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„Wir müssen unser Gehirn daran erinnern, dass Lernen etwas Schönes ist“

Wie sich die Freude am Sprachenlernen wecken lässt, zeigt der Kongress „Happy Learning“ am 8. Juni. Die Eröffnungsrede halten Michaela Sambanis und Christian Ludwig. Im Interview erklären sie, wie Lernen und Glücksgefühle zusammenhängen.

24.05.2024

Michaela Sambanis und Christian Ludwig eröffnen den Kongress „Happy Learning“ am 8. Juni 2024.

Michaela Sambanis und Christian Ludwig eröffnen den Kongress „Happy Learning“ am 8. Juni 2024.
Bildquelle: Michaela Sambanis

Michaela Sambanis und Christian Ludwig, Professorin und Gastprofessor am Arbeitsbereich Didaktik des Englischen, haben Methoden entwickelt und wiederentdeckt, die das Lernen vereinfachen und für mehr Spaß beim Pauken sorgen sollen. Das Konzept des „Happy Learning“ stützt sich auf Studien der Neurowissenschaften und der Positiven Psychologie und soll im Gehirn Glücksgefühle erzeugen – und dadurch die Lernleistung verbessern.

Frau Sambanis, Herr Ludwig, Sie wollen Lernen angenehmer machen. Das klingt erstmal sehr gut. Warum ist es wichtig, dass sich das Lernen verändert?

Christian Ludwig: Zahlreiche Erhebungen zeigen, dass Lernende heute stark belastet sind. Viele haben Konzentrations- und Motivationsprobleme, leiden unter Stress oder haben Angst vor der Zukunft. Genau das haben wir auch bei unseren Studierenden beobachtet.

Michaela Sambanis: Trotz guter Berufsperspektiven für Lehrkräfte ist die Lernbereitschaft bei unseren Studierenden zurückgegangen. Das Gleiche bekommen wir aus den Schulen zurückgemeldet. Auch Schüler*innen fällt das Lernen schwerer, sie sind körperlich unruhiger und haben Schwierigkeiten, sich auf den Lernstoff einzulassen.

Woran liegt das?

Michaela Sambanis: Wir vermuten, dass es Lernenden einiges abverlangt, in Schule oder Universität eine starke Leistung zu bringen, zusätzlich zu Hause noch Übungen zu machen, in der digitalen Medienwelt eine ständige Ablenkung zu erleben und dazu noch Sorgen und Zukunftsängste zu haben. Es ist zu viel, das Gehirn ist überlastet und macht dicht. Deshalb wollten wir Wege finden, die mentale Gesundheitsförderung mit Spaß und Freude am Lernen zusammenzubringen. Denn wenn wir zufrieden sind, können wir Neues besser aufnehmen und abspeichern.

Hausaufgaben machen, Vokabeln lernen oder nach den Seminaren noch den Lernstoff wiederholen, musste man doch früher auch. Ist das heute herausfordernder?

Michaela Sambanis: Was sich verändert hat, ist die Nutzung des Smartphones. Sobald ein Moment Leerlauf ist, holen wir es heraus und fluten unser Gehirn mit neuen Informationen. Es gibt im Alltag kaum noch Momente, in denen wir die Gedanken wandern lassen. Genau das sind aber die Momente, in denen das Gehirn arbeitet, in denen es Dinge speichert und das System zur Ruhe kommt. Diese Gelegenheiten nehmen wir unserem Gehirn weg, und der Körper reagiert mit Unruhe und Stress.

Christian Ludwig: Besonders im Bereich Lesen ist das zu beobachten. Durch die Informationsflut im Internet, durch Apps wie TikTok oder Instagram und überhaupt die ständige Handynutzung in allen Lebensbereichen, haben wir uns so an Hyper-Multitasking gewöhnt, dass wir verlernt haben, uns auf längere Texte zu konzentrieren und diese tiefgreifend zu durchdringen.

Michaela Sambanis: Und das ist auch deshalb so bedauerlich, weil wir Menschen grundsätzlich sehr neugierig sind. Wir wollen lernen, wir wollen uns weiterentwickeln und in der Welt bestehen, statt ständig von ihr überrannt zu werden. Eigentlich ist Lernen etwas Natürliches, etwas Positives, und wenn wir Neues lernen, produziert unser Körper Glückshormone. Dahin wollen wir zurückkommen. Wir müssen unser Gehirn daran erinnern, dass Lernen etwas Schönes ist.

Christian Ludwig: Nehmen wir das Sprachelernen. Für viele Schulkinder und Studierende ist es Stress pur. Dabei kann gerade das Lernen einer neuen Sprache sogar dazu beitragen, Stress abzubauen.

War das der Ausgangspunkt für Ihre Entscheidung, neue Lernmethoden zu entwickeln?

Michaela Sambanis: So neu sind einige der Methoden gar nicht. Manche gibt es schon sehr lange, sie sind aber in Vergessenheit geraten. Neu ist unser Ansatz, Studien aus der Neurowissenschaft und zu Positiver Psychologie zu nutzen: Wie kann uns Lernen zufrieden machen? Wie kann Lernen zu einem guten Investment werden? Diese Fragen beantworten wir auch in unserem Buch „Happy Learning – Glücklich und erfolgreich Sprachen lernen“.

Können Sie Beispiele geben, wie man glücklicher lernt?

Michaela Sambanis: Das geht schon vor dem eigentlichen Lernen los. Unser Ziel ist, positive Gefühle zu erzeugen. Also, versetzen Sie sich, bevor Sie eine Aufgabe beginnen, für eine Minute an einen happy place. Finden Sie in Ihren Gedanken eine Situation, die Sie mit Glück erfüllt, und fühlen Sie sich in diesen Moment hinein. Wenn wir mit so einem positiven mindset ins Lernen starten, macht das einen großen Unterschied.

Christian Ludwig: Wenn Sie im Unterricht Angst vor einer Situation haben, etwa in einer Fremdsprache etwas zu sagen, kann es auch helfen, eine große Pose einzunehmen, sich innerlich also groß und stark zu machen, und tief zu atmen. Das beruhigt das Nervensystem, stärkt die Ausdauer, reduziert Angst und macht den Kopf dadurch aufnahmefähiger.

Welche Tricks helfen während des Lernens?

Christian Ludwig: Probieren Sie die Loci-Methode. Zunächst portionieren Sie Ihren Lernstoff, machen sozusagen kleine Päckchen, zum Beispiel zwei Vokabeln. Dann gehen Sie an einen Ort im Zimmer, etwa die Tür, und üben dort das Vokabel-Päckchen. Die nächsten zwei Wörter üben Sie am Fenster, die nächsten zwei am Schrank und so weiter. Später können Sie gedanklich an diese Orte zurückkehren, und erinnern sich vermutlich besser an die jeweiligen Wörter.

Warum funktioniert das so besser, als einfach am Schreibtisch zu sitzen?

Christian Ludwig: Unser Gehirn möchte immer Neues erleben, Bewährtes wird schnell als langweilig empfunden. Der Ortswechsel kann helfen, dieses Bedürfnis zu befriedigen.

Michaela Sambanis: Auch Lernen in der Gruppe kann helfen und als freudiges Gemeinschaftserlebnis im Gehirn abgespeichert werden. Stellen Sie sich im Kreis auf, schauen Sie einander ins Gesicht, geben Sie ein Klatschmuster oder Wort weiter, lachen Sie gemeinsam. Diese Methode aus der Theaterpädagogik funktioniert auch beim Lernen einer Sprache ganz wunderbar.

Auch wenn man sich noch so sehr bemüht: Besonders Schulkinder haben meist irgendein Fach, das bei ihnen unbeliebt ist, zu dem sie keinen Zugang finden. Was kann da helfen?

Michaela Sambanis: Begeisterung für das Fach ist einer der größten Wirkfaktoren im Klassenzimmer. Wenn Lehrkräfte zufrieden und engagiert in den Unterricht kommen, können sie die Kinder von ihrem Fach überzeugen. Dann wächst bei Kindern auch die Bereitschaft, mit Spaß für das Fach zu lernen. Die Methode können übrigens auch Eltern, Bezugspersonen und Anbieter von Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche nutzen.

Der Gedanke, immer alles positiv zu sehen und immer glücklich und zufrieden zu sein, ist vor allem im Internet ein Anspruch, der zu noch mehr Druck führen kann. Beim Lernen aber hilft es?

Christian Ludwig: Die Selbsthilfe-Kultur in den sozialen Medien gaukelt einfache Lösungen vor und macht dadurch Druck bei allen, denen es nicht so leichtfällt, etwas umzusetzen. Was wir vermitteln wollen, ist, dass Achtsamkeit Bereiche im Gehirn aktivieren kann, die zum Lernen nötig sind. Wer in seinem Leben zufrieden ist, kann besser lernen und wird dann beim Lernen dieses Glücksgefühl entdecken, zu dem der Körper fähig ist.

Michaela Sambanis: Wir sind ganz klar gegen toxischen Zwang zum Glücklichsein. Man muss sich zugestehen, auch mal traurig zu sein. Aber man kann es schon zum Ritual machen, mehr Positives im Alltag zu sehen und seine eigenen Stärken zu erkennen. Auch das kann man lernen. Wenn das Gehirn daran erinnert wird, dass Lernen und Glücksgefühle zusammenhängen, wird es Lernstoff eher annehmen. Das führt dann wiederum zu mehr Zufriedenheit – nicht nur in Schule oder Universität, sondern im Leben.

Die Fragen stellte Anne Kostrzewa

Weitere Informationen

Am 8. Juni findet an der Freien Universität Berlin der Kongress „Happy Learning 2024“ statt. In einer Vielzahl von kostenfreien Angeboten werden allen Interessierten abwechslungsreiche Lehr- und Lernimpulse vorgestellt, die den Fokus auf Stärken und Lernfreude legen. Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.