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„Soziale Medien bringen den Krieg näher.“

Schwerpunkt: Krieg in der Ukraine

16.02.2023

Anna Litvinenko, Kommunikationswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Digitalisierung und Partizipation in Osteuropa

Anna Litvinenko, Kommunikationswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Digitalisierung und Partizipation in Osteuropa
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Der Krieg in der Ukraine hat ein neues Ausmaß der Rolle von sozialen Medien sichtbar gemacht. Teilweise ist sogar die Rede vom ersten „TikTok-Krieg“. Gemeint damit ist, dass so viele Kriegserfahrungen aus erster Hand über soziale Netzwerke – etwa über TikTok – verbreitet werden wie nie zuvor. Die Forschenden Florian Primig, Hanna Szabó und Pilar Lacasa analysierten an der Freien Universität derartige Videos. Sie sprechen von einem sogenannten Fern-Leiden auf sozialen Netzwerken: Mit ihren emotionalen Inhalten bringen TikTok-Nutzende persönliche Kriegserfahrungen anderen Menschen näher.

Dank der sozialen Medien konnten im Ausland viele bewegt werden, Menschen in der Ukraine zu helfen. Benachrichtigungen auf dem Handybildschirm über Luftalarm in der eigenen Stadt können Menschenleben retten. Über die sozialen Medien kommt auch moralische Unterstützung: Unter dem populären Hashtag NAFO werden humorvolle Memes verbreitet und Desinformationen entlarvt; die Abkürzung steht in Anspielung auf die NATO für „North Atlantic Fella Organization“. Für Vertreterinnen und Vertreter von russischen unabhängigen Medien, die fast alle aus dem Land fliehen mussten, sind die sozialen Netzwerke der letzte Draht zu ihrem Publikum in Russland. 

Eine andere wichtige Funktion von sozialen Medien in diesem Krieg ist die sogenannte OSINT, die „Open Source Intelligence“. Darunter versteht man die Nutzung von offenen Quellen im Internet für Informationssuche. Sie werden nicht nur vom Militär, sondern auch von Medienschaffenden und der Bevölkerung genutzt. Zum Beispiel suchen russische Soldatenmütter ihre gefangenen Söhne über Telegramkanäle, die von der ukrainischen Seite betrieben werden.

Soziale Medien im Krieg haben allerdings auch ihre Schattenseiten. Das Netz ist überflutet mit Falschinformationen. So betreibt der Kreml unzählige Telegram-Kanäle, über die er Propaganda verbreitet, auch in Deutschland. Deswegen brauchen wir mehr Medienbildung, um kritischen Medienkonsum, der gerade in Krisenzeiten essenziell ist, zu fördern. 

Dieser Artikel ist am 19.02.2023 in der Tagesspiegel-Beilage der Freien Universität Berlin erschienen.