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Viel mehr als nur Wörter

50 Jahre: Das Sprachenzentrum feiert Jubiläum mit Fachthemen und einem Festakt

12.06.2023

Buntes Programm zum Jubiläum des Sprachenzentrums: Workshops, Vorträge, Podiumsdiskussion, Festakt und Empfang.

Buntes Programm zum Jubiläum des Sprachenzentrums: Workshops, Vorträge, Podiumsdiskussion, Festakt und Empfang.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Die Zentraleinrichtung Sprachenzentrum der Freien Universität wurde vor 50 Jahren gegründet. Generationen von Studierenden, Forschenden und Beschäftigten haben hier Sprachen aus aller Welt gelernt. Auf einem Fachtag anlässlich des Jubiläums wurde auch über die Rolle künstlicher Intelligenz beim Erlernen von Fremdsprachen im akademischen Kontext diskutiert.

Rund 40 festangestellte Lehrkräfte unterrichten am Sprachenzentrum der Freien Universität, hinzu kommen noch einmal doppelt so viele Honorarkräfte. Etwa 1000 Semesterwochenstunden Lehre kommen dabei zusammen, verteilt auf 13 verschiedene Sprachen.

„Es begann im Wintersemester 1973/74 mit Englisch und Französisch“, berichtet Ruth Tobias, Diplom-Sprachenlehrerin und Direktorin des Sprachenzentrums, „damals unter dem Namen Sprachlabor. Dann kamen rasch Italienisch, Russisch, Spanisch und Deutsch als Fremdsprache hinzu.“ In den 2000er-Jahren wurde das Angebot zusätzlich um Arabisch, Japanisch, Portugiesisch, Türkisch, Niederländisch, Persisch und Polnisch ergänzt.

Studierende aller Fächer haben die Möglichkeit, im Rahmen der Allgemeinen Berufsvorbereitung ihres Bachelorstudiums Kurse in der Sprache ihrer Wahl zu belegen. Internationale Studierende und Lehrende können kostenfrei Deutschkurse besuchen.

Eine Besonderheit der Einrichtung ist zudem, dass hier die Fremdsprachenausbildung für eine Reihe von Studiengängen aus den Philologien und Kulturwissenschaften stattfindet. „Angehende Islamwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler lernen bei uns etwa Arabisch oder Türkisch“, sagt Ruth Tobias. „Zukünftige Romanisten lernen Portugiesisch oder Italienisch.“

Mehrsprachigkeit würdigen: Das Sprachenzentrum bietet Kurse in 13 Sprachen.

Mehrsprachigkeit würdigen: Das Sprachenzentrum bietet Kurse in 13 Sprachen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Mehrsprachigkeit im­ Alltag gehört zum neuen Leitbild

Eines der bislang größten Projekte war ein umfassender, partizipativer Leitbildprozess. Über ein Jahr lang kamen die Mitarbeiter*innen in unterschiedlichen Konstellationen zusammen. „Das vorherige Leitbild des Sprachenzentrums war 20 Jahre alt. Wir wollten daher neu klären, wer wir sind, und wofür wir stehen“, sagt Ruth Tobias. „Und wir wollten das als Bottom-Up-Prozess gestalten, in dem alle ihre Stimme haben.“

Das neue Leitbild erschien pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum unter der Überschrift „Miteinander mehrsprachig vernetzt“. Die Einrichtung verpflichtet sich dort nicht nur dem Ziel, kulturell kompetente, mehrsprachige und weltoffene Studierende auszubilden und studentische Mobilität und Internationalisierung zu fördern, sondern erläutert auch ihr Selbstverständnis als Ort der gesellschaftlichen Diversität. „Wir leben Mehrsprachigkeit im Alltag“, betont die Direktorin, „sowohl in Bezug auf unsere Fremdsprachenkompetenz als auch auf die Herkunftssprachen der Studierenden und die tägliche Arbeit im Kollegium.“

Nicht nur das Sprachenzentrum habe sich in den vergangenen 50 Jahren verändert, sondern auch die Studierenden. „Viele von ihnen kommen nicht mehr nur mit einer einzigen Erstsprache zu uns. Sie sprechen schon von Haus aus zwei, vielleicht sogar drei Sprachen.“ Eine derartige kulturelle Vielfalt sei ein Schatz, den es zu pflegen gelte. „Diese jungen Menschen haben ganz andere Möglichkeiten, mit Sprache umzugehen“, hebt Ruth Tobias hervor. „Die große Bereicherung durch Mehrsprachigkeit sollten wir als Gesellschaft noch mehr würdigen.“

Fachthemen und Festakt

Sein 50-jähriges Jubiläum feierte das Sprachenzentrum mit einem Thementag. In zwei Workshops am Vormittag ging es um Lernautonomie und Lernkompetenzen sowie um performatives Arbeiten im akademischen Fremdsprachenunterricht. Am Nachmittag moderierte die KI-Expertin Katja Anclam eine Podiumsdiskussion über die größte aktuelle Herausforderung nicht nur in der Fremdsprachendidaktik: digitale Medien und künstliche Intelligenz.

Wie Künstliche Intelligenz die Zukunft der Sprache prägt

Die Lern-App Duolingo, das Übersetzungsprogramm deepl, der Schreibassistent Grammarly oder der Chatbot ChatGPT – wer mit Sprachen zu tun hat, kommt an diesem Thema schon lange nicht mehr vorbei, machte Thomas Strasser von der Pädagogischen Hochschule Wien gleich zu Beginn seines einführenden Vortrags deutlich.

Der Professor für Fremdsprachendidaktik beschäftigt sich intensiv mit technologieunterstütztem Lehren und Lernen – und nimmt bei Kolleg*innen derzeit vor allem eines wahr: Panik. Viele Lehrende fragten sich, ob die Technik sie bald ersetzen wird. Seine Antwort: ein klares und beruhigendes Nein!

Daten helfen, den Lernprozess besser zu verstehen

Im Vorteil sieht Thomas Strasser die digitalen Helfer etwa bei der Datengewinnung und -analyse: „Wir brauchen Daten, um Lernprozesse besser zu verstehen und zu gestalten.“ Auch für das sture Einüben und Wiederholen seien die neuen Tools bestens geeignet – ebenso fürs Konzipieren und Auswerten standardisierter Prüfungsfragen.

Wahre Wunder könne KI bewirken, meint Thomas Strasser, wenn sie zur Visualisierung von Lerninhalten eingesetzt werde. Die Web-Anwendung simpleshow.com etwa erstellt aus Texten blitzschnell Erklärvideos mit animierten Grafiken. Studien haben gezeigt, dass solche Visualisierungen den Lernprozess stark verbessern können. Mit Chatbots wie ChatGPT kommt sogar eine interaktive Komponente dazu. Wer sie intelligent nutzt, kann damit für sich einen individuellen Lernpfad kreieren.

Lehrende übernehmen neue Rolle

Doch die wenigsten Lernenden wüssten, wie man eine künstliche Intelligenz am besten füttert, gibt der Pädagoge zu bedenken. Ihnen fehlten Kenntnisse im „Prompt Engineering“ – der Kunst, einer Maschine die richtigen Fragen zu stellen, Anweisungen und Feedbacks zu liefern. „Dabei müssen wir Lernende unterstützen“, sagt Thomas Strasser.

Yannick Müllender, Dozent für Deutsch als Fremdsprache am Sprachenzentrum der Freien Universität Berlin, sieht es ähnlich: „In unserer neuen Rolle sind wir nicht mehr die Gatekeeper für Wissen, sondern organisieren den Lernprozess und schaffen den Rahmen, in dem die digitalen Tools genutzt werden können.“ Wichtige Entscheidungen sollten in diesem Zusammenspiel nach wie vor die Menschen treffen, betonte er.

Die Einführung zur Diskussion gab Prof. Dr. Thomas Strasser, Professor for Foreign Language Didactics and Technology-supported Teaching and Learning, Pädagogische Hochschule Wien.

Die Einführung zur Diskussion gab Prof. Dr. Thomas Strasser, Professor for Foreign Language Didactics and Technology-supported Teaching and Learning, Pädagogische Hochschule Wien.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Das bleibt: verschiedene Kulturen zusammen erleben

Auch Maike Engelhardt, Leiterin des Sprachenzentrums der Universität Oldenburg und Vorsitzende des Fachverbands der Sprachenzentren an Hochschulen, ist sicher, dass die Kolleg*innen ihre Jobs behalten werden. Wichtig sei schließlich auch, was Menschen aus verschiedenen Kulturen gemeinsam in einem Kursraum erleben. Auf die klassischen Hausaufgaben könne sie notfalls verzichten: „Ich möchte ja nicht lesen, was ChatGPT geschrieben hat.“

Maria Teresa Zanola, Professorin für Linguistik der französischen Sprache an der Università Cattolica del Sacro Cuore Milano und Präsidentin des European Language Council, sieht einen weiteren Vorteil des digitalen Zeitalters: Die Dominanz der englischen Sprache im akademischen Bereich lasse nach. „Wir haben nicht ausreichend für Mehrsprachigkeit gekämpft – doch nun wird uns die künstliche Intelligenz dabei helfen.“

Als Expert*in die Gestaltung in der Hand behalten

Thomas Strasser betonte abschließend, dass es bisher noch zu wenig differenzierte Forschung darüber gebe, wie KI das Lernen tatsächlich verbessern könne. Auch die Kosten sowie Datensicherheit und Datensouveränität müssten bedacht werden. Und was geschehe mit der Vielfalt innerhalb einer Sprache, wenn ChatGPT, deepl und Grammarly weltweit die Standards setzen?

Darüber waren sich die Diskutierenden einig: Künstliche Intelligenz wird das Erlernen von Fremdsprachen nachhaltig verändern. Lehrende sollten sie weder fürchten noch ignorieren, sondern für sich nutzen und – als Expert*innen für Didaktik und Methoden – die Macht der Gestaltung weiterhin in der Hand behalten.

Festvorträge und Ausklang mit der Bigband der Freien Universität

Um die Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Sprachenzentrums ging es auch im anschließenden Festakt mit Festvortrag. Ruth Tobias, Direktorin des Sprachenzentrums, und Harald Preuss, Gründungsdirektor, boten Einblicke in die Entwicklung der Einrichtung in den vergangenen 50 Jahren.

Matthias Hüning, Professor für Sprachwissenschaft und Niederländische Philologie, beleuchtete in seinem Vortrag aktuelle Perspektiven auf Mehrsprachigkeit. Im Anschluss an den offiziellen Teil tauschten sich die Gäste am Buffet und bei Musik in festlicher Atmosphäre aus.