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„Die Flucht mit dem Boot ist ein Himmelfahrtskommando“

Oscar Schaible, Jura-Student an der Freien Universität Berlin, hat auf Malta für die Initiative „Sea-Watch“ gearbeitet, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettet

06.03.2017

Lebensretter und Jura-Student: Oscar Schaible (rechts) und ein Mitglied des Teams halten auf dem Flüchtlingsrettungsboot „Sea-Watch 2“ vor der libyschen Küste nach Flüchtlingsbooten Ausschau.

Lebensretter und Jura-Student: Oscar Schaible (rechts) und ein Mitglied des Teams halten auf dem Flüchtlingsrettungsboot „Sea-Watch 2“ vor der libyschen Küste nach Flüchtlingsbooten Ausschau.
Bildquelle: Markus Heine/heineimaging

„Zuerst sieht man am Horizont nur einen schwarzen Balken. Das könnte alles sein: ein Containerschiff, ein Dampfer oder ein Schlauchboot mit Flüchtlingen. Dann muss alles ganz schnell gehen.“ So beschreibt Oscar Schaible, wie er auf dem Seenotrettungsschiff „Sea-Watch 2“ mit dem Feldstecher das Meer beobachtet hat. Zwei Wochen war der Jura-Student an Bord, um Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zwischen Libyen und der italienischen Insel Lampedusa zu retten. Zu seinem Einsatz in jener Region, die die meisten Boote mit afrikanischen Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa durchqueren, kam der angehende Jurist über die Hilfsorganisation Sea-Watch e.V. Drei Monate leitete Schaible deren Basiscamp auf der Mittelmeerinsel Malta.

Von Malta aus patrouilliert die Sea-Watch 2 je nach Wetterlage westlich oder östlich von Tripolis, im internationalen Gewässer zwischen Libyen und Lampedusa. Hat die Besatzung ein Boot ausgemacht, muss alles ganz schnell gehen, denn die Flüchtlinge haben in der Regel keine Verpflegung bei sich und sind der brennenden Sonne auf dem Meer schutzlos ausgeliefert. „Das ist ein Himmelfahrtskommando. Keines der Boote ist dafür gebaut, das europäische Festland zu erreichen“, sagt Oscar Schaible.

Europas Grenze auf dem Mittelmeer

Der 24-Jährige studierte im vergangenen Jahr zwei Semester in Barcelona. „Ich wollte im Anschluss unbedingt ein Fach-Praktikum machen und hatte mich explizit bei Flüchtlingsinitiativen umgehört“, sagt Schaible. Von Sea-Watch hatte er bereits über einen Bekannten viel Gutes gehört. „Aber Sea-Watch bietet keine Praktikumsplätze für Juristen an. Die Organisatoren haben mir dann das Angebot zur Camp-Leitung auf Malta gemacht – da konnte ich nicht Nein sagen.“ Als Koordinator des Basiscamps war er für die Versorgung der Rettungs-Crew und die Instandhaltung des Schiffes verantwortlich, wenn es zum „Boxenstopp“ im Hafen einlief – das Schiff sollte schließlich schnellstmöglich wieder auf See fahren können. „Ganz wichtig war, darauf zu achten, dass immer ausreichend Rettungswesten an Bord sind“, sagt der Student. Etwa 500 Schwimmwesten hat die Sea-Watch 2 immer dabei.

Viele Hilfsorganisationen, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten, haben wie die Sea-Watch 2 ihr Basislager und ihre Schiffe auf der geografisch günstig gelegenen Insel Malta. Geld bekam Oscar Schaible für seine Arbeit nicht, dafür wurden ihm Kost und Logis gestellt. Auch die anderen Crew-Mitglieder der Sea-Watch 2 arbeiten ehrenamtlich bei der Organisation, die der Brandenburger Unternehmer Harald Höppner 2015 ins Leben gerufen hat.

Erfahrene Seemänner und –frauen

Möchte als Jurist später dort arbeiten, wo er Dinge verändern kann: Jurastundent Oscar Schaible auf der Insel Malta, dem Hafen der Sea-Watch 2.

Möchte als Jurist später dort arbeiten, wo er Dinge verändern kann: Jurastundent Oscar Schaible auf der Insel Malta, dem Hafen der Sea-Watch 2.
Bildquelle: Privat

Kapitän und Offiziere, Maschinisten und Speed-Boat-Fahrer: Der größte Teil der Sea-Watch-Crew besteht aus erfahrenen Seemännern und –frauen. Mit an Bord einer Rettungsmission sind außerdem Mediziner, Rettungsassistenten, ein Koch und häufig auch ein Reporter, dem ein Medien-Koordinator zur Seite gestellt wird. Die Stelle als Pressebetreuer war schließlich die Gelegenheit für Oscar Schaible, der weder Mediziner noch Koch war und auch keinen Speed-Boat-Führerschein hatte, mit raus auf See zu fahren. „Ich war sehr froh über diese Gelegenheit“, sagt Schaible. Insgesamt war er knapp zwei Wochen auf Rettungsmission auf der Sea-Watch 2. Die Tage, so Schaible, seien immer ähnlich abgelaufen: „Die Nächte und Nachmittage waren eher ruhig. Die meisten Flüchtlingsboote haben wir vormittags entdeckt und evakuiert.“

Acht Stunden, so lange etwa dauert die Fahrt der kleinen motorisierten Fluchtboote von Libyens Strand bis sie internationales Gewässer erreichen. Etwa 130 Menschen drängen sich in ihnen zusammen. Die meisten starten gegen Mitternacht im Schutz der Dunkelheit, um von der lybischen Küstenwache nicht entdeckt zu werden. Mit Schnellbooten fahren die Sea-Watch-Mitglieder bei einer Rettungsaktion zu den Schlauchbooten. „Der Erstkontakt zwischen den Helfern und dem Flüchtlingsboot ist immer besonders heikel“, sagt Schaible, denn eine Panik würde alle in Gefahr bringen. Sind die Flüchtlinge sicher an Bord der Sea-Watch 2 gebracht, informiert die Crew die italienische Seenotrettungsstelle MRCC Rom, die dann die Weiterfahrt der Flüchtlinge nach Europa organisiert. „Die Mission der Sea-Watch ist es nicht, die Menschen an Land zu bringen“, stellt Schaible klar.

Seit Herbst 2016 ist der Student zurück in Berlin, aber noch in diesem Jahr möchte er wieder auf der Sea-Watch 2 mitanpacken. Bis dahin hat er schon eine andere Stelle gefunden, in der sich sein juristisches Wissen und soziales Engagement verbinden: In der refugee law clinic, einer Rechtsberatung für Geflüchtete, will er Flüchtlingen in Berlin beim Ankommen helfen.