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Unterwegs mit dem Fledermaus-Detektor

In einer Seminarreihe mit Dozierenden der Una Europa-Partneruniversitäten diskutierten Studierende, wie Naturschutz in der Großstadt funktionieren kann

30.07.2024

Mit Smartphone-Apps können auch Freiwillige dabei helfen, Stadtnatur für die Forschung zu kartieren. Ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist die Universidad Complutense Madrid, die wie die Freie Universität zum Una Europa-Netzwerk gehört.

Mit Smartphone-Apps können auch Freiwillige dabei helfen, Stadtnatur für die Forschung zu kartieren. Ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist die Universidad Complutense Madrid, die wie die Freie Universität zum Una Europa-Netzwerk gehört.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

In Großstädten leben viele Arten auf engem Raum zusammen: Menschen und andere Säugetiere, Vögel, Kriechtiere, Spinnentiere, Insekten, Fische, Pflanzen, Algen, Pilze – um nur einige Gruppen zu nennen. Wie das Zusammenleben besser gelingen kann, war Thema eines Seminars mit dem Titel „Nature Positivity and Multi-Species Cohabitation in Urban Ecosystems“.

„Wir diskutieren, wie wir Habitate in städtischen Gebieten erhalten, restaurieren und managen können, anstatt sie zu zerstören“, sagt der Biologe Florian Ruland, der das Seminar im Sommersemester 2024 zusammen mit Tanja Straka, Professorin für Stadtökologie an der Freien Universität, und Sophie Lokatis von der Deutschen Wildtier Stiftung organisiert hat. Fachleute von Universitäten in Madrid, Wien, Leiden, Helsinki, Krakau und Hildesheim stellten ihre Arbeit vor und diskutierten mit Master-Studierenden der Biologie. „Viele dieser Kontakte sind über das internationale Universitätsnetzwerk Una Europa entstanden, in dem auch die Freie Universität Mitglied ist“, berichtet Vanessa Zacher, die am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie unter anderem neue Lehrformate koordiniert und den Kurs angeregt hat.

Florian Ruland organisierte die Seminarreihe gemeinsam mit Sophie Lokatis und Tanja Straka.

Florian Ruland organisierte die Seminarreihe gemeinsam mit Sophie Lokatis und Tanja Straka.
Bildquelle: Michael Fahrig

Im virtuellen Seminarraum hörten die Studierenden jeden Mittwoch aus erster Hand von Projekten anderer Universitäten, lernten Begriffe und Methoden kennen und führten zum Abschluss selbst eine kleine Forschungsarbeit zu Biodiversität in der Stadt durch.

Know-how aus Madrid

Ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist die Universidad Complutense Madrid. José I. Aguirre, Professor im Department Biodiversity, Ecology and Evolution, stellte das erste Projekt zur langfristigen Beobachtung von Artenvielfalt auf einem Universitätscampus vor. Die Idee dazu entstand nach der Wirtschaftskrise 2008, als die Universität kaum Geld für Reisen und Exkursionen zur Verfügung hatte. Also schlossen sich mehrere Arbeitsgruppen zusammen, um die Biodiversität auf dem Universitätsgelände im Nordwesten der Stadt wissenschaftlich zu erfassen und durch Maßnahmen zu fördern.

Man brauche kein riesiges Budget, um Insektenarten zu kartieren oder Vögel zu beringen, betonte Aguirre. Es sei jedoch wichtig, ein solches Programm langfristig anzulegen: „Forschung lebt von standardisierten Datenreihen, dafür brauchen Sie Ressourcen und Methoden, die auf Dauer angelegt sind.“ Seine „Grupo de Seguimiento de Bioversidad“ hat sich verstetigt und ist mit den Jahren gewachsen.

Der Hauhechel-Bläuling konnte sich auf dem Blühwiesen der Freien Universität ansiedeln. Er ist ein Grünlandbewohner, der gern über blütenreiche, nicht überdüngte Wiesen flattert. Auf dauerhaft gemähten Wiesen kann er nicht überleben.

Der Hauhechel-Bläuling konnte sich auf dem Blühwiesen der Freien Universität ansiedeln. Er ist ein Grünlandbewohner, der gern über blütenreiche, nicht überdüngte Wiesen flattert. Auf dauerhaft gemähten Wiesen kann er nicht überleben.
Bildquelle: Sophie Lokatis

Interessanter als ein Spaziergang

Forschung, Ausbildung und Öffentlichkeitsarbeit sind die drei Säulen des Programms. Studierende und freiwillige Helfer*innen aus Nachbarschaft arbeiten mit und erwerben praktische Kenntnisse. Die Mitwirkung an einem wissenschaftlichen Projekt sei eben interessanter als ein Spaziergang im Grünen, sagt Aguirre. So erfassen und dokumentieren Fachleute und Laien nun seit mehr als 15 Jahren gemeinsam die Arten auf dem Campusgelände.

„Fangen Sie lieber klein an“, rät der Biologe, „beispielsweise mit einer jährlichen Erhebung auf einem begrenzten Gebiet.“ Kontinuität sei absolut notwendig, jedoch mit Freiwilligen oft nicht einfach umzusetzen. Dank der Datenreihen könne seine Gruppe nun Veränderungen nachvollziehen, Vorhersagen treffen, Vergleiche anstellen, wissenschaftliche Studien veröffentlichen und Maßnahmen entwickeln, um Stadtnatur zu schützen. In Zusammenarbeit mit dem Department für Architektur untersuchen die Forschenden zum Beispiel auch, welche Gebäude und Bezirke der Stadt für verschiedene Vogelarten attraktiv sind.

Echte Wissenschaft – gemeinsam mit Freiwilligen

Aguirres Herzensangelegenheit ist es, echte Wissenschaft gemeinsam mit Freiwilligen zu betreiben: Er freut sich über deren Begeisterung, wenn sie etwa abends gemeinsam mit dem Fledermaus-Detektor unterwegs sind und die Ultraschall-Rufe hörbar machen, um Arten und Anzahl der Individuen zu erfassen.

Anfangs seien viele Kolleg*innen skeptisch gewesen, berichtet Aguirre. Urbane Ökologie wurde nicht als „echte“ Wissenschaft betrachtet, weil die Stadt angeblich kein natürlicher Lebensraum sei. Das habe sich inzwischen geändert. Sein Forschungsprogramm hat Biologe schon an vielen Orten der Welt vorgestellt und seine Gruppe unterstützt zahlreiche Ableger an Universitäten in Afrika und Südamerika.

Eine Studie belegt, dass auf Flächen des Blühenden Campus die Menge an Insekten nach zwei Jahren um das 40-Fache zugenommen hat. Studierende, Beschäftigte, Ehemalige und Nachbarn arbeiten ehrenamtlich in der Initiative mit. (im Bild: Sophie Lokatis)

Eine Studie belegt, dass auf Flächen des Blühenden Campus die Menge an Insekten nach zwei Jahren um das 40-Fache zugenommen hat. Studierende, Beschäftigte, Ehemalige und Nachbarn arbeiten ehrenamtlich in der Initiative mit. (im Bild: Sophie Lokatis)
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Auch die Freie Universität hat mit dem „Blühenden Campus“ seit 2019 ein ähnliches Projekt – und seit Mai 2024 eine umfassende Biodiversitätsstrategie für die gesamte Hochschule. Beides war Thema der letzten Sitzung der Seminarreihe – vorgestellt von Rebecca Rongstock, die bei der Stabsstelle Nachhaltigkeit und Energie der Freien Universität für Biodiversitätsmanagement zuständig ist.

Den Zeitgeist getroffen

Für Teilnehmerin Jule Detmers war dieser letzte Termin besonders spannend: „Naturschutz muss nicht immer weit weg sein, sondern beginnt im eigenen Garten oder eben auf dem eigenen Campus“, sagt die Studentin. Ihr habe die Lehrveranstaltung auch deshalb gefallen, weil neben den Präsentationen ein praktischer Teil – eine eigene kleine Forschungsarbeit der Teilnehmenden – dazu gehörte.

„Das Seminar gab mir ein Gefühl dafür, wie es sein könnte, mit einem multidisziplinären Ansatz an einem ökologischen Problem zu arbeiten“, so das Fazit von Teilnehmerin Gaia Micco, die an der Universität Potsdam studiert.

„Ich finde es tröstlich, dass aus einer negativen Situation wie der Finanzkrise von 2008 etwas so Positives entstehen kann“, betont die Studentin Clara Biskaborn, die den Termin mit José Aguirre gemeinsam mit anderen moderiert hat. Insgesamt habe das Seminar den Zeitgeist getroffen. „Mit guter Bildung lassen sich meiner Meinung nach alle Probleme lösen“, sagt sie.

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