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Lesen als Lebensdeutung

Anstelle einer Antrittsvorlesung führt Juan Gabriel Vásquez, Samuel Fischer-Gastprofessor für Literatur, einen digitalen Dialog mit seinem Schriftstellerkollegen Alberto Manguel

10.05.2021

Schriftsteller Juan Gabriel Vásquez lehrt im Sommersemester 2021 am Peter Szondi-Institut der Freien Universität.

Schriftsteller Juan Gabriel Vásquez lehrt im Sommersemester 2021 am Peter Szondi-Institut der Freien Universität.
Bildquelle: Daniel Mordzinski

Er ist der 44. Samuel Fischer-Gastprofessor an der Freien Universität: Juan Gabriel Vásquez. Der 1973 in Bogotá geborene Literaturwissenschaftler und Jurist setzt sich literarisch mit Gewalt in Kolumbien auseinander und schildert in seinen Werken, wie sich diese Brutalität auf seine Protagonisten auswirkt. Im campus.leben-Interview berichtet der kolumbianische Autor, der seinen Antritt an der Freien Universität mit einem digitalen Dialog am 11. Mai begehen wird, von seiner Liebe zum Lesen und dem Glück geöffneter Buch- und Weinhandlungen.

Herr Vásquez, was haben Sie sich für Ihren Aufenthalt an der Freien Universität vorgenommen?

Zunächst freue ich mich auf den digitalen Dialog mit meinem argentinisch-kanadischen Schriftstellerkollegen Alberto Manguel am 11. Mai. Er ist einer der bedeutendsten Intellektuellen unserer Zeit, zudem schreibt er wundervolle Essays über das Lesen und die Literatur, die mich und viele andere tief berühren. In seinem Werk A History of Reading etwa behandelt er bewegend und erhellend meine Lebensbeschäftigung: das Lesen und Schreiben.

In unserem digitalen Dialog werden wir über die Bedeutung von Fiktion sprechen – Fiktion in unserer „post-wahren“ Gesellschaft, in einer Welt voller Fake-News: Wie verhalten sich Fiktion und Geschichte zueinander? Wie Fiktion und Politik? Wie Fiktion und mediales Storytelling? Wir beide kennen uns gut, es wird also ein Gespräch unter Freunden werden. Aus Pandemiegründen findet es natürlich online statt. 

Geht es um Ähnliches in dem Seminar, das Sie am Peter Szondi-Institut der Freien Universität für Studierende anbieten? 

Ich habe dem Seminar den Titel „The Politics of Fiction: Discussions on History, Memory, and the Possibility of Truth“ gegeben. Dieses Spannungsfeld würde ich gerne mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern näher betrachten. Als Lektüre habe ich kanonische Texte gewählt von Leo Tolstoi, Hannah Arendt, Miguel de Cervantes‘ Don Quijote. Wir werden aber auch über Literatur von Zadie Smith und Marguerite Yourcenar sprechen.

Ich möchte mit den Studierenden darüber diskutieren, welchen Einfluss fiktionale Texte auf unsere Wahrnehmung der Vergangenheit haben und wie in der Literatur Erdachtes unser Verständnis von Politik und unsere Rolle als Bürgerinnen und Bürger prägt. Gemeinsam werden wir untersuchen, ob Fiktion eine Form des Widerstands gegen medial verfälschte Realitäten ist oder sein kann – in den Medien geht es ja häufig auch darum, die beste „Story“ zu finden. 

Kennen Sie Berlin bereits? Welchen Eindruck haben Sie von der Stadt und der Freien Universität?

Berlin begreife ich als Metapher in mehrfacher Hinsicht. Als Schauplatz der Geschichte des 20. Jahrhunderts interessiert sie mich besonders. Ich möchte die Stadt mit meiner Familie gerne noch besser kennenlernen, ich hoffe, dass das trotz Corona möglich sein wird. Ich plane, während meines Aufenthalts in Berlin viel zu schreiben, zu lesen und lange Spaziergänge zu unternehmen. Es ist zwar schade, dass die Museen im Moment noch geschlossen sind, aber die Buch- und Weinhandlungen sind geöffnet – und was braucht ein Schriftsteller mehr? 

Ich habe bereits einige meiner Gastgeber am Peter Szondi-Institut kennengelernt und fühle mich sehr willkommen. Mich begeistert, dass an meinem Seminar Studierende ganz unterschiedlicher Fachrichtungen teilnehmen, die eines miteinander und auch mit mir teilen: Sie verstehen die große Bedeutung von Büchern. Denn indem wir lesen, deuten wir das Leben. 

Die Fragen stellte Jennifer Gaschler

Weitere Informationen

Den digitalen Dialog als Videoaufzeichnung finden Sie hier.

Die Samuel Fischer-Gastprofessur für Literatur wurde 1998 am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität eingerichtet. Namenspatron ist Samuel Fischer, der sich nicht nur in seinem eigenen Verlag darum bemühte, fremdsprachige Literatur in Deutschland bekannter zu machen. Entsprechend ist das Nachdenken über die Weltliteraturen Ziel des Seminars, das die Gastprofessorinnen und -professoren jeweils an der Hochschule anbieten. 

Weitere Informationen zu Juan Gabriel Vásquez und seiner Gastprofessur am Peter Szondi-Institut hier.