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„Wow, das ist so cool!“

Beim diesjährigen Girls’Day und Boys’Day konnten Schülerinnen und Schüler die Freie Universität Berlin kennenlernen – und in Fächer hereinschnuppern, in denen ihr Geschlecht immer noch unterrepräsentiert ist

08.05.2023


Einen Einblick in die Welt der Physik erhalten die Schülerinnen durch Experimente unter anderem mit Stickstoff.

Einen Einblick in die Welt der Physik erhalten die Schülerinnen durch Experimente unter anderem mit Stickstoff.
Bildquelle: Anne Kostrzewa

Lina zögert. Die gelbe Rose in ihrer Hand ist durch flüssigen Stickstoff hart gefroren. „Ich möchte nicht, dass sie kaputtgeht. Sie ist so schön“, sagt die 12-jährige Schülerin noch. Dann traut sich Lina doch und schlägt die Rose kraftvoll auf die Tischplatte: Die gelben Blütenblätter brechen beim Aufprall und zersplittern wie Glas in kleinste Teilchen. Die Mädchen um Lina herum jubeln und lachen. Die Schülerinnen gehen in die fünfte und sechste Klasse verschiedener Berliner Grundschulen. Doch an diesem Donnerstag können sie beim Girls’Day an der Freien Universität einen Einblick in die Welt der Physik erhalten – und dabei vielleicht einen zukünftigen Beruf für sich entdecken, in dem Frauen trotz zahlreicher Gleichstellungsmaßnahmen noch immer unterrepräsentiert sind.

Der Girls’Day wird bereits seit 2002 an der Freien Universität angeboten.

Der Girls’Day wird bereits seit 2002 an der Freien Universität angeboten.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Neben Rosen landen an diesem Morgen auch Bananen, Zucchini, Taschentücher und Luftballons im Stickstoff. Als die Tische bereits von unzähligen Bruchstückchen sowie geschrumpften und wieder aufgeblähten Luftballons bedeckt sind, schüttet Workshop-Leiter und Doktorand Jendrik Gördes den flüssigen Stickstoff in einer dampfenden Wolke auf den Boden, wo er erst blubbert und sich dann in der Luft verflüchtigt. Die Reaktion der Schülerinnen: „Wow, das ist so cool!“

Die Mädchen experimentieren und lernen wie nebenbei physikalische Gesetzmäßigkeiten kennen. Am Morgen erfahren sie bereits bei der Begrüßung im Großen Hörsaal von Olga Jarugski vom Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit am Fachbereich Physik, wie vielfältig die Berufswege für Physikerinnen sein können. Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin, richtet sich in einem Video-Grußwort an die Schülerinnen: „Informatik, Mathematik, Physik und Chemie sind nicht nur was für Männer, Onkel und Väter“, sagt Ziegler den Teilnehmerinnen des Girls’Days. „Alles ist möglich für euch, wenn ihr das wollt.“

Was in der Physik alles so möglich ist, demonstriert anschließend Katharina Franke, Professorin für Experimentelle Nanophysik. Ihre Botschaft an die Schülerinnen: „Physik ist nicht nur was für Nerds, sondern für Teams! Hier arbeitet ihr zusammen und entdeckt total spannende Sachen.“

„Wenn ihr Interesse an diesen Themen habt, seid ihr hier genau richtig.“

Dann geht es los: Eine mit Luft und Wasser betankte Rakete schießt über die Schülerinnen hinweg, Wassertropfen erzeugen Blitze, ein Kupferdraht dreht sich wie ein Motor um eine Batterie herum, Zuckerwasser beginnt zu leuchten, ein Feuertornado erhellt den abgedunkelten Hörsaal, eine Gewürzgurke glüht gelb und rot, und ein Magnet fällt im Zeitlupentempo zu Boden. Schnell lassen sich die Mädchen von Katharina Frankes Begeisterung anstecken, als diese sagt: „Fühlt euch von den vielen Männern in der Physik nicht abgeschreckt. Wenn ihr Interesse an diesen Themen habt, seid ihr hier genau richtig.“

Zurück am Tisch mit den Stickstoff-Experimenten zwischen zerbrochenen Blütenblättern und Taschentuch-Splittern kommen die Mädchen miteinander ins Gespräch. Wer von ihnen sich nun vorstellen könnte, eines Tages wirklich Physik zu studieren? Da gehen einige Hände nach oben.

Boys’Day: Mehr Jungs ins Grundschullehramt

Einige Hundert Meter weiter, in der Silberlaube, sitzen 24 Jungen der achten bis elften Klasse beim Boys’Day im Seminarraum und lassen sich von Dr. Marion Ziesmer „verzaubern“. Nach vielen Jahren an einer Neuköllner Grundschule ist Ziesmer nun am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie zuständig für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Ihr Thema für diesen Boys‘Day: „Deutsch: Sprache als Ereignis – Lehren durch Verzauberung“.

Vom Bachelor zum Berufseinstieg. Schüler haben erfahren, wie sie Grundschullehrer werden können und was guten Unterricht ausmacht.

Vom Bachelor zum Berufseinstieg. Schüler haben erfahren, wie sie Grundschullehrer werden können und was guten Unterricht ausmacht.
Bildquelle: Anne Kostrzewa

Während Naturwissenschaften wie die Physik nach wie vor eine Männerdomäne sind, identifizieren sich im Grundschullehramt mehr als 80 Prozent der Studierenden als weiblich. „Wir betrachten den Boys’Day als eine Gleichstellungsmaßnahme“, sagt Elias Boike, Studiengangskoordinator für den Bereich Grundschulpädagogik an der Freien Universität. Er hat das Programm des diesjährigen Boys’Days entworfen. „Mein Ziel war es, einen möglichst breiten Querschnitt durch den Fachbereich abzubilden und damit möglichst viele Jungen vom Grundschullehramt zu begeistern.“

Die Jungen konnten in der Lernwerkstatt als Beispiel für gelungenen Sachunterricht mit sogenannter intelligenter Knete arbeiten und herausfinden, warum Mathematik sich manchmal besser vermitteln lässt, wenn nicht gerechnet wird. Sie entdeckten den Bereich Sonderpädagogik und konnten beim Mittagessen in der Mensa mit Studierenden der Grundschulpädagogik ins Gespräch kommen. Einen allgemeinen Überblick vom Bachelor bis in den Berufseinstieg gab es ebenfalls.

Nach einem solch aufregenden Vormittagsprogramm sind viele der Jungen müde, sie gähnen und rutschen in der kleinen Pause unruhig auf ihren Stühlen herum. Trotzdem hat Marion Ziesmer vom ersten Satz ihres Vortrags an die Jungen auf ihrer Seite. Sie hören konzentriert zu und arbeiten motiviert mit, als es gilt, Gedichte zu interpretieren und selbst einige Zeilen zu verfassen. Mehrmals bekommt Ziesmer sogar tosenden Applaus von den Schülern. Was Marion Ziesmer den Jungen an diesem Nachmittag mitgeben möchte: „Unterricht kann allen Beteiligten Spaß machen, wenn die Lehrkraft der Klasse mit Respekt begegnet, die Schülerinnen und Schüler ernst nimmt und ihnen vermittelt: Ich weiß mehr als ihr und ich traue euch zu, von mir etwas zu lernen.“

Den Abschluss des Boys’Day bildet Lars Biermann. Er ist Grundschullehrer und saß als Student selbst mal in Marion Ziesmers Seminaren. Beide umarmen sich herzlich, bevor sich Ziesmer – erneut unter lautem Applaus – von den Jungen verabschiedet und Biermann übernimmt. Er berichtet von seinem Quereinstieg als Lehrer sowie seinem Arbeitsalltag und beantwortet Fragen der Schüler: Wieviel verdienen Lehrer? Hat man in den Ferien frei? Braucht man Abitur? Wie lange dauert es, eine Klassenarbeit zu korrigieren?

Was die Jungen besonders beeindruckt: „Es steht euch offen, den Unterricht so zu gestalten, dass er auch euch Spaß macht.“ Es gebe zwar den Rahmenlehrplan. „Aber alles drum herum entscheidet ihr.“ Für die Teilnehmer des Boys’Day wünsche er sich, „dass viele von euch mal zu den Lehrern werden, an die die Schülerinnen und Schüler sich ihr Leben lang gern erinnern.“

Als Lars Biermann das sagt, meldet sich der 14-jährige Tamy. Er sagt: „Es macht so einen riesigen Unterschied, ob die Lehrer motiviert sind. Wenn sie es schaffen, die Kinder zu erreichen, können sie richtig wichtige Bezugspersonen sein.“ Viele Jungen nicken zustimmend. Vielleicht werden einige von ihnen eines Tages selbst als Lehrer vor ihren Klassen stehen.