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Der Studentenversteher

Hans-Werner Rückert leitet seit 22 Jahren die Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung der Freien Universität

19.10.2016

Seit 39 Jahren arbeitet der Psychologe Hans Werner Rückert in der Studienberatung und Psychologischen Beratung der Freien Universität.

Seit 39 Jahren arbeitet der Psychologe Hans Werner Rückert in der Studienberatung und Psychologischen Beratung der Freien Universität.
Bildquelle: Klaus Mellenthin

Die Studienberatung der Freien Universität 1977: Die Nachfrage nach den Gesprächen ist von Beginn an groß gewesen.

Die Studienberatung der Freien Universität 1977: Die Nachfrage nach den Gesprächen ist von Beginn an groß gewesen.
Bildquelle: Freie Universität Berlin

Versagensangst, Stress oder Depression: Es ist meist die erste große Lebenskrise, in der sich Studierende hilfesuchend an Hans-Werner Rückert wenden. Seit 39 Jahren arbeitet der Psychologe in der Studienberatung und Psychologischen Beratung der Freien Universität, seit 1994 als ihr Leiter. Er schätzt, dass sich Stress und psychische Krisen zu 90 Prozent und sofort auf die akademischen Leistungen niederschlagen. Die Durchschlagskraft psychischer Sorgen ist deutlich größer als die körperlicher Beschwerden. Damit erhält die tägliche Beratungsarbeit von Hans-Werner Rückert besonderes Gewicht.

„Ich hatte noch nicht einmal mein Diplomzeugnis“, erinnert sich Hans-Werner Rückert an seine Anfänge an der Freien Universität im Jahr 1977. Trotzdem hatte sich die Universitätsleitung für die Bewerbung des frischgebackenen Absolventen entschieden: An der Freien Universität sollte eine psychologische Beratungsstelle für Studierende aufgebaut werden, Hans-Werner Rückert überzeugte trotz seiner jungen Jahre mit seiner Erfahrung: Schon während seines Studiums hatte er im Rahmen einer studentischen Initiative eine Beratungsstelle an der Universität Kiel etabliert. So zog Rückert von Schleswig-Holstein nach West-Berlin.

„Angefangen haben wir in einem viel zu kleinen Gebäude in der Ihnestraße 35. Manche Berater saßen zu zweit in einem Raum – Verschwiegenheit bei Studienberatungsgesprächen war da nicht möglich“, sagt Hans-Werner Rückert. Dennoch sei die Nachfrage nach den Gesprächen von Beginn an groß gewesen.

"Dadurch geraten viele in die erste Krise ihres Lebens"

Seitdem hat sich viel verändert – so residiert die Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung inzwischen im Neubau des Studierenden-Service-Center (SSC) in der Iltisstraße 4. Auch die Beratungstätigkeit steht heute vor anderen Herausforderungen als vor knapp vier Jahrzehnten. Vor allem in der Studienberatung habe sich durch die „Atomisierung des Studienangebots“ eine unglaubliche Komplexität herausgebildet: „Ein Abiturient hat in Deutschland heute die Wahl zwischen 7800 Bachelorstudiengängen mit unterschiedlichen Zulassungsvoraussetzungen und Bewerbungsverfahren. Die Hälfte der Schüler ist von diesem Angebot überfordert und weiß ein halbes Jahr vor dem Abschluss noch nicht, wie es nach der Schule weitergeht“, sagt der Psychologe.

Auch in der Psychologischen Beratung sehen sich Hans-Werner Rückert und seine Kolleginnen und Kollegen heute mit anderen Störungsbildern konfrontiert als vor 40 Jahren – Essstörungen etwa oder übertriebene Leistungsanforderungen an die eigene Person, aber auch schwere Störungen wie selbstverletzendes Verhalten seien Beschwerden, unter denen junge Menschen heute verstärkt litten. Auf der entwicklungspsychologischen Ebene hingegen habe sich nicht viel verändert: „Heute wie damals stehen die jungen Menschen in dieser Lebensphase vor der Aufgabe, sich vermeintlich endgültig festlegen zu müssen – sei es nun mit der Studienwahl auf einen bestimmten Beruf oder privat auf den Partner fürs Leben“, sagt Hans-Werner Rückert. Dadurch gerieten viele in die erste Krise ihres Lebens.

„Wir sind im Gegensatz zu Eltern oder Freunden neutral“

Wenn diese sich nicht durch Gespräche in der Familie oder mit Freunden in den Griff kriegen lässt, suchen die Studierenden den Rat der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Psychologischen Beratung –- bis zu 1200 Erstgespräche werden dort jedes Jahr geführt. „Wir sind im Gegensatz zu Eltern oder Freunden neutral“, sagt Hans-Werner Rückert. „Und was der größte Unterschied ist: Wir geben keine Ratschläge oder erzählen von unseren eigenen Erfahrungen, sondern helfen dabei, valide, gut basierte Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, von denen der Hilfesuchende sagen kann: Damit kann ich leben.“

Und wie lebt Hans Werner-Rückert selbst damit, täglich mit Problemen und Krisen konfrontiert zu sein? „Ich entspanne beim Tennisspielen oder Joggen“, sagt er „außerdem fahre ich sehr gerne nach Schweden. Bestens abschalten kann ich auch beim Spielen mit meinen beiden Enkelkindern.“

Oder beim Schreiben. Vor allem Bücher oder Aufsätze zum Thema „Prokrastination“ hat Rückert geschrieben: das Phänomen des extremen Aufschiebens. Ein Problem, das ihm in seiner Arbeit als psychologischer Studienberater immer wieder begegne, wie er sagt. In den achtziger Jahren spezialisierte er sich mit einer verhaltenstherapeutischen Ausbildung in den USA auf das damalige Nischenthema und zählt heute auch als Psychoanalytiker zu den führenden Experten auf diesem Gebiet – was ihn jedoch selbst nicht resistent gegen die „Aufschieberitis“ macht: „Unangenehme Korrespondenz erledige ich zwar meist sofort, aber meinen Keller könnte ich seit längerem mal wieder entrümpeln…“