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Tansania – Berlin und zurück

Heinke Schimanowski-Thomsen, Alumna der Freien Universität, leitet ein Krankenhaus in Tansania

05.02.2016

Heinke Schimanowski-Thomsen unterwegs in Matema.

Heinke Schimanowski-Thomsen unterwegs in Matema.
Bildquelle: Petterik Wiggers

Für die Prävention von Gebärmutterhalskrebs muss die Ärztin häufig am Mikroskop arbeiten.

Für die Prävention von Gebärmutterhalskrebs muss die Ärztin häufig am Mikroskop arbeiten.
Bildquelle: Petterik Wiggers

Nicht alle Lebenswege verlaufen gerade. Heinke Schimanowski-Thomsen hatte schon zehn Jahre in Tansania gelebt, bevor sie anfing, in Berlin Medizin zu studieren. Zwölf Jahre später und zurück in Tansania übernahm sie die Leitung eines Krankenhauses. Dort baute sie in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité eine Klinik für die Prävention von Gebärmutterhalskrebs auf.

Für Heinke Schimanowski-Thomsen ist es der schönste Fleck auf der Welt: Matema, ein kleines Dorf in Tansania, am Rande des Malawi-Sees und zu Füßen der Livingstone-Berge. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet die Ärztin dort und wohnt nur wenige Schritte vom Seeufer entfernt. „Emil Nolde würde sich hier wohlfühlen“, schwärmt sie, „ein total interessantes Wetter, tolle Farben und Stimmungen im ständigen Wechsel.“

Auch sie wollte malen, als sie das erste Mal nach Tansania kam. Damals – im Jahr 1979 – folgte sie ihrem Mann, der eine Dozentenstelle in einer Bibelschule übernahm. Sie hatten vier Kinder, das jüngste gerade einmal fünf Monate alt. Doch die Kiste mit Farben, die sie mitgebracht hatte, blieb unbenutzt: „Als in dem Krankhaus im Ort die Anästhesieschwester wegzog, war ich so leichtsinnig, von meiner Ausbildung zur Anästhesie-und Intensivkrankenschwester zu erzählen“, sagt sie.

Ein Sprung in kaltes Wasser

Sie hatte jedoch Bedenken, den Posten zu übernehmen. Eine Vollnarkose ist eine heikle Prozedur. „Auf Kisuaheli heißt Anästhesie ‚nusu kaputi‘, wörtlich ‚halb kaputt‘“, weil ein narkotisierter Mensch wie tot wirke, erzählt Heinke Schimanowski-Thomsen. Der Patient darf nicht länger als fünf Minuten ohne Sauerstoff auskommen. In genau diesem Zeitraum muss eine Anästhesistin einen Schlauch in seiner Luftröhre fixieren und die künstliche Atmung beginnen lassen. Am Ende ihrer Ausbildung in Deutschland hatte Heinke Schimanowski-Thomsen unterschreiben müssen, selber keine Narkosen zu geben, weil das eine ärztliche Tätigkeit ist.

Sie machte es trotzdem. Innerhalb der nächsten acht Jahre brachte sie sich die Anästhesie bei. Darüber hinaus bildete sie erfolgreich sieben weitere Pflegekräfte aus. Gegen Ende der achtziger Jahre wuchs ihr Wunsch, Medizin zu studieren. Die AIDS-Epidemie begann. „In meinem letzten Jahr starben mir unter den Fingern unzählige junge Frauen weg. Das fand ich unerträglich“, erklärt sie.

Medizinstudium mit 41 Jahren

Kurz vor dem Mauerfall kehrte sie nach Berlin zurück und begann ihr Medizinstudium an der Freien Universität. „Das war eine schöne Zeit“, sagt sie. Sie war zwar eine Generation älter als die meisten Studierenden, verstand sich aber sehr gut mit ihnen. Einmal bekam sie allerdings die „Berliner Schnauze“ zu spüren, erzählt sie, als jemand sagte: „Guck mal, die Alte! Von der Uni frisch in Rente, wa?“

Mit der Hilfe ihrer naturwissenschaftlich begabten Kinder beendete sie das Studium erfolgreich. Anstatt zu promovieren oder – wie in Deutschland üblich – sich zur Fachärztin weiterzubilden, kehrte Heinke Schimanowski-Thomsen 1999 nach Tansania zurück und arbeitete im evangelischen Krankenhaus in Matema mit Schwerpunkt auf Geburtshilfe und Gynäkologie. Sie war die einzige Ärztin vor Ort mit einem Universitätsabschluss. Von 2002 bis 2008 leitete sie das Krankenhaus, das etwa 90 Mitarbeiter beschäftigt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte sie den rüden Kommentar aus Berlin widerlegt.

Neue Herausforderung Krebsprävention

Nach einiger Zeit wurde Heinke Schimanowski-Thomsen ein weiteres Mal unzufrieden mit ihren Möglichkeiten. Dieses Mal war es nicht AIDS, sondern Gebärmutterhalskrebs, der sie beunruhigte. Bei zu vielen ihrer Patientinnen bemerkte sie den Tumor erst zu spät. Anders als in Deutschland gab es in dem afrikanischen Land keine Möglichkeiten zur Früherkennung. 2004 schaffte das Matema Lutheran Hospital ein Kolposkop an, ein Mikroskop, das Vorsorgeuntersuchungen ermöglicht. Es war das erste in der Region.

Doch für zuverlässige Diagnosen fehlten der Ärztin noch einige Fortbildungen – unter anderem in Zellkunde. Parallel zu ihren vielen Verpflichtungen als Leiterin des Krankenhauses absolvierte sie in den Ferien einen Crashkurs an der Berliner Charité. Im Oktober 2011 eröffnete sie eine erste Kolposkopie-Klinik in Matema. Mittlerweile arbeitet die Vorsorgepraxis selbstständig. Während die Ärztin vor zehn Jahren fast jede Operation selber machte, muss sie heute nur noch selten den Chefarzt vertreten. Sie ist glücklich, dass der Betrieb nun auch ohne sie läuft.

Mehr als fünf Sprachen

In ihrer Laufbahn brauchte Heinke Schimanowski-Thomsen nicht nur viel Durchhaltevermögen und Pragmatismus. Sie musste sich auch in vielen Sprachen verständigen. Ihre erste Fremdsprache ist Französisch, im Beruf spricht sie Englisch, mit den Patienten entweder die Landessprache Kisuaheli oder das örtliche Kinyakyusa. Gut 125 lokale Sprachen gibt es in Tansania. In den achtziger Jahren, als sie noch in einer anderen Region lebte, sprach die Ärztin Kibena, das sie heute noch verstehen kann. Weil ihre Kinder zeitweise in einem Internat lebten, das von einer Schwedin geleitet wurde, versteht sie sogar etwas Schwedisch.

Heinke Schimanowski-Thomsen hat nie aufgehört zu lernen. Ihre erste Vollnarkose schreckte sie genauso wenig ab wie das Studium als Übervierzigjährige. Noch heute lernt sie ständig dazu. „Hier gibt es vieles, was für die Forschung sehr spannend wäre.“ Manchmal spielt sie mit dem Gedanken, sich hinzusetzen und eine Doktorarbeit daraus zu machen. Wahrscheinlich werde sie das aber nicht tun, sagt sie. Den Doktortitel hält sie gerade in der Medizin ohnehin für überbewertet. Vor allem aber ist sie dafür einfach zu praktisch veranlagt.