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Reporterglück, Reporterpech

Robin Lautenbach berichtete als ARD-Korrespondent live vom Grenzübergang Invalidenstraße, als die Mauer fiel. Ein Gespräch mit dem Alumnus der Freien Universität

09.11.2015

Ein historischer Tag: Am 9. November 1989 fiel in Berlin die Mauer.

Ein historischer Tag: Am 9. November 1989 fiel in Berlin die Mauer.
Bildquelle: Lear 21, wikicommons.org, CC BY-SA 3.0

Nach 25 Jahren zurück am Ort des Geschehens: Robin Lautenbach berichtete als ARD-Korrespondent live vom Grenzübergang Invalidenstraße, als die Mauer fiel.

Nach 25 Jahren zurück am Ort des Geschehens: Robin Lautenbach berichtete als ARD-Korrespondent live vom Grenzübergang Invalidenstraße, als die Mauer fiel.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Alumnus Lautenbach: Die Abschlussprüfung war für viele eine böse Überraschung.

Alumnus Lautenbach: Die Abschlussprüfung war für viele eine böse Überraschung.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Am heutigen 9. November jährt sich der Fall der Berliner Mauer zum 26. Mal. Das historische Datum bewegt und fasziniert noch immer – vor allem durch die vielen persönlichen Erlebnisse aus dem damaligen Ost- und West-Berlin. Seine Mauerfall-Geschichte hat Robin Lautenbach, Ehemaliger der Freien Universität, im Alumni-Magazin wir erzählt. Der ARD-Korrespondent hat in der besagten Nacht live fürs Fernsehen berichtet. Das Gespräch ist im vergangenen Jahr, anlässlich des 25-jährigen Jahrestages, erschienen.

Herr Lautenbach, Sie haben an der Freien Universität Berlin studiert und beim Sender Freies Berlin gearbeitet. Live dabei waren Sie während des Mauerfalls, der als Symbol für die Freiheit in die Geschichte eingegangen ist. Freiheit zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Laufbahn. Zufall?

Eigentlich ja. Als gebürtiger Baden-Württemberger bin ich in den siebziger Jahren vor allem aus Neugier nach West-Berlin gegangen. Mit dem Begriff Freiheit kam man dort zwangsläufig in Berührung, angesichts der Spannungen zwischen Ost und West. Auch der Sendername SFB war dem Wunsch nach Freiheit zur Zeit des Kalten Krieges geschuldet.

Wie haben Sie damals darüber gedacht?

Als ich studierte, galt der Begriff eher als hohle Phrase. Es war eine Worthülse, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hatte, ähnlich wie der damalige Tag der deutschen Einheit am 17. Juni. Aus heutiger Sicht habe ich in jenen Jahren dennoch gelernt, wie wichtig Freiheit ist. Und natürlich haben wir uns gefreut, als sie sich dann auch in der anderen Hälfte Deutschlands durchgesetzt hat. Oder in dem anderen deutschen Staat, wie man damals sagte.

Wurde die Freie Universität zu Ihrer Studienzeit ihrem Namen gerecht?

Ja, in mancher Hinsicht. Ich habe am Otto-Suhr-Institut (OSI) Politikwissenschaft studiert, aber auch Geografie und Geschichte am Osteuropa-Institut. Wir konnten die Kurse frei zusammenstellen und Seminare belegen, die nur indirekt etwas mit den eigentlichen Fächern zu tun hatten. Mich interessierten Themen wie Umweltschutz in Sibirien oder der Vergleich von Rechtssystemen in den sozialistischen Ländern Osteuropas. Insofern kam mir das gepflegte Halbwissen gelegen. Ich wusste schon recht früh, dass ich Journalist werden wollte. Aber manchmal gab es auch zu viele Freiheiten.

Inwiefern?

Wir wurden zu wenig gefordert. Das hing natürlich mit der Studentenbewegung zusammen. Es gab keine Zwischenprüfung, sondern nur etwas, das sich „Obligatorische Studienberatung“ nannte. Ein nettes, kurzes Gespräch. Man hat mir empfohlen, mich mehr um statistische Grundlagen zu bemühen.

Aber eine Abschlussprüfung hat es gegeben?

Für uns kam der Schock, als das Diplom näher rückte. Auf einmal mussten wir Klausuren schreiben und einen halbstündigen Vortrag halten. Das hatten wir während des Studiums nie gelernt. Die mündliche Prüfung war für meine Kommilitonen das Schlimmste. Für mich weniger. Es gehört doch zu einer Ausbildung dazu, mal eine halbe Stunde etwas vortragen zu müssen. Damals wurde so etwas als „bürgerlich“ empfunden – ein Schimpfwort.

Was verbindet Sie mit Ihrer Alma Mater?

Ich bin selbstverständlich Mitglied im Alumni-Verein, dem OSI-Club, und komme gerne zu dessen Veranstaltungen. In den Jahren 1988/89 hatten wir sogar selbst versucht, einen Ehemaligen-Club ins Leben zu rufen. Uns war aufgefallen, dass berühmte Politiker wie Walter Momper und Ernst Lummer auch hier studiert hatten. Das fanden wir lustig. Aber wir waren damals nur eine Handvoll Leute, und es mangelte uns an Organisationstalent. Nach der Wende erfuhren wir, dass es bereits ein Bonner Alumni- Netzwerk ehemaliger Studenten des Otto-Suhr-Instituts gab. Daraus wurde später der OSI-Club.

Gab es Themen, für die Sie sich als Student besonders interessiert haben?

Erstaunlicherweise hat sich die DDR als mein Schwerpunkt herausgestellt. Ein Thema, das damals am Otto-Suhr-Institut kaum beachtet wurde. Es gab nur einen Lehrbeauftragten und ein oder zwei Dozenten, die sich damit beschäftigten.

Obwohl die DDR räumlich so nah war?

Ja, am OSI war das überraschenderweise ein Exotenthema. Die Dritte Welt, Befreiungskämpfe und die Grundlagen von Marxismus und Leninismus bewegten stattdessen die Gemüter. Für mich hingegen war die Situation auf dieser Insel West-Berlin mitten in der DDR so außergewöhnlich, dass ich mehr darüber wissen wollte.

Journalist Lautenbach: Die historische Bedeutung des Mauerfalls erkennen.

Journalist Lautenbach: Die historische Bedeutung des Mauerfalls erkennen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Später haben Sie den Fall der Mauer miterlebt, als ARD-Korrespondent und Reporter für den Sender Freies Berlin, live an der Invalidenstraße. Wie ist es dazu gekommen?

Ich war wegen eines anderen Beitrags gerade im Sender, als die berühmte Pressekonferenz mit Günter Schabowski lief. Er gab die neue Reiseverordnung verfälscht wieder. Daraufhin rief die Tagesthemen-Redaktion aus Hamburg an. Sie wollten wissen, was Schabowskis Worte zu bedeuten hatten.

Konnten Sie das einschätzen?

Über die Nachrichtenagentur der DDR hatten wir den gesamten Text der Verordnung bekommen. Es war die einzige offizielle Äußerung aus Ost-Berlin. Ich las sie mir durch und wusste: Ab morgen früh, acht Uhr kann jeder DDR-Bürger mit einem Reisepass relativ problemlos über einen Grenzübergang nach West-Berlin ausreisen. Von diesem Ablauf gingen wir aus – wir wussten noch nicht, welche Dynamik durch Schabowskis Äußerungen entstehen würde.

Bis zum nächsten Morgen konnten Sie mit der Berichterstattung nicht mehr warten …

Meine Kollegen sagten, ich sollte mich vielleicht besser sofort mit einem Kamerateam an den Grenzübergang stellen. Möglicherweise sei diese Nacht vor der Änderung der Reiseverordnung etwas Historisches. Ich sollte in meinem Beitrag zeigen, wie das gewesen ist mit der Mauer, 28 Jahre lang.

Sie sind direkt zur Invalidenstraße gefahren?

Wir mussten zunächst mit technischen Schwierigkeiten fertig werden. Damals gab es noch keine aufklappbaren Satellitenschüsseln, mit denen man innerhalb kurzer Zeit an jedem Ort auf Sendung gehen kann. Wir mussten stattdessen eine sogenannte Richtfunkstrecke aufbauen. Man brauchte dafür eine Sichtverbindung zum Sender oder zu bestimmten Stationen in der Stadt, die das Funksignal weitergeben konnten. Außerdem waren normalerweise bis zu acht Mann und ein ganzer Arbeitstag dafür nötig.

Zeit, die Sie nicht hatten.

Es war schon halb acht Uhr abends. Trotzdem fand ich noch zwei Techniker, die versuchen wollten, die Verbindung zustande zu kriegen. Wir hatten früher schon einmal von der Invalidenstraße aus gesendet, deshalb entschied ich mich für diesen Grenzübergang. Außerdem galt er als „offiziellerer“ Grenzübergang, weil dort häufig Diplomaten und andere hochrangige Personen in die DDR und zurück reisten. Während die Techniker arbeiteten, fuhren meine Kollegin Christine Kolmar und ich zu verschiedenen Übergängen und drehten einige Bilder. Nach dem Motto: Hier ist noch keiner.

In den Tagesthemen waren Sie an jenem Abend auch vor dem Brandenburger Tor zu sehen …

Das hatten wir ebenfalls vorher aufgezeichnet. Wir fuhren dorthin, weil ich so eine Ahnung hatte, dass dieser Abend von größerer Bedeutung sein könnte. Ich stellte mich vor die bemalte Mauer am Brandenburger Tor, wo man sich gelegentlich auch so aufhielt. Aber an dem Abend war kein Mensch dort unterwegs. Dann machte ich das, was wir beim Fernsehen einen Aufsager nennen: Ich stellte mich vor die Kamera und sagte ein paar bedeutungsschwangere Sätze. Etwa so: „Die Mauer stand hier, 28 Jahre und knapp drei Monate lang. Aber ab morgen wird dieses Bauwerk nur noch die Bedeutung eines Baudenkmals haben.“ Dass der Aufsager später in den Tagesthemen lief, war sehr ungewöhnlich. Eigentlich werden solche Beiträge dort nicht genutzt.

Wie lief dann die Live-Schalte?

Wir waren eine Minute vor Beginn der Tagesthemen in der Invalidenstraße sendeklar. Probleme gab es trotzdem: Ich konnte nicht hören, was der Moderator Hanns Joachim Friedrichs sagte. Ich wusste auch nicht, wann ich dran sein würde. An den zwei Bildschirmen der Techniker im Übertragungswagen konnte ich mich ein wenig orientieren. Auf dem einen war ich zu sehen, auf dem anderen die Sendung. Sobald ich mich auf beiden Monitoren gleichzeitig sehen konnte, begann ich zu reden – ahnungslos, dass Friedrichs von weit geöffneten Toren an der Mauer gesprochen hatte. Ich sagte, dass noch keiner rübergekommen sei.

An der Bornholmer Straße, nur wenige Kilometer weiter nördlich, sah das anders aus.

Deshalb war es unser Riesenglück, dass pünktlich zur Live-Übertragung zwei Taxifahrer vorbeikamen. Sie hatten kurz vorher beobachtet, was an der Bornholmer Straße geschah. Die beiden Zeugen schilderten das außergewöhnlich präzise, sodass wir eine recht lebendige Darstellung von den Ereignissen an der Mauer hatten. Auch wenn wir es leider in dieser Sendung nicht zeigen konnten. Wir haben dann noch die ganze Nacht über live berichtet und am nächsten Morgen ging es um acht Uhr direkt weiter. In den Tagen darauf war die Stimmung weiterhin euphorisch, das war schon toll.

Wie denken Sie im Nachhinein über die Berichterstattung, in die Sie ja letztlich hineingestolpert sind?

Ich habe das große Reporterglück und -pech zugleich erlebt: Ich konnte in der entscheidenden Nachrichtensendung des Abends live von der Berliner Mauer berichten. Wir waren die ganze Zeit über der einzige Sender live vor Ort. Das große Pech war natürlich, dass wir eigentlich am falschen Ort waren. In dieser an sich perfekten Sendung fehlte der erste Trabi. Der kam erst viel später, nach 23 Uhr. Von der Bornholmer Straße aus hätten wir aber wahrscheinlich gar nicht live senden können, aus technischen Gründen.

Gibt es auch ein persönliches Erlebnis, das Sie mit jenem Abend verbinden?

Einen kleinen persönlichen Triumph, der aber nur indirekt etwas mit den Ereignissen an der Mauer zu tun hat. Als freier Journalist hatte ich für die Berliner Abendschau einen Beitrag gemacht, der zufällig als einziger regulärer Beitrag in deren Programm erhalten blieb. Es war ein Porträt über einen Berliner Juden mit türkischen Wurzeln, Isaak Behar. Als Jugendlicher überlebte er den Holocaust im Berliner Untergrund, während seine Familie in Auschwitz umgebracht wurde. Seine Geschichte war tief beeindruckend. Nur hat am Abend der Erstausstrahlung natürlich niemand richtig hingehört. Deswegen war es ganz toll, dass das historisch gewordene Fernsehprogramm dieses Tages noch sehr oft wiederholt wurde und dieser Mann im Nachhinein die Beachtung fand, die er verdient hatte.

Korrespondent Lautenbach: Für die ARD fünf Jahre in Polen.

Korrespondent Lautenbach: Für die ARD fünf Jahre in Polen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Radio und Fernsehen hätten an jenem Tag Weltgeschichte geschrieben, bilanzierte der damalige Intendant des SFB, Günther von Lojewski, beim Mauerfall-Jubiläum vor fünf Jahren in der FAZ. Stimmen Sie zu?

Nur teilweise. Die Medien haben in dem kurzen Zeitfenster von 19 Uhr bis 21.30 Uhr tatsächlich die Ereignisse beschleunigt. Von Minute zu Minute versuchte man, Schabowskis Aussagen aus der Pressekonferenz zu interpretieren. Auch die Ost-Berliner verfolgten die westdeutschen Nachrichten intensiv und interpretierten sie für sich. Viel entscheidender als der Beitrag der Medien war jedoch, dass die Menschen in Ost-Berlin an diesem Abend keine Angst mehr hatten. Sie wollten nicht bis zum nächsten Morgen warten, dass ihnen die Reisefreiheit gewissermaßen auf dem Gnadenweg bewilligt wird. Nein, das Volk der DDR hat sich seine Freiheit letztlich selbst zurückgegeben.

Inwiefern haben Ihnen diese Erfahrungen und Ihr Wissen über die DDR in Ihrer weiteren Laufbahn geholfen?

Ich habe nach dem Mauerfall noch zwei Jahre über die Ex-DDR berichtet. Und später war ich fünf Jahre lang ARD-Korrespondent in Polen, von 2004 bis 2009. Das war eine sehr spannende Zeit, die Wende wirkte noch nach. In Polen hatte man noch immer mit postsozialistischen Problemen zu kämpfen. Die Privatisierung des ehemaligen Staatseigentums war etwa ein großes Thema. Diese Fragen waren in der DDR mit westdeutscher Unterstützung innerhalb von drei Jahren vom Tisch.

Was hat Sie an Polen fasziniert?

Die Landschaft und die teils abgelegenen Regionen genauso wie die Innen- und Außenpolitik. Während meiner Zeit in Polen kamen die Kaczyński-Brüder an die Macht, was die deutsch-polnischen Beziehungen stark belastet und auch innenpolitisch zu Spannungen geführt hat. Meine schönsten Erinnerungen an diese Zeit sind aber die längeren Filme, die ich für Sendungen wie den „Weltspiegel“ oder das „Europamagazin“ gemacht habe. „Ein Winter in Schlesien“ zum Beispiel. Dafür bin ich in viele Regionen Polens gereist, die man in Deutschland gar nicht kennt.

Was war anders an der Arbeit dort, im Vergleich zum Berliner Hauptstadtstudio?

Die Herausforderung bestand vor allem darin, den Deutschen dieses wichtige Nachbarland nahezubringen. Damit meine ich auch die alltäglichen und scheinbar banalen Dinge. Nach 1990 haben die Polen den Deutschen vorgeworfen, nach der Wiedervereinigung zufrieden Richtung Westen geschaut zu haben. Uns sei alles egal gewesen, was östlich der Oder-Neiße-Grenze liegt. In gewisser Weise war es auch so. Auch den deutschen Nachrichtenredakteuren ist Polen als Land nicht gerade präsent: Es ist kein Krisenland. Es ist auch nicht exotisch, weil es nicht allzu weit weg ist und sich von Deutschland nicht grundlegend unterscheidet – zumindest nicht in der allgemeinen Wahrnehmung. Meine Zeit als Polen-Korrespondent wollte ich deshalb ganz bewusst nutzen, um Osten und Westen einander näherzubringen.

Weitere Informationen

Der Ost-West-Korrespondent

Robin Lautenbach, 63, ist Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio. Er ist aufgewachsen in Pforzheim in Baden-Württemberg. An der Freien Universität studierte er zwischen 1973 und 1979 Politikwissenschaft, Geografie und Geschichte. Durch verschiedene Praktika kam er zum Sender Freies Berlin (SFB), wo er zunächst bei der „Berliner Abendschau“ arbeitete. Es folgten berufliche Stationen in der Redaktion ARD-aktuell beim SFB und als Korrespondent im ARD-Studio DDR. Nach der Wende berichtete Robin Lautenbach aus Ostdeutschland, bevor er die Leitung der ARD-Studios Berlin übernahm. Seit 1999 arbeitet er im ARD-Hauptstadtstudio und war zwischenzeitlich von 2004 bis 2009 ARD-Korrespondent in Warschau. 2014 erhielt er den Medienpreis Politik des Deutschen Bundestages für die Dokumentation „Staatsversagen – Der NSU-Ausschuss und die schwierige Aufarbeitung“. Robin Lautenbach lebt in Berlin.