Springe direkt zu Inhalt

„Prowestliche Gruppen in Russland leiden am meisten unter den Sanktionen.“

Schwerpunkt: Krieg in der Ukraine

16.02.2023

Alexander Libman, Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland

Alexander Libman, Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland
Bildquelle: privat

Der Westen hat auf den russischen Einmarsch in die Ukraine mit einer beispiellosen Welle an Wirtschaftssanktionen gegen Russland reagiert. Nach einem Jahr kann man fragen: Wie wirken sie sich aus? 

Aus der innenwirtschaftlichen Perspektive haben Sanktionen viele Lieferketten unterbrochen und russische Unternehmen vor die Notwendigkeit gestellt, neue Partner zu suchen. Russland ist allerdings als Marktwirtschaft durchaus anpassungsfähig. Russische Unternehmer haben Produktionsverfahren modifiziert, neue Lieferanten gefunden oder Nischen übernommen, die nach dem Rückzug westlicher Firmen frei wurden. Wirtschaftlich schädliche Gegenmaßnahmen – etwa Preiskontrollen, Enteignungen von ausländischen Unternehmen oder Verstaatlichungen von inländischen Unternehmen zur Unterstützung der Kriegsproduktion – haben die russische Regierung nicht getroffen. Die russische Zentralbank hat die russischen Banken durch Kapitalkontrollen im März 2022 stabilisiert. Sanktionen beeinträchtigen die wirtschaftliche Entwicklung Russlands, aber wirklich verheerend wären sie nur dann, wenn der russische Staat darauf wirtschaftspolitisch falsch reagiert und die Anpassung der Märkte blockiert hätte. 

Aus außenwirtschaftlicher Perspektive hat Russland trotz Exportrückgängen fast das ganze Jahr 2022 hindurch von den gestiegenen Energiepreisen für Öl und Gas massiv profitiert. Die Effektivität des seit Dezember 2022 geltenden westlichen Öl-Embargos ist zumindest zweifelhaft, weil die Umgehung über asiatische Häfen möglich ist. 

Es ist deshalb sehr wohl möglich, dass der russische Staat zumindest kurz- bis mittelfristig mit Sanktionen durchaus leben und den Krieg weiterführen kann. Bereits jetzt leidet eine ganz andere Gruppe – die prowestlichen Schichten in Russland, deren Kontakt zu Europa gekappt wurde und die sich unter einem doppelten Druck des Regimes und der Sanktionen befinden.

Dieser Artikel ist am 19.02.2023 in der Tagesspiegel-Beilage der Freien Universität Berlin erschienen.