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Ein Leben für die Kunst

Andreas Hüneke von der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ mit Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt

29.04.2014

Der Kunsthistoriker Andreas Hüneke von der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität wurde mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt

Der Kunsthistoriker Andreas Hüneke von der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität wurde mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt
Bildquelle: Jan Hambura

Andreas Hünekes Neujahrsgrafik aus dem Jahr 1977. Darauf zu sehen sind vier Köpfe, unter anderem Biermann und Hüneke, und der Satz: „Schweigen wird verhängt – auch 1977?“

Andreas Hünekes Neujahrsgrafik aus dem Jahr 1977. Darauf zu sehen sind vier Köpfe, unter anderem Biermann und Hüneke, und der Satz: „Schweigen wird verhängt – auch 1977?“
Bildquelle: Andreas Hüneke

Moderne Kunst ist Andreas Hünekes Leben – und seine Verdienste sind weithin anerkannt: Der Wissenschaftler der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Universität erhielt aus der Hand des Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz am Bande. Joachim Gauck ehrte Hüneke für seine Tätigkeit als einer der führenden Experten für NS-Kunstpolitik; als Wissenschaftler, der seit mehr als 30 Jahren die Aktion „Entartete Kunst“ erforscht, mit der die Nationalsozialisten Werke moderner Kunst systematisch verfemten und zerstörten.

Hüneke habe zudem wichtige Grundlagenarbeit zur Geschichte des modernen Museums in Deutschland geleistet und mit seinem einzigartigen Wissen und seinem Privatarchiv Generationen von Forscherinnen und Forschern in Ost und West zur Seite gestanden. Neben seiner Lehrtätigkeit an der Freien Universität wurde auch sein ehrenamtliches Wirken gewürdigt, etwa als Gründer und Vorsitzender des Potsdamer Kunstvereins und als langjähriger ehrenamtlicher Vizepräsident des Internationalen Kunstkritikerverbands AICA.

Trotz widriger Umstände moderne Kunst verteidigt

Es war das DDR-Regime, das Andreas Hüneke auf die moderne Kunst aufmerksam machte. Durch seine Ablehnung dieser Kunstform. „Ich hatte immer das Gefühl, sie verteidigen zu müssen“, sagt der Wissenschaftler. „Es ist Kunst, die mich sehr anspricht, die mir viel bedeutet und viel sagt.“ Wenn er sie betrachte, kriege er Herzklopfen. Andreas Hüneke machte es sich schon in den 1970er Jahren zur Aufgabe, moderne Kunst in der DDR zu popularisieren. Eine Aufgabe, die ihm Spaß bereitete: „Jedes Mal kamen Publikumsreaktionen nach Veröffentlichungen und Ausstellungen“, erklärt der Kunsthistoriker.

Dabei waren die Vorzeichen für Hüneke denkbar schlecht: So durfte er nach der achten Klasse wegen seiner kritischen Einstellung zur DDR die Schule nicht weiter besuchen. Gewissermaßen als Oberschul-Ersatz besuchte der Sohn eines evangelischen Pfarrers mit 14 Jahren ein kirchliches Seminar. Da die Ausbildung nur von der Kirche anerkannt wurde und er keinen kirchlichen Beruf ergreifen wollte, entschied sich Hüneke nach anderthalb Jahren für ein Fachschulstudium der Theatermalerei. „Dafür brauchte man kein Abitur. Nur ein Praxis-Jahr beim Theater“, sagt der Wissenschaftler.

Und so fing Andreas Hüneke in Magdeburg eine Tätigkeit als Theatermaler an. Sein Theater delegierte ihn sogar zur Abendschule, die er vier Jahre lang neben der Arbeit als Theatermaler besuchte und mit dem Abitur abschloss. Parallel dazu absolvierte er erfolgreich eine Ausbildung zum Plakatmaler. Während dieser Zeit trampte er viel mit Freunden durch die DDR. Dorthin etwa, wo moderne Theaterstücke von Friedrich Dürrenmatt oder Ausstellungen von Christian Rohlfs gezeigt wurden.

Kunst im Selbststudium

Als einer der Ersten verweigerte Hüneke den nach dem Mauerbau in der DDR eingeführten Wehrdienst. „Ein Verhalten, das so gar nicht vorgesehen war“, erklärt der Wissenschaftler schmunzelnd. Doch zur angedrohten Gefängnisstrafe „kam es zum Glück nicht“. Und so arbeitete Andreas Hüneke zunächst als Beifahrer bei einer Molkerei. Von 1965 bis 1970 studierte er Theologie an der damaligen Martin-Luther-Universität in Halle – das einzige Fach, das er als Wehrdienstverweigerer belegen durfte. Nebenbei besuchte er Vorlesungen zur Kunstgeschichte. Die Moderne brachte sich der Student allerdings selber bei. Denn die Professorin, die dafür angestellt war, „war nicht nur unangenehm“, sondern wie sich später herausstellte, auch Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi).

Nach dem Examen bekam der Theologe für ihn überraschenderweise eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Staatlichen Galerie Moritzburg in Halle an der Saale. „Ich hatte schon vorher oft Erzählungen gehört, wie toll die Sammlung der Moritzburg vor der Beschlagnahme der sogenannten ‚entarteten‘ Kunst war“, erklärt Hüneke. Doch über die konkreten ehemaligen Bestände war wenig bekannt. Und so fing der junge Mitarbeiter an, nach Informationen zu suchen.

Eines Tages half ihm ein Zufall. Heizer räumten morgens den Dachboden auf und wollten einen großen Korb voller Papiere verbrennen. Doch Hüneke schaute sich die Papiere an. Darunter waren originale Erwerbungsunterlagen, auch von sogenannten „entarteten“ Kunstwerken. Weitere Dokumente, die jahrzehntelang niemand gesehen hatte, konnte er gerade noch rechtzeitig aus dem Heizungskeller bergen. „Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ich die Straßenbahn an diesem Morgen verpasst hätte“, sagt Hüneke.

Separate, private Korrespondenz mit Museen in West-Deutschland

Während seiner Zeit in der Galerie Moritzburg begann Hüneke einen regen Briefkontakt mit Museen in West-Deutschland. Diese hatten immer wieder an seinen Arbeitgeber geschrieben und Fragen zu einzelnen Kunstwerken und Künstlern gestellt. Solche „Auslands“-Post durfte eigentlich nur vom Direktor nach Genehmigung durch den Rat der Stadt beantwortet werden. Mit Erlaubnis der damaligen Interims-Direktorin und unter größter Geheimhaltung notierte sich Andreas Hüneke die Fragen und konnte sie so in einem separaten, privaten Schriftwechsel beantworten. „Etwas, was die Stasi nicht mitbekommen hat“, erzählt Hüneke. Auf diese Weise konnte er eine ganze Reihe von Kontakten mit Personen und Institutionen knüpfen. Im „Zentralen Staatsarchiv“ der DDR in Potsdam trug der Wissenschaftler Informationen zusammen, mithilfe derer er später zur Rekonstruktion der Münchener Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ der Nationalsozialisten aus dem Jahre 1937 beitragen konnte.

Stasi arbeitete an der „Herauslösung“ Hünekes aus der Moritzburg

Doch zeitgleich arbeitete die Stasi bereits daran, ihn aus der Moritzburg „herauszulösen“. Der Grund dafür war eine Neujahrsgrafik, die der Kunsthistoriker rund 100 Bekannten zum Jahreswechsel 1976/77 als Reaktion auf die kurz zuvor ergangene Ausbürgerung des Lyrikers und Liedermachers Wolf Biermann zusandte. Darauf zu sehen sind vier Köpfe, unter anderem Biermann und Hüneke, und der Satz: „Schweigen wird verhängt – auch 1977?“.

Eine Ausstellung über junge Leipziger Maler, die der Kunsthistoriker vorbereitet hatte, wurde wenige Tage vor der Eröffnung verboten. Ein Gemisch aus Mobbing und vermeintlich freundschaftlicher Empfehlung veranlaßte Andreas Hüneke im gleichen Jahr, seinen Vertrag mit der Moritzburg aufzulösen. Danach war er als Redakteur für das Allgemeine Künstlerlexikon in Leipzig tätig. Für den begeisterten Kunstfan war das jedoch nichts: „Das war nur Wissen aus dritter Hand.“ Außerdem habe er nicht nur die Künstler mit den Nachnamen von Aa-Am bearbeiten wollen.

Er organisierte Ausstellungen und veröffentlichte zum Expressionismus

So entschloss sich Andreas Hüneke dafür, als Freiberufler zu arbeiten; er organisierte Ausstellungen und veröffentlichte viel, unter anderem zum Expressionismus. Einer seiner ersten Aufträge war die Ausstellung „Jugend in der Kunst“ für den sozialistischen Jugendverband FDJ, für die er sogar den Kunstpreis der Organisation erhielt. Etwas, was Andreas Hüneke noch heute sichtlich unangenehm ist, obwohl es ihm gelungen war, in die Ausstellung auch Werke von der DDR gegenüber kritisch eingestellten Künstlern wie Carl Marx und Wasja Götze einzuschleusen. „Ich schwor mir, nie wieder für die FDJ zu arbeiten“, sagt Andreas Hüneke. Aber dann überredete ihn Christoph Tannert, der im Verband Bildender Künstler für die jungen Künstler zuständig war, doch noch einmal dazu.

Gleichzeitig organisierte Hüneke immer wieder Ausstellungen unangepasster Künstler und schrieb für sie. Seine Forschungen zum Expressionismus und zur „Entarteten Kunst“ machten ihn über die Grenzen der DDR hinaus bekannt. In den letzten Jahren der DDR konnte er auch in West-Katalogen publizieren.

War am Aufbau der Forschungsstelle "Entartete Kunst" an der Freien Universität beteiligt

Und so war Hüneke einer der wenigen freiberuflichen Kunsthistoriker, die zur Zeit der Wende nicht hauptsächlich von staatlichen Aufträgen in der DDR lebten. Im Jahr 2003 baute der Kunsthistoriker die von der Ferdinand-Möller-Stiftung initiierte Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität mit auf, an der er seither als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitet. Vor zwei Jahren wurde der Wissenschaftler von seiner Alma Mater, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, mit der Ehrendoktorwürde geehrt. Im Löwengebäude der Universität, in dem ihn 1965 der „Marxismus-Leninismus“-Dozent für Wolf Biermann allein dadurch begeisterte, dass er das Auftrittsverbot für den Liedermacher erläuterte und dabei so unvorsichtig war, einige von dessen Versen zu zitieren. „Seit dieser Zeit bin ich Biermann-Fan“, sagt der 70-Jährige und lächelt verschmitzt.