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Zeit für die Lehre

Interview mit Katja Reinecke und Vizepräsident Professor Hauke Heekeren zur Gründung des „Dahlem Center for Academic Teaching“ / Anmeldung für die Winter School läuft

08.02.2021

Studium und Lehre für die Zukunft denken: Kombinierte Präsenz- und Digital-Veranstaltungen werden auch nach der Pandemie zu hochschuldidaktisch empfohlenen Formaten gehören. Das DCAT bietet Lehrenden Unterstützung durch Weiterbildungen an.

Studium und Lehre für die Zukunft denken: Kombinierte Präsenz- und Digital-Veranstaltungen werden auch nach der Pandemie zu hochschuldidaktisch empfohlenen Formaten gehören. Das DCAT bietet Lehrenden Unterstützung durch Weiterbildungen an.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Auch für viele Dozentinnen und Dozenten an der Freien Universität war es ein Sprung ins kalte Wasser: die Notwendigkeit, im vergangenen Jahr Vorlesungen und Seminare spontan auf digitale Formate umstellen zu müssen. Zwei Semester später und mit Blick auf die andauernde Pandemie stellen sich viele Fragen – zum Beispiel diese: Was kommt hochschuldidaktisch nach der Krise? Wie lassen sich digitale Elemente kreativ nutzbar machen für die Präsenzlehre? Über das an der Freien Universität neugegründete „Dahlem Center for Academic Teaching“ (DCAT) und die Angebote der dort koordinierten Winter School 2021 „Professionell lehren in digitalen und hybriden Lehr-Lern-Settings ein Gespräch mit Katja Reinecke, Leiterin des DCAT, und Professor Hauke Heekeren, Vizepräsident für Studium und Lehre.

Frau Reinecke, Herr Professor Heekeren, das „Dahlem Center für Academic Teaching“, kurz: DCAT, wurde kürzlich an der Freien Universität eingerichtet – was ist sein Zweck?

Dr. Katja Reinecke leitet das Dahlem Center for Academic Teaching.

Dr. Katja Reinecke leitet das Dahlem Center for Academic Teaching.
Bildquelle: privat

Katja Reinecke: Das DCAT ist die Verstetigung des 2012 gestarteten Projekts zur Lehrqualifizierung „SUPPORT für die Lehre“. Wir bündeln dort Angebote zur Hochschuldidaktik. Ziel ist es, die Lehr- und Lernkultur an der Freien Universität weiter zu stärken und neue Impulse einzubringen. Wir sind stolz darauf, dass die Freie Universität nach acht Jahren Förderung über Drittmittel nun eine feste Einrichtung für die Hochschuldidaktik schafft.

Prof. Dr. Hauke Heekeren, Vizepräsident für Studium und Lehre.

Prof. Dr. Hauke Heekeren, Vizepräsident für Studium und Lehre.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Hauke Heekeren: Die Institutionalisierung der Hochschuldidaktik ist ein Statement: Gute Lehre wird an der Freien Universität ernstgenommen, auch, indem sie weiter professionalisiert wird. Das DCAT will auch Unterstützer des Anfang 2020 angestoßenen Strategieprozesses „Studium und Lehre 2030: Zukunft gemeinsam gestalten“ sein, an dem Beschäftigte der Freien Universität aus allen Statusgruppen beteiligt sind: Studierende, Lehrende und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Hochschulverwaltung.

Katja Reinecke: Der Anspruch, Lehre gemeinsam zu denken, ist Ausdruck eines Kulturwandels in der Hochschuldidaktik und an der Freien Universität: Nicht jeder muss das Rad der Lehre für sich neu erfinden, wir wünschen uns, dass es mehr Austausch unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gibt, dass sie mehr miteinander über die eigene Lehre sprechen. Hier will das DCAT helfen und bietet auch Austauschformate an.

Sind die Gründung des Zentrums und die dort verfügbaren Angebote eine Reaktion auf die Situation infolge der Pandemie?

Katja Reinecke: Nein, die Gründung des DCAT war schon vorher geplant, übrigens auch vor dem Start des Strategieprozesses Studium und Lehre 2030. Der Wunsch, sich hochschuldidaktisch weiterzubilden, besteht bei vielen Lehrenden, das haben wir schon im Vorgängerprojekt „SUPPORT für die Lehre“ gemerkt.

Hauke Heekeren: Und er verstärkt sich in der aktuellen Situation. Wie in vielen Bereichen hat Corona auch hier die Entwicklung beschleunigt. Ich bin Katja Reinecke und ihrem Team deshalb sehr dankbar, dass sie so schnell und differenziert auf die neue Situation reagiert haben. Sie sind nah an der hochschuldidaktischen Szene und wissenschaftlich auf dem aktuellen Stand.

Die Winter School "Professionell lehren in digitalen und hybriden Lehr-Lern-Settings" ist das erste große Veranstaltungsangebot der DCAT.

Die Winter School "Professionell lehren in digitalen und hybriden Lehr-Lern-Settings" ist das erste große Veranstaltungsangebot der DCAT.

Feierlich eröffnet wird das DCAT am 10. März – mit einer Veranstaltung über das Scheitern beim Einsatz von digitaler Lehre. Wie passt das mit dem Startschuss für ein neues Hochschuldidaktik-Zentrum zusammen?

Katja Reinecke: Das Konzept der sogenannten „Fuckup Night“ kommt aus der Szene der Unternehmensgründung; es zielt auf einen offenen Umgang mit Misserfolgen. Dieses Bekenntnis zu einer produktiven Fehlerkultur möchten wir gewinnbringend auf die Hochschuldidaktik übertragen: Wir wollen aus Fehlern „Lehren für die Lehre“ ziehen und darüber hochschuldidaktische Lösungsansätze allgemein bekannter machen. In diesem zugewandten, konstruktiven und humorvollen Geist eröffnen wir unser neues Center.

Das DCAT nimmt mit der Winter School „Professionell lehren in digitalen und hybriden Lehr-Lern-Settings“ schon jetzt den Betrieb auf. Was lernen dort Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie Professorinnen und Professoren der Freien Universität, an die sich das Programm richtet? Oder anders gefragt: Können nach zwei Semestern nicht alle Lehre via Video?

Hauke Heekeren: Wir sind außerordentlich dankbar für das große Engagement aller bei der gewaltigen Herausforderung, die Lehre in kürzester Zeit von Präsenzveranstaltungen auf digitale Formate umzustellen. Das war großartig, wie vieles hier im vergangenen Jahr schnell sehr gut geklappt hat. Wir haben wahrgenommen, dass alle aufeinander Rücksicht genommen haben, so etwas ist wichtig in einer großen Einrichtung. Auch dafür sind wir sehr dankbar.

Deutschlandweit steht die Freie Universität bei der Digitalisierung in der Lehre besonders gut da, das zeigt auch ein Ranking, bei dem sie und die Ruhr-Universität Bochum weit oben platziert waren. Als Hochschulleitung haben wir nun die Verantwortung, dass die digitale Lehre differenziert ausgebaut und in die Breite gebracht wird. Hier knüpfen wir mit der Einrichtung des DCAT und den dort bereitgestellten Weiterbildungsangeboten an.

Katja Reinecke: Mit der Winter School möchten wir neue Impulse geben und auf ein weiteres Semester einstimmen, das pandemiebedingt überwiegend digital sein wird. Viele haben gemerkt, dass sich ein Präsenzprogramm nicht eins zu eins auf Webex abbilden lässt. Es erfordert einen längeren Lernprozess, didaktisch fundierte Lehre digital auszurichten.

Mit dem Angebot der Winter School denken wir außerdem weiter: Es geht darum zu reflektieren, wie man das Beste aus beiden Welten, die Vorteile aus der Präsenz- und der Digital-Lehre, kombinieren kann. Auch für die Zeit nach Corona.

Was heißt das konkret: das Beste aus beiden Welten?

Katja Reinecke: Blended-Learning ist hier das Hauptstichwort. Es bezeichnet Lehr- und Lernformate, bei denen einige Inhalte und Aktivitäten vor Ort stattfinden oder in einer Videokonferenz, während andere Inhalte asynchron zur Verfügung stehen, also unabhängig von Raum und Zeit. Dadurch kann in Zukunft auch die Präsenzlehre entlastet werden – und durch digitale Anteile aufgewertet.

Nehmen wir das Modell des inverted classroom: Studierende arbeiten sich dabei durch digital verfügbare Materialien – Video-Tutorials zum Beispiel – in Grundlagen oder eine Problematik ein, über die dann in einer gemeinsamen Präsenz-Veranstaltung diskutiert wird. Dahinter steht der Gedanke, dass die wertvolle Zeit, die Lehrende und Studierende gemeinsam verbringen, für das Lösen von Problemen genutzt wird – in Grundlagen kann man sich dagegen gut selbst einarbeiten.

Das setzt einiges an Vorbereitung und Einsatz voraus. Auf allen Seiten. Und an Selbstständigkeit.

Katja Reinecke: Das ist nicht anspruchsarm, das stimmt. Aber es zeigt auch eine Haltung: nämlich Studierende und ihre Mitverantwortung für den Erfolg von Lehrveranstaltungen ernst zu nehmen.

Für Lehrende kann es ein Weg sein, Studierende stärker zu motivieren, mit ihnen besser in Kontakt zu kommen, das eigene Interesse fürs Fach besser vermitteln zu können. Sich mit hochschuldidaktischen Fragen zu beschäftigen, die eigene Lehre auf dem Stand der Wissenschaft zu wissen, führt zu mehr Lehrfreude und besseren Lernergebnissen bei den Studierenden.

Wer unterrichtet in der Winter School – wer weiß, wie gute digitale Lehre geht?

Katja Reinecke: Wir konnten einerseits internationale Expertinnen und Experten aus dem angloamerikanischen Raum gewinnen, die dortige Hochschuldidaktik ist uns etwas voraus. Unterstützt werden wir etwa von hochschuldidaktischen Trainerinnen und Trainern unserer Partneruni, der University of British Columbia.

In Deutschland arbeiten wir mit Lehrenden zusammen, deren Lehrprojekte vom Stifterverband ausgezeichnet wurden.

Am DCAT bieten wir einerseits ein fächerübergreifendes Angebot an, andererseits eines, das abgestimmt ist auf die Anforderungen eines Fachbereichs. Die Lehre in den verschiedenen Fächerkulturen stellt uns vor ganz unterschiedliche Herausforderungen, deshalb braucht es spezialisierte Unterstützungsangebote. Auch darauf reagieren wir mit der Winter School, der ersten großen Veranstaltungsreihe des DCAT.

Nicht alle Lehrenden sind vermutlich von der Notwendigkeit überzeugt, sich hochschuldidaktisch weiterbilden zu müssen – was sagen Sie Skeptikern, Lehrenden, die viele Jahre Erfahrung haben?

Hauke Heekeren: Die Angebote sind selbstverständlich freiwillig. Wir sehen aber, dass es inzwischen bei vielen zum Professionalitätsanspruch gehört, an die eigene Lehre denselben Exzellenzanspruch zu stellen wie an die Forschung. Diese Kolleginnen und Kollegen suchen Unterstützungsangebote, ihnen wollen wir entgegenkommen. Viele haben gute Erfahrung mit den SUPPORT-Angeboten gemacht, das spricht sich herum.

Als zuständiger Vizepräsident ist es mir ein sehr wichtiges Anliegen, dass die Lehre mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung bekommt.

Für Weiterbildungen braucht es Zeit – die viele nicht haben.

Hauke Heekeren: Das Stichwort ist hier: Zeit für die Lehre. So, wie wir Zeit für die Forschung geben, etwa durch Forschungsfreisemester, brauchen wir Instrumente, um Zeit für die Weiterentwicklung der Lehre und für Innovation in der Lehre zu schaffen.

Katja Reinecke: Wir sagen aber auch: Gute Lehre gibt es nicht nebenbei, sie passiert nicht von selbst. Es gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, denen es sehr leichtfällt, spannende Lehrformate zu entwerfen – aber das betrifft nicht alle Lehrenden. Die meisten investieren viel Zeit in die Konzeption ihrer Lehrveranstaltungen.

Eine hochschuldidaktische Weiterbildung hilft dabei, Lehre effizienter vorzubereiten: Wer die Grundlagen der Lehrplanung systematisch beherrscht, geht strategisch vor und kann Lernziele, Prüfungsform, Lehrinhalte und -formate besser miteinander verschränken. Dass sich die Investition lohnt, bestätigen regelmäßig unsere Absolventinnen und Absolventen.

Wäre es dann nicht sinnvoll, sich als angehende Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler mit guter Lehre zu einem frühen Zeitpunkt in der Ausbildung zu beschäftigen – auch, um später Zeit zu sparen?

Katja Reinecke: Das Angebot der DCAT wird schon von Doktorandinnen und Doktoranden wahrgenommen. Tatsächlich aber kam die Frage auch in einer Arbeitsgemeinschaft im Rahmen des Strategieprozesses Studium und Lehre 2030 auf: Warum lernen wir im Studium Forschungsmethoden, aber nicht, was gute Lehre ausmacht?

Hauke Heekeren: Wen gutes Lehren interessiert, kann das an der Freien Universität schon sehr früh lernen. Unser Karrierewegemodell beginnt im Studium: Wir bieten Mentorinnen und Mentoren sowie Tutoren und Tutorinnen Qualifizierungskurse an.

Zum Abschluss eine praktische Frage: Sind noch Plätze in der Winter School frei?

Katja Reinecke: In den Workshops, die am 1. März anfangen, auf jeden Fall, vor allem fachspezifische Angebote sind noch offen. Bei großer Nachfrage werden wir reagieren und das Angebot erweitern.

Die Fragen stellte Christine Boldt