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„Mit den Themen hatten wir gerechnet, aber die Intensität der Probleme hat uns erschreckt“

Interview mit Silvana Blaube, Lea Christensen und Carl Lehrmann: Die Studierenden des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität haben ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen zur Corona-Situation befragt

17.05.2021

Silvana Blaube, Lea Christensen und Carl Lehrmann beim Interview. Die drei engagieren sich neben ihrem Studium am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften auch in der Gremienarbeit der Universität.

Silvana Blaube, Lea Christensen und Carl Lehrmann beim Interview. Die drei engagieren sich neben ihrem Studium am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften auch in der Gremienarbeit der Universität.
Bildquelle: Privat

„Wie geht es Euch? Wie kommt Ihr mit dem digitalen Studium zurecht? Was macht Euch Sorgen?“ Das wollte eine Gruppe von Studierenden von ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften wissen. Die Resonanz auf die Umfragen – eine im vergangenen Frühjahr, im ersten Lockdown, eine zweite vor wenigen Wochen – war jedes Mal groß. Die Antworten der 652 Studentinnen und Studenten, die sich an der jüngsten Umfrage beteiligt haben, waren zum Teil besorgniserregend. Silvana Blaube, Lea Christensen und Carl Lehrmann im campus.leben-Gespräch über die Ergebnisse der Studie, über ein Jahr Leben und Studieren vor dem Bildschirm, digitale Besuche in den Küchen von Lehrenden und den gemeinschaftsstiftenden Effekt von hochschulpolitischem Engagement.

Wie kamen Sie auf die Idee, eine Umfrage zu machen?

Carl Lehrmann: Wir haben im letzten Frühjahr gemerkt, dass uns die Online-Lehre sehr zu schaffen gemacht hat. Die Anforderungen waren plötzlich stark gestiegen. Da wollten wir wissen, ob das nur uns so geht oder auch den anderen Studierenden am Fachbereich.

Silvana Blaube: Wir haben im März 2020 ganz klein angefangen und erstmal unsere Kommilitoninnen und Kommilitonen am Institut für Philosophie gefragt. Wir wollten auch ausprobieren, ob wir uns über diesen Weg austauschen können – durch den plötzlichen Lockdown und die Umstellung aufs digitale Studium war ja abrupt der Kontakt abgebrochen. Der Rücklauf auf die Umfrage jedenfalls war groß: 200 Studierende vom Institut für Philosophie haben mitgemacht.

Das hat uns motiviert, die Umfrage auszuweiten: Zwischen Mai und Juli, also im laufenden Sommersemester 2020, haben wir eine erste fachbereichsweite Umfrage gemacht. Zu Beginn der Semesterferien haben wir sie ausgewertet und die Ergebnisse im Fachbereichsrat vorgestellt. Von der Idee bis zur Präsentation der Ergebnisse waren das gerade mal drei Monate.

Woher wussten Sie, wie man eine Umfrage macht? Wie haben Sie die Fragen entwickelt?

Philosophiestudentin Silvana Blaube ist in der Fachschafts-Initiative Philosophie aktiv, im Fachbereichsrat, in der Kommission für Lehrangelegenheiten des Akademischen Senats und als Mentorin.

Philosophiestudentin Silvana Blaube ist in der Fachschafts-Initiative Philosophie aktiv, im Fachbereichsrat, in der Kommission für Lehrangelegenheiten des Akademischen Senats und als Mentorin.
Bildquelle: privat

Silvana Blaube: Um den Fragenkatalog zu entwickeln, haben wir uns über mehrere Wochen getroffen, das waren manchmal endlose Diskussionen – kein Wunder, bei so vielen Geisteswissenschaftsstudierenden (lacht). Wir hatten auch Unterstützung von Leuten, die sich mit Statistik auskennen, sie haben uns dabei geholfen, die Fragen so zu formulieren, dass sie zu statistisch sauberen Antworten führen.

Lea Christensen: Wir haben alles in der großen Gruppe diskutiert, am Anfang waren wir zu 20. Wir hatten ja mehrere Ziele: Wir wollten mit der Umfrage unsere Sorgen und die unserer Kommilitoninnen und Kommilitonen sichtbar machen. Dann wollten wir herausbekommen, wo es Probleme gibt, von denen wir noch nicht wussten.

Wir wollten außerdem die Diversität der Studierenden abbilden, und auch die Erstsemester-Studierenden, die unter Corona-Bedingungen ihr Studium angefangen haben, sollten einbezogen werden. Wie schwer das gerade für sie war, haben wir als Mentorinnen und Mentoren in den Einführungsveranstaltungen aus erster Hand mitbekommen.

Hat der Fachbereich Sie unterstützt?

Silvana Blaube: Die Situation im letzten Frühjahr, als plötzlich die gesamte Präsenzlehre auf digital umgestellt werden musste, war ja für alle neu. Auch die Lehrenden wollten wissen, was sie verbessern können. Als wir unsere Idee, eine Umfrage unter den Studierenden zur Online-Lehre zu machen, im Fachbereichsrat vorgestellt haben, fanden das alle dort gut. Wir konnten den Fachbereichs-Mailverteiler nutzen und alle Studierenden anschreiben. Wir wurden sehr unterstützt, aber wir kennen uns auch schon von der Gremienarbeit, und die Verwaltung wusste, dass wir keinen Quatsch machen.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage aus dem Frühjahr 2020?

Carl Lehrmann studiert im zweiten Mastersemester Philosophie, hat die Fachschafts-Initiative mitgegründet und ist Mentor.

Carl Lehrmann studiert im zweiten Mastersemester Philosophie, hat die Fachschafts-Initiative mitgegründet und ist Mentor.
Bildquelle: privat

Carl Lehrmann: Sie hat gezeigt, dass die Arbeitsbelastung für die Studierenden im ersten Lockdown sehr hoch war. Viele berichteten von Konzentrations- und Motivationsproblemen, von der Schwierigkeit, Literatur zu beschaffen. Ein Viertel der Studierenden hatte keinen ruhigen Arbeitsplatz – das ist übrigens auch nach einem Jahr nicht besser geworden, wie die aktuelle Umfrage zeigt. Besonders besorgniserregend waren die Berichte über Existenzsorgen, viele haben ihre Jobs verloren.

Silvana Blaube: Dann gab es technische Hürden, viele Studierende – und auch Lehrende – waren für die Online-Lehre nicht ausgestattet; sie hatten kein WLAN, keine Laptops, keine Kameras. Wir haben uns damals gefragt: Wie soll das gehen, von zu Hause aus zu studieren? Auch die Online-Lehre war anfangs nicht so gut, da hat sich inzwischen sehr viel getan. Diese ganzen Probleme haben sich in der ersten Umfrage abgebildet.

Carl Lehrmann: Mit den Themen hatten wir ja gerechnet, aber nicht mit der Intensität der Probleme, das hat uns schon sehr erschreckt.

Jetzt haben Sie Ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen wieder gefragt, wie es ihnen geht – hat sich etwas verändert?

Silvana Blaube: Ja, im März/April 2021 haben wir eine zweite fachbereichsweite Umfrage gemacht. Statistisch können die beiden Umfragen aber nicht verglichen werden, weil nicht exakt dieselbe Gruppe teilgenommen hat. Wir sehen natürlich Tendenzen, und die sind vergleichbar: Die Online-Lehre ist zum Beispiel besser geworden, da haben die Lehrenden viel Zeit und Mühe investiert, das fiel auf.

Lea Christensen studiert Filmwissenschaft und Informatik und Management als Nebenfächer. Sie engagiert sich in der Fachschaft am Institut für Theaterwissenschaft und in der Fachbereichs-Initiative. Und sie ist Mentorin.

Lea Christensen studiert Filmwissenschaft und Informatik und Management als Nebenfächer. Sie engagiert sich in der Fachschaft am Institut für Theaterwissenschaft und in der Fachbereichs-Initiative. Und sie ist Mentorin.
Bildquelle: privat

Lea Christensen: Die technische Ausstattung der Studierenden hat sich zwar gebessert, aber es gibt da immer noch Bedarf. Insbesondere eine stabile Internetverbindung ist sehr häufig ein Problem. Vor allem aber die psychische Belastung ist immer noch hoch, sie ist sogar gestiegen: Wir sitzen schließlich seit einem Jahr zu Hause. Vier von fünf Studierenden berichten von Motivations- und Konzentrationsproblemen.

Dann gab es den Hinweis von Studierenden, dass sie ihre Dozierenden schlecht erreichen, dass sie auf Mails nicht reagieren. Wir wissen, dass auch für die Lehrenden der Arbeitsaufwand im digitalen Semester enorm ist und viel mehr über Mail kommuniziert werden muss als sonst. Aber beim Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden gibt es noch Verbesserungsbedarf.

Carl Lehrmann: Den Studierenden fehlt natürlich nach wie vor der Kontakt untereinander, vor allem den Erstsemester-Studierenden, die neu in Berlin sind – oder die erst gar nicht umgezogen sind. Da fehlt vieles, das ist ein riesiges Problem.

Silvana Blaube: Die Umfrage bestätigt, dass das Befinden sehr stark von sozialen Kontakten abhängt: Wer die nicht hat, hat größere Schwierigkeiten. Uns dreien hier hilft, dass wir uns regelmäßig in der Fachbereichsinitiative treffen und miteinander reden – auch wenn wir das nur über Videokonferenzen machen. Carl und ich zum Beispiel arbeiten jetzt seit einem Jahr hochschulpolitisch zusammen, und wir haben uns in dieser Zeit nicht einmal persönlich getroffen.

Lea Christensen: Obwohl ich im sechsten Semester bin und Kontakte an der Uni habe, fehlt mir der übliche Austausch auf dem Campus. Deshalb habe ich im letzten Wintersemester übrigens auch angefangen, mich in der Fachschaft zu engagieren. Mein Engagement und der Austausch dort haben mich durch den Winter und den zweiten Lockdown getragen. Aber natürlich ist das kein Ersatz für direkten Kontakt.

Silvana Blaube: Akademisch und persönlich ist diese Pandemiesituation inzwischen ein ziemliches Problem. Gerade in den Geisteswissenschaften ist es wichtig, sich auszutauschen. Vieles, von dem, was wir hören und lesen, muss reifen. Und dann wieder miteinander besprochen werden. Der Dialog, der sich normalerweise einfach so nebenher ergibt, beim Kaffee, zwischen zwei Veranstaltungen, in der Mensa, ist unerlässlich. Er ist fachlich und emotional wichtig.

Wie läuft aus Ihrer Sicht die Kommunikation zwischen Studierenden, Lehrenden und der Verwaltung?

Silvana Blaube: Wir persönlich sind durch unsere Gremienarbeit schon lange in gutem Austausch mit unserer Fachbereichsverwaltung. Was die Lehrenden angeht, haben wir gemerkt, dass sie dankbar waren, als wir auf sie zugegangen sind. Durch die Video-Kommunikation ist der Umgang in mancher Hinsicht lockerer geworden. Bei Meetings plötzlich in der Küche von Dozierenden zu landen, das ist schon kurios.

Carl Lehrmann: Lehrende anzusprechen und anzuschreiben, fällt vielen Studierenden schwer. Ich musste das auch erst lernen. Wir haben mitbekommen, dass manche stundenlang an E-Mails gefeilt haben, weil sie unsicher waren, wie sie die Lehrenden ansprechen sollen. Auch das konnten wir den Lehrenden weitergeben. Da hilft es, wenn Dozierende die Studis ermuntern, sich bei ihnen zu melden.

Silvana Blaube: Da ist die Pandemie, wie es so schön heißt, ein Brennglas. Auch vorher waren Studierende oft unsicher, in welchem Ton sie Lehrende anschreiben sollten, ob mit Titel oder ohne zum Beispiel. Angst in der Kommunikation abzubauen, war im ersten Lockdown schon ein großes Thema. Weil wir durch die Online-Lehre auch viel über Kommunikation grundsätzlich gesprochen haben, konnten wir das den Lehrenden plötzlich besser klarmachen.

Lea Christensen: Wir haben bei uns am Institut für Theaterwissenschaften viel Entgegenkommen und Verständnis erfahren. Wir konnten zu Beginn des Semesters in allen Lehrveranstaltungen unsere Fachschaftsarbeit vorstellen; es ging ja nicht nur um die hochschulpolitische Arbeit an sich, sondern auch darum, Studierenden zu erklären, wie sie sich darüber vernetzen können. Für diese Offenheit der Lehrenden sind wir dankbar.

Würden Sie das als gute Erfahrung in der unguten Corona-Zeit beschreiben: dass eine neue Art von Kommunikation zwischen Studierenden, Lehrenden und der Verwaltung entstanden ist?

Silvana Blaube: Wir sitzen einfach alle im selben Boot. Der Austausch über die Online-Lehre und die ganze Situation hat uns auf eine Ebene miteinander gebracht und auf eine Art Hierarchien abgebaut. Technisch wussten wir manchmal besser Bescheid als die Lehrenden, da konnten wir helfen. Aber es ist einfach so, dass der Umgang bei uns am Fachbereich sehr wertschätzend ist.

Sie drei engagieren sich in verschiedenen Uni-Gremien. Welche Formen des Austauschs gibt es mit der Verwaltung und dem Präsidium? Gibt es Routinen?

Silvana Blaube: Ja, zum Beispiel in den Sitzungen der Kommission für Lehrangelegenheiten oder in Gesprächsrunden mit Studierenden des AStA, des Akademischen Senats und der Ausbildungskommissionen treffen wir regelmäßig den Vizepräsidenten für Studium und Lehre, Hauke Heekeren, und seinen Referenten Pellegrino Favuzzi. Deshalb wussten wir auch, wohin wir die Ergebnisse unserer Umfragen über die Probleme der Studis in der Pandemie kommunizieren können.

Lea Christensen: Wir merken, dass der gemeinsame Austausch total erwünscht ist. Und wir merken, dass unsere Meinung, auch die Ergebnisse der Umfragen, gehört werden: So setzt sich die Freie Universität für eine sichere Wiederöffnung der Unis ein. Das sehen wir auch als Bestätigung unserer Arbeit.

Was folgt für Sie aus der Umfrage?

Silvana Blaube: Die Kommunikation an der Universität muss verbessert werden, zum Beispiel darüber, an welchen Öffnungsszenarien für das nächste Semester gearbeitet wird. Die Ergebnisse unserer Umfrage werden gerade in den Institutsräten vorgestellt, wir sind gespannt auf die Reaktionen.

Unser Ziel war es, mit der Umfrage die Sorgen unserer Kommilitonen und Kommilitoninnen in die richtigen Gremien zu bringen. Nun überlegen wir, wie wir die Ergebnisse öffentlich machen können. Wegen der riesengroßen Resonanz empfinden wir dafür auch eine Verpflichtung. Als der Bundespräsident zu Semesterbeginn eine Rede an alle Studierenden in Deutschland gehalten hat, haben wir ihm eine zweiseitige Zusammenfassung mit den Umfrageergebnissen in die Hand drücken können.

Warum engagieren Sie sich hochschulpolitisch?

Silvana Blaube: Weil wir feststellen, dass dadurch etwas passiert, dass wir etwas bewegen können, wenn alle an einem Tisch zusammenkommen. Gremienarbeit hat eine eigene Sprache, sie zu sprechen, muss erstmal gelernt werden, darauf mussten wir uns auch einlassen. Aber wir haben gemerkt, dass es kein Gegeneinander ist, sondern ein konstruktiver Austausch. Klar ist aber auch, dass die hochschulpolitische Arbeit in mancher Hinsicht weniger verkrampft und protokollhaft und grau sein könnte.

Carl Lehrmann: Dass diese gemeinsame Arbeit funktioniert, ist eine Erfahrung, die mensch aber erstmal machen muss. Wie spricht mensch mit Dozierenden, mit Beschäftigten in der Verwaltung, in den Gremien? Ich war da anfangs auch schüchtern. Mit der Zeit bin ich aber selbstbewusster geworden.

Lea Christensen: Gerade das lässt sich gut in den Fachschafts-Initiativen, den FSIn, lernen. Alle sind willkommen, mitzumachen. Wir sind kein geschlossener Kreis, alle bringen sich ein, wie sie können und möchten. Das kann ganz niedrigschwellig sein. Das Niedrigschwelligste ist übrigens, wählen zu gehen: am 18. und 19. Mai wird der Akademische Senat gewählt, außerdem die Fachbereichs- und die Institutsräte. An einigen Instituten stehen keine Studierenden auf den Wahllisten, hier sollte sich unbedingt etwas ändern.

Silvana Blaube: Hochschulpolitische Arbeit kann super interessant sein, wir verstehen viel besser, wie alles miteinander zusammenhängt. Die Uni ist uns dadurch auf eine neue Art nähergekommen, das hilft total.

Nicht zuletzt sind wir eine Gemeinschaft. Wir engagieren uns, weil wir gerne miteinander arbeiten. Und weil wir gestalten wollen, wir wollen etwas verändern.

Die Fragen stellte Christine Boldt

Weitere Informationen

Silvana Blaube studiert im Bachelor Philosophie; Religionswissenschaft und Geschichte als Nebenfächer hat sie schon abgeschlossen. Sie ist in der Fachschafts-Initiative Philosophie aktiv, im Fachbereichsrat, in der Kommission für Lehrangelegenheiten des Akademischen Senats und als Mentorin.
Lea Christensen studiert Filmwissenschaft und Informatik und Management als Nebenfächer. Sie engagiert sich seit dem vergangenen Wintersemester in der Fachschaft am Institut für Theaterwissenschaft und in der Fachbereichs-Initiative. Auch sie ist Mentorin.
Carl Lehrmann studiert im zweiten Mastersemester Philosophie und ist dort auch in der Fachschafts-Initiative aktiv. Davor hat Carl einen Bachelor in Philosophie und Politikwissenschaften an der Freien Universität abgeschlossen. Carl hat die Fachbereichs-Initiative mitbegründet und ist ebenfalls Mentor.

Studentische Umfrage zur Evaluation des Online-Semesters