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Dem Insektensterben auf der Spur

Der emeritierte Biologieprofessor Randolf Menzel forscht seit mehr als 50 Jahren zu Honigbienen – er untersucht, wie abhängig ihr Verhalten von Umweltfaktoren ist

04.05.2018

Bedroht: die Honigbiene.

Bedroht: die Honigbiene.
Bildquelle: flickr.com/Kathy Büscher

Es ist eine alarmierende Nachricht: Um rund Dreiviertel hat sich die Biomasse der hierzulande fliegenden Insekten innerhalb der vergangenen 27 Jahre verringert. Das haben Mitglieder des Entomologischen Vereins Krefeld durch jahrzehntelange ehrenamtliche Feldforschung herausgefunden. Die Ursache für den Rückgang vermuten die Hobby-Entomologen, die ihre Ergebnisse gemeinsam mit niederländischen und britischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im vergangenen Oktober veröffentlicht haben, unter anderem im flächendeckenden Einsatz von Pestiziden. Wie stark die Auswirkungen des Insektensterbens sind, weiß Randolf Menzel, emeritierter Professor für Verhaltensbiologie an der Freien Universität, nur zu gut: Seit mehr als 50 Jahren erforscht er die europäische Honigbiene und nutzt sie als Modellorganismus und Indikator für den Zustand von Ökosystemen.

Das komplexe Sozialverhalten der Honigbiene verstehen

„Ich bin kein Umweltaktivist, sondern Wissenschaftler“, stellt Randolf Menzel gleich zu Beginn klar. Ihm gehe es darum, verhaltensbiologische Prozesse zu verstehen und die Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft und des Pestizideinsatzes auf Insekten wissenschaftlich zu untersuchen. Noch immer kommt der 77-Jährige regelmäßig in sein Labor auf dem Campus der Freien Universität, entwirft neue Forschungsprojekte. Mit dieser Beharrlichkeit forscht Menzel seit einem halben Jahrhundert an Insekten, will nicht nur herausfinden, wie deren komplexes Sozialverhalten zu verstehen ist, sondern auch Antworten auf die Frage nach dem Zustand deutscher Ökosysteme finden. Für seine herausragenden Erkenntnisse über die Funktionsweise des Bienengehirns erhielt Menzel 1991 den Leibniz-Preis – den wichtigsten Forschungsförderpreis in Deutschland.

Durch Zufall zur Honigbiene gekommen

Zur Honigbiene kam Menzel durch einen Zufall: „Als Student in den sechziger Jahren wollte ich ein Praktikum in der Botanik machen und wusste nicht, dass hierzu auch eine Aufnahmeprüfung absolviert werden musste. Die Prüfung habe ich nicht bestanden und wanderte danach einigermaßen ziellos über den Campus in Tübingen, ging ins Institut für Neurobiologie. Da fand gerade eine fantastische Vorlesung zum Farbwechsel im Tierreich statt“, erinnert sich Menzel. Er habe all seinen Mut zusammengenommen und den Vortragenden, Professor Franz Huber, um einen Praktikumsplatz gebeten.

Randolf Menzel nutzt Bienenvölker, um Veränderungen der Umweltbelastung zu untersuchen. Die Bienen dienen dabei auch als Indikator für den Zustand von Ökosystemen.

Randolf Menzel nutzt Bienenvölker, um Veränderungen der Umweltbelastung zu untersuchen. Die Bienen dienen dabei auch als Indikator für den Zustand von Ökosystemen.
Bildquelle: Nora Lessing

„Der Wendepunkt war für mich, als mir Professor Huber einige Zeit später ein Manuskript in die Hand drückte und mich nach meiner Meinung dazu fragte.“ Es war eine Arbeit des späteren Nobelpreisträgers und renommierten Hirnforschers Eric Kandel. „Inhaltlich hat mich diese Arbeit einfach umgehauen, und sie hat sozusagen den Weg für meine spätere Forschung bereitet“, erinnert sich Menzel. Promoviert wurde Menzel in Frankfurt am Main bei Martin Lindauer, einem renommierten Bienenforscher. Auch das eine Schlüsselbegegnung: „Ich habe an einem Ostermontag gelernt, wie man Bienen dressiert und am Osterdienstag angefangen, an ihnen zu forschen“, erzählt Menzel lächelnd.

Dass er wissenschaftlich im Großen und Ganzen immer bei den Bienen geblieben sei, habe auch daran gelegen, dass die Neurowissenschaften seit Mitte der sechziger Jahre einen ungeheuren Aufschwung genommen hätten, sagt Menzel. „Plötzlich konnte man einzelne Nervenzellen von Tieren und ihre Funktionsweise untersuchen und brauchte hierfür Modellorganismen.“ Als besonders ertragreich habe sich hierbei die Forschung an Honigbienen erwiesen. „Hintergrund war der Ansatz, Vorgänge des Lernens auf einzelne Nervenzellen zurückführen zu können.“ Bis heute sei das Rätsel um die Funktionsweise des Gehirns von Tieren und dem Menschen nicht gelöst. „Wir sind der Lösung aber nach und nach nähergekommen. Meine Kolleginnen und Kollegen an der Freien Universität in Berlin und ich waren die ersten, die Hirnnetzwerkanalysen mit abbildenden Methoden an lernenden Insekten durchführen konnten. Unsere These war immer, dass einer Verhaltensänderung eine Veränderung in der Verschaltung und der Struktur des Gehirns vorausgehen muss. Und das lässt sich heute auch nachweisen.“

Mehrere Jahrzehnte an der Freien Universität erlebt

An die Freie Universität kam Randolf Menzel erst 1976, obgleich er bereits zuvor eine Professur hatte erhalten sollen. „Das war die Zeit der Studentenproteste. Als in Frankfurt 1965 das Rektorat besetzt wurde, bin ich neben einem Studenten fotografiert worden, der dort gerade den Schreibtisch beschmutzte. Und das führte zu Ermittlungen des Verfassungsschutzes und verzögerte meinen Umzug nach Berlin“, erinnert sich der Wissenschaftler lachend. „Auch als Assistent an der TU Darmstadt war ich recht aufsässig. Wir wollten Hierarchien abbauen, Lehre und Forschung verbessern.“ Später in Berlin sei ihm zunächst allerdings „eine für mich unverständliche Verweigerungshaltung der Studentenschaft“ entgegengeschlagen. Vorlesungen seien verpönt gewesen, auch zu Menzels Vorlesungen sei zunächst niemand gekommen. Hintergrund war, dass die Studenten sich selbst unterrichten und später sogar Prüfungen gänzlich abschaffen wollten. „Das Ausmaß der Verweigerung fand ich destruktiv. Für mich war stets wichtig, unter möglichst guten Bedingungen möglichst frei forschen zu können. Von Mitte der achtziger Jahre an hat sich die Situation an der Freien Universität schließlich sehr zum Positivem gewandelt.“

Forschungsprojekt Bienen als Umweltspäher

Derzeit untersucht Randolf Menzel mit einem Team, wie es um die Pestizidbelastung deutscher Felder und Wälder bestellt ist. Das groß angelegte Forschungsprojekt Bienen als Umweltspäher ist eine Kooperation mit rund zwanzig Imkern im deutschen Bundesgebiet. Die Wissenschaftler messen mithilfe von Mikroprozessoren, die sie in speziell hierfür gefertigte Bienenkästen einbringen, Veränderungen in den von den Bienen ausgehenden elektrostatischen Feldern innerhalb des Bienenstaates. Der Hintergrund ist, dass sich jede Vergiftung eines Bienenvolkes, immer abhängig von Menge und Art des aufgenommenen Umweltgiftes, in einem bestimmten elektrostatischen Muster, das durch die Bewegungen der Bienen entsteht, abbildet.

„Wir sind noch nicht so weit, dass wir den Umweltspäher – also den Bienenkasten, der die elektrostatischen Felder ausliest und somit Rückschlüsse auf den Zustand der Bienen zulässt – als praktisches Instrument für die Imkerei anbieten könnten“, sagt Menzel. „Nichtsdestotrotz sind wir vor allem in der Grundlagenforschung bereits gewaltige Schritte vorangekommen und sind hoffnungsvoll, in den kommenden Jahren erste Erkenntnisse über die konkrete Belastung der untersuchten Gebiete liefern zu können.“ Unterstützt wird das Projekt durch die gemeinnützige GmbH OLIN.

„Bienen als unsere Verbündeten"

„Wir sind überzeugt, dass unsere Forschung einen wichtigen Beitrag zum Verständnis komplexer Zusammenhänge in einem vom Menschen veränderten Ökosystemen leistet“, sagt Menzel. „Unsere Ergebnisse zeigen unter anderem, dass die Aufnahme von Pestiziden das Verhalten der Bienen verändert und ihr Verhalten innerhalb des Stockes je nach aufgenommener Menge an diesen Giften zum Erliegen bringen kann.“ Das habe zur Folge, dass Pflanzen nicht mehr bestäubt und Nahrungsketten unterbrochen würden. Dadurch gerieten ganze Ökosysteme in Ungleichgewicht – ein gefährlicher Dominoeffekt, der letztlich auch große Auswirkungen auf menschliches Leben habe.

Bis das umfangreiche Datenmaterial ausgewertet sei, dauere es noch, sagt der Wissenschaftler. In einem zweiten Schritt soll die Bienenspäher-Methode verfeinert werden, um so verlässliche Daten zu realen Umweltbelastungen zu erhalten und Aussagen darüber treffen zu können, welche Pestizide sich besonders negativ auf Bienen auswirken. „Eines wissen wir jetzt schon sicher: dass Bienen als unsere Verbündeten im Bemühen um eine weniger belastete Umwelt eingesetzt werden können. Sie zeigen uns an, wo und wie schädliche Substanzen ausgebracht werden.“