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Open Mic Forum beleuchtet Stand der Geschlechterforschung an der Freien Universität

Von feministischer Geografie über die Bedeutung von Kopftüchern bis zur Kontroverse um die Musikgruppe Rammstein reichten die Aspekte, die diskutiert wurden

12.07.2023

Zehn mal 7,5 Minuten Geschlechterforschung an der Freien Universität: Philosophieprofessorin Manon Garcia beim Open Mic.

Zehn mal 7,5 Minuten Geschlechterforschung an der Freien Universität: Philosophieprofessorin Manon Garcia beim Open Mic.
Bildquelle: Sabrina Schotten

„Die Wettergöttin ist nicht mit uns“, sagte Heike Pantelmann, Geschäftsführerin des Margherita-von-Brentano-Zentrums für Geschlechterforschung. Die Veranstaltung zum Stand der Geschlechterforschung an der Freien Universität musste daher am 20. Juni vom Theaterhof der Rost- und Silberlaube in einen Gang verlegt werden. Die weniger schöne Umgebung tat dem Interesse der Zuhörenden keinen Abbruch. Was hat sich in den 75 Jahren seit der Gründung der Freien Universität in Sachen Geschlechterforschung getan, was sind aktuelle Projekte? Diese Frage beantworteten Vertreterinnen und Vertreter von zehn Fachbereichen und Instituten bei einer Open-Mic-Veranstaltung. Jeder Beitrag durfte 7,5 Minuten lang sein, insgesamt gab es also im Festmonat zum 75. Jubiläum 75 Minuten zu diesem Thema zu hören. Die Erkenntnisse wurden durch live gezeichnete Poster verdeutlicht.

Sorgefeindlicher Wissenschaftsbetrieb

Sehr vielfältige Formen hat Geschlechterforschung an der Freien Universität, das war der bleibende Eindruck. „Unbezahlte Sorgearbeit ist immer noch Frauensache. Das trägt dazu bei, Machtverhältnisse zu verfestigen“, sagte beispielsweise Professorin Gülay Çağlar vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft. So sei der Wissenschaftsbetrieb strukturell sorgefeindlich. Dies zeige sich unter anderem in Altersgrenzen für die Verbeamtung. Für Frauen, die meist mehr Betreuungsarbeit mit Kindern oder anderen Angehörigen leisten, sei es schwieriger, die Voraussetzungen im Zeitrahmen zu erfüllen.

Ein weiterer Aspekt, der am Open Mic zur Sprache kam, war das wenig ausgeprägte historische Genderbewusstsein. „Die queer-historische Perspektive ist wichtig im Kampf gegen Transphobie“, sagte Andrea Rottmann vom Friedrich-Meinecke-Institut des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften. Die Sichtweisen „weißer Cis-Männer“ würden immer noch dominieren. Zu den Projekten des Institutes zählt es, Materialien zum Unterricht in geschlechtlicher und sexueller Vielfalt zu entwickeln.

Soziologinnen Bontu Lucie Guschke (links) und Laura Eigenmann

Soziologinnen Bontu Lucie Guschke (links) und Laura Eigenmann
Bildquelle: Sabrina Schotten

Frauen selbst werden zu selten angehört

„Jetzt also Rammstein“, begann Professorin Margret Lünenborg vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ihren Beitrag. Soziale Medien hätten das Thema möglicher sexueller Nötigung von Frauen durch Bandmitglieder in die Öffentlichkeit gebracht. Erst dann hätten die klassischen Medien das Thema aufgegriffen. „Rammstein hat mal wieder gezeigt: Journalismus ist nicht mehr der alleinige öffentlichkeitsbestimmende Akteur“, sagte ihre Kollegin Miriam Siemon. Eines der Projekte des Instituts ist es, den deutschsprachigen „Me too“-Diskurs auf Twitter zu verfolgen. Eine andere Medienauswertung brachte folgende Erkenntnis: „Geht es in der Berichterstattung um unbezahlte Care-Arbeit wie Homeschooling, wird Frauen die zentrale Sprechposition gegeben. Bei bezahlten Care-Jobs wie in der professionellen Pflege sind eher Männer in der Sprechposition – obwohl mehr Frauen als Männer in diesem Bereich arbeiten“, sagte Miriam Siemon.

Eine weitere Fragestellung der Geschlechterforschung an der Freien Universität lautet: Wie passen islamische Geschlechternormen zu den Normen Westeuropas? Dazu sprach Professorin Schirin Amir-Moazami vom Institut für Islamwissenschaft. „Etliche Kopftuchdebatten laufen immer gleich. Oft führen sie zu neuem Recht, wie einem Kopftuchverbot in Frankreich an öffentlichen Schulen“, sagte Schirin Amir-Moazami. Man sollte das hinterfragen: In wessen Interesse sei das? Kopftuch tragen sei eine komplexe Körperpraxis und keinesfalls eindeutig Symbol einer Unterdrückung, sagte Schirin Amir-Moazami. „Warum kommen die Frauen selbst selten zu Wort?“, gab die Professorin dem Publikum als Denkanstoß mit auf den Weg.

Vorteile der Gender-Vielfalt

Bei dem Beitrag des Instituts für Geographische Wissenschaften erfuhren die Zuhörenden etwas über feministische Geografie. „Der Blick von Stadtplanern geht in der Regel von männlichen Anforderungen an ihre Umwelt aus“, sagte Professorin Antonie Schmiz. Im Zentrum stehe die Frage: Wie komme ich zum Arbeitsplatz und wieder zurück? Dagegen würden Wege, die mehrheitlich von Frauen gegangen werden – wie zum Kindergarten und zur Schule – in der Planung vernachlässigt.

Abschließend wiesen Bontu Lucie Guschke und Laura Eigenmann vom Institut für Soziologie darauf hin, dass Gender Studies verstärkt in der Kritik stünden, dass ihre Notwendigkeit teils angezweifelt wird. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass freiwerdende Professuren in diesem Gebiet nicht mehr neu besetzt werden. „Dabei können sich Gleichstellungsakteure auf verschiedene EU-Studien berufen, die beispielsweise nachweisen, dass diversere Teams zu exzellenteren Leistungen an Universitäten führen“, sagte Bontu Lucie Guschke.

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