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Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaftsdiplomatie

Das Seminar für Semitistik und Arabistik lud ein zu einer Diskussion über die Chancen der Wissenschaftsdiplomatie. Bei Kooperationen mit irakischen Studierenden haben Dozierende der Freien Universität diese Form des Austausches bereits getestet.

18.07.2024

Die zerstörte Universitätsbibliothek der irakischen Stadt Mossul im November 2017.

Die zerstörte Universitätsbibliothek der irakischen Stadt Mossul im November 2017.
Bildquelle:  Ali Al-Baroodi

Nur noch Stahlträger ragen aus Resten der Wände der Universitätsbibliothek heraus. Es ist klar – was auch geschehen sein mag, kein Buch kann das überstanden haben. Mit diesem eindrücklichen Foto des Fotografen Ali Al-Baroodi der Universitätsbibliothek der irakischen Stadt Mossul aus dem November 2017 eröffnete Professorin Heike Wendt von der Universität Graz den Vortrag „Wissenschaftsdiplomatie – Was kann Universität in Zeiten von sich verschärfenden Konflikten leisten?“ am 4. Juli in der Holzlaube der Freien Universität (FU).

Heike Wendt und andere Teilnehmer der Hochschulkooperation RESI (Rethink Education and Science in Irak) schilderten ihre Erfahrungen. Seit 2017 bieten Dozierende irakischer und europäischer Universitäten gemeinsam jedes Jahr im Format einer Zukunftskonferenz eine Woche lang Workshops für irakische Studierende an. Die empirische Bildungsforscherin Heike Wendt interessiert sich besonders für die Transformation von Bildungssystemen in Konfliktregionen. Dazu zählt die Frage: Welche Rolle können Universitätspartnerschaften leisten? „Wissenschaftsdiplomatie ist eine ,soft power¢, um diplomatische Ziele zu verfolgen“, sagte Heike Wendt. „Sie kann Vertrauen und Beziehungen aufbauen.“ So war die 1967 gegründete Mossul-Universität einst ein Ort der Hoffnung, an der zahlreiche internationale Wissenschaftler lehrten. Die Golfkriege von 1991 und 2003 haben dazu geführt, dass sich islamischer Extremismus verstärkte und viele Akademikerinnen und Akademiker das Land verlassen haben oder sogar ihr Leben verloren. Zwischen 2003 und 2007 seien etwa 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hingerichtet worden, erzählte Heike Wendt. Nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) gelte es nun, die internationalen Kontakte wieder aufzunehmen. 

Eine Karte mit Erinnerungsorten

Aus der Studierendenkonferenz im Jahr 2023 mit irakischen Studierenden entwickelte sich die Idee für eine interaktive Karte der Stadt Mossul. Arabistik-Professorin Isabel Toral von der Freien Universität und Konstantin Klein, Geschichtsprofessor an der Universität Amsterdam, unterrichteten in Mossul über antike und mittelalterliche Metropolen im Nahen Osten. Die Diskussionen mit den irakischen Studierenden kamen auf die Themen Zerstörung und Erinnerungskultur. So entstand die Idee einer Karte mit Erinnerungsorten. Das Projekt „Memory Spaces: Mapping Oral History in Mosul“ ist am Seminar für Semitistik und Arabistik der FU angesiedelt und wird von der Gerda-Henkel Stiftung gefördert. Einwohnerinnen und Einwohner von Mossul können auf einem digitalen Stadtplan Text-, Ton-, Video- und Bilddokumente einstellen. Es geht um persönliche Erinnerungen an private Wohn- und Nutzgebäude, die während der Besetzung durch den sogenannten Islamischen Staat 2014 bis 2017 sowie der Kriegsgeschehen im Zuge der Befreiung durch die Anti-IS-Koalition zerstört wurden. „Erinnerungsarbeit ist das primäre Ziel, doch möchten die Studierenden durchaus Menschen in aller Welt erreichen und ihnen ihre Stadt zeigen“, sagt Isabel Toral. Eine Zusammenarbeit zwischen den Universitäten in Berlin, Amsterdam und Mossul ist mit dem Pilotprojekt angebahnt.

Was kann noch getan werden, um Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Krisenzeiten zu unterstützen? „Wir sollten beim Anlegen von Archiven, Buchbeständen und externer Datenspeicherung helfen, sodass Forschungsdaten nicht verlorengehen“, sagt Isabel Toral. In Mossul wurde auf Initiative von Konstantin Klein ein Bus zur mobilen Bibliothek mit Zugang zum Internet umgebaut. Individuelle Begegnungen seien mindestens genauso wichtig. „Über 90 Prozent des Lehrkörpers der Universität Mossul waren noch nie im Ausland“, erzählt Heike Wendt. Hierzu merkte Professorin Elke Hartmann vom Institut für Osmanistik und Turkologie der Freien Universität an, dass unterschiedliche Vorstellungen über die Rolle der Frau die Zusammenarbeit erschwerten. So würden für Auslandsreisen eher die Söhne von Würdenträgern vorgeschlagen als fachliche qualifizierte Frauen. Dem könne man entgegenwirken, indem man vor Ort mit insbesondere die Zusammenarbeit mit Nachwuchswissenschaftlerinnen sucht.

Wissenschaftsdiplomatie ist auch ein großes Thema in den Osteuropa-Studien. Natürlich hatte der russische Überfall auf die Ukraine Auswirkungen auf die Arbeit des Osteuropa-Instituts der Freien Universität. „Viele Jahre lang lag der Fokus auf der Russlandforschung“, sagte Florian Kohstall vom Center for International Cooperation der Freien Universität. Es gab gemeinsame Forschungsprojekte und Austauschprogramme, unterstützt durch das Verbindungsbüro der Freien Universität in Moskau. Mit Kriegsbeginn wurden alle Programme auf Eis gelegt und das Verbindungsbüro nach Tbilissi in Georgien verlegt. „Dieser Schritt war wegen des russischen Angriffskriegs und eine immer stärkere Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit in Russland unausweichlich“, sagte Florian Kohstall. „Doch die Rolle der Wissenschaftsdiplomatie besteht auch darin, Kanäle offen zu halten. Gerade wissenschaftliche Zusammenarbeit ist auf langfristige Beziehungen angelegt. Sicherlich müssen wir im Zuge geopolitischer Spannungen auch Universitätspartnerschaften überprüfen, es gilt aber auch Kontroversen auszuhalten. Auch deshalb sprechen wir uns gegen Boykott aus.“ Dem schloss sich Isabel Toral mit ihrem Fazit der Diskussion an: „Wissenschaft ist ein globales Gut, welches gerade unter schwierigen Umständen geschützt werden muss. Lösungen für die Probleme unserer Zeit lassen sich nur in einem weltweiten Wissenschaftssystem finden.“