einen klaren regionalen Bezug, aber wir sehen Lateinamerika immer im globalen Kontext. Die Dissertationen, die ich betreue, beschäftigen sich meist mit einem dieser drei großen Themenbereiche: Umweltkonflikte, soziale Ungleichheiten, Rassismus beziehungsweise Antirassismus.

Auch ich lerne sehr viel dabei. So tief wie die Promovierenden kann ich gar nicht in das jeweilige Thema eintauchen. Die Nachwuchswissenschaftler wiederum profitieren von der Erfahrung und Perspektive eines Professors auf ihre Arbeit.

Ein drittes Subjekt in dieser Konstellation sind die Menschen, die als Erforschte im Mittelpunkt der jeweiligen Recherche stehen. Gerade in der Soziologie betonen wir, dass auch sie Partnerinnen und Partner in der Produktion von neuem Wissen sind. Wissensproduktion ist ein kollektiver Prozess, auch wenn am Ende die Dissertation unter dem Namen einer Person veröffentlicht wird.

Beraten Sie Ihre Doktorandinnen und Doktoranden auch zu ihrer Karriere nach der Promotion?

Sérgio Costa: Ja, in der Soziologie ist das auf jeden Fall so. Einige meiner Absolventinnen und Absolventen sind im Diplomatischen Dienst oder in der Privatwirtschaft tätig, aber die meisten haben eine akademische Laufbahn eingeschlagen.

Weil es in meiner Professur diesen regionalen Akzent gibt, kommen 60 bis 70 Prozent meiner Doktorandinnen und Doktoranden aus dem Ausland, meist aus Lateinamerika, wohin sie auch fast alle nach ihrer Promotion zurückkehren. Aus eigener Erfahrung kenne ich mich aus mit Fragen und Sorgen rund um das Leben und die wissenschaftliche Arbeit in einem neuen Land und kann den Promotionsstudierenden auch hier beratend zur Seite stehen.

Reinhard Bernbeck: Die Archäologie gilt ja als „brotlose Kunst“, und teilweise stimmt das auch. Eine Promotion ist mehr als nur ein Lebensabschnitt, in dem man sich mit einem Forschungsschwerpunkt beschäftigt. Er trägt einen potenziellen Lebensentwurf in sich, beispielsweise eine akademische Laufbahn oder eine Tätigkeit im Denkmalschutz.

Wir Betreuerinnen und Betreuer dürfen nicht vergessen, dass in den Promotionsjahren oft die Weichen für das Leben der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gestellt werden. Es ist deshalb wichtig, dass sie ihren eigenen Forschungsinteressen nachgehen können.

Ich versuche außerdem immer, auch nach der Promotion den Kontakt zu halten. Man arbeitet jahrelang so intensiv zusammen, dass es schade wäre, wenn man sich aus den Augen verlieren würde.

Wie viele Doktorandinnen und Doktoranden betreuen Sie? Und wie finden während der Corona-Pandemie die Beratungsgespräche statt?

Reinhard Bernbeck: Zur Zeit bin ich Erstbetreuer von etwas mehr als zehn Promovierenden, viele kommen über den ehemaligen Exzellenzcluster TOPOI. Mehr möchte ich nicht annehmen, um individuell auf die Doktorandinnen und Doktoranden eingehen zu können. Mit meiner Kollegin Susan Pollock leite ich ein wöchentliches Promotionskolloquium, das im Moment als Videokonferenz stattfindet.

Einzelgespräche gibt es zusätzlich je nach Bedarf, meist per Webex. In den vergangenen Monaten ging es dabei oft auch um logistische Probleme. Zum Beispiel war eine Promotionsstudentin zu Beginn der Pandemie auf Feldforschung in der iranischen Provinz. Nicht nur ihre Rückkehr war schwierig. Es ist auch noch nicht klar, wann sie ihre Forschung vor Ort fortsetzen kann.

Archäologie ist stark mit Feldforschung verbunden, und diese ist zurzeit fast nicht möglich. Auch Bibliotheks- und Archivschließungen sind ein Problem. Teilweise müssen wir gemeinsam mit den Promovierenden Forschungsthemen umformulieren. Problematisch ist das manchmal, wenn Dissertationsthema und Finanzierung eng miteinander verwoben sind.

Sérgio Costa: Ich habe bisher insgesamt etwa 30 Doktorandinnen und Doktoranden betreut, dabei waren es einmal 20 gleichzeitig. Schön ist tatsächlich, wenn es nicht mehr als zehn zur selben Zeit sind, weil ich eine Nähe zu den Forschungsfeldern der jeweiligen Arbeiten entwickeln möchte und eine empathische Beziehung mit den Betreuten.

Die Pandemie schränkt uns auch in meinem Arbeitsbereich stark ein. Zu fast jeder Promotionsarbeit gehören qualitative Feldarbeiten, Beobachtungen und Interviews vor Ort und nicht nur Literatur- oder Archivrecherche. Das geht alles nur bedingt online. Deshalb arbeiten wir gerade oft mit unseren Promovierenden an der Anpassung ihrer ursprünglichen Forschungsentwürfe.

Nicht nur dafür stehen wir regelmäßig digital in Kontakt. Zurzeit ist unsere Rolle als Mentor und Berater ebenfalls gefragt, wenn Doktorandinnen und Doktoranden noch nicht lange in Deutschland sind, kein soziales Netzwerk haben und nun vom Lockdown stark betroffen sind.

Wie haben Sie Ihre eigene Promotionszeit erlebt?

Reinhard Bernbeck: Ich habe Anfang der neunziger Jahre über die Entstehung von hierarchischen Gesellschaften und soziale Entwicklungen im sechsten Jahrtausend in Mesopotamien promoviert. Im Rückblick muss ich leider sagen, dass ich ziemlich arrogant war und der Meinung, die Professorinnen und Professoren an der Freien Universität könnten mein Thema nicht richtig einschätzen. Ich war zwar recht schnell mit der Arbeit fertig, wusste aber nicht wirklich, was danach kommt, wohl auch, weil ich eher beratungsresistent war.

Sérgio Costa: Meine Promotion in den neunziger Jahren war eine sehr prägende Phase, in der ich viel fürs Leben gelernt habe – und gleichzeitig fließend Deutsch. Ich bin dafür aus Brasilien nach Berlin an die Freie Universität gekommen.

Meine Dissertation über die Demokratisierung in Lateinamerika nach den Militärdiktaturen war die erste Arbeit, die ich auf Deutsch verfasst habe. Das war – ich will jetzt nicht sagen ein Kampf, aber: eine Herausforderung. Meine Betreuerin Renate Rott verdient jedenfalls im besten Sinn die Bezeichnung ‚Doktormutter‘ und ist mir nun ein Vorbild für den Umgang mit meinen Promovierenden.

Die Fragen stellte Jennifer Gaschler