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„Bullshit ist eine größere Gefahr für die Wahrheit als die Lüge“

Der dänische Gastwissenschaftler Mads Vestergaard hat an der Freien Universität über sein Forschungsthema neue Medien, „postfaktische Demokratie“ und die Ökonomie der Aufmerksamkeit gesprochen

06.06.2018

Mads Vestergaard in der Rostlaube der Freien Universität.

Mads Vestergaard in der Rostlaube der Freien Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Donald J. Trump trat seine Präsidentschaft mit einer ebenso falschen wie leicht zu widerlegenden Tatsachenbehauptung an. Die Sonne, so sagte er am Tag nach seiner Amtseinführung, hätte während seiner Antrittsrede zu scheinen begonnen. Eine große Anzahl an Bildern von der Amtseinführung beweist das Gegenteil: Die Sonne zeigte sich während Trumps Rede zu keinem Zeitpunkt. Die „postfaktische Demokratie“ und die in Trumps Umfeld entstandene Wortschöpfung der „alternativen Fakten“ bezeugen einen Verlust der Wirklichkeitsanerkennung, der auch überzeugten Konstruktivisten unheimlich sein dürfte.

Im Zeitalter der Filter Bubbles und der Fake News stellen sich alte, philosophische Fragen noch einmal neu: Was ist die Wirklichkeit? Wie überzeugt man sich davon, dass etwas real ist? Wie überzeugt man andere davon? Was ist unbezweifelbar? Dies sind einige Fragen, die Mads Vestergaard beschäftigen. Der Doktorand am Center for Information and Bubble Studies der Universität Kopenhagen war drei Monate lang als Gastwissenschaftler an der Freien Universität.

Als Philosoph beschäftigt sich Vestergaard mit Blasen – womit weder das anatomische Organ gemeint ist noch die schillernd-luftige Kinderbespaßung. Vielmehr untersucht der Doktorand, inwieweit die öffentliche Meinung von einer medialen Kommunikationsarchitektur der Informationsblasen bestimmt wird, die weniger dazu beiträgt, den Erkenntnishorizont zu erweitern, als Vorurteile des jeweiligen Rezipienten zu bestätigen. Dabei kann Vestergaard zeigen, dass Fake News nichts Neues sind, sondern dass Lügen und Propaganda schon immer Bestandteil von medialer Berichterstattung und Politik waren. Aber wie funktioniert die ideologische Wirklichkeitsvernebelung unter den heutigen Bedingungen? Wie beeinflussen die Ökonomie der Medienlandschaft und die Funktionsweise der digitalen Medien die (massen-)psychologischen Mechanismen im politischen Geschehen? Gemeinsam mit dem Gründer des Center for Information and Bubble Studies, Professor Vincent Hendricks, hat Vestergaard darüber ein Buch geschrieben: „Postfaktisch: Die neue Wirklichkeit in Zeiten von Bullshit, Fake News und Verschwörungstheorien“.

Der Markt der Aufmerksamkeit

Die Idee, ein solches Zentrum zu gründen, sei Hendricks gekommen, berichtet Vestergaard, als 2008 die Spekulationsblase falsch bewerteter Immobilienkredite geplatzt und in der Folge weltweit die Wirtschaft ins Schwanken geraten sei. Nach einem vergleichbaren Muster funktioniere der Markt für Informationen in der digitalen Ökonomie: So wie bei einer Finanzblase die Derivate und Credit Default Swaps allesamt nur fiktives Kapital darstellten, deren exorbitanter Wert nicht mehr auf materielle Güter verweisen, könne in der Medienökonomie heutzutage das Spekulieren mit Aufmerksamkeit zur Bildung von Informationsblasen führen, in denen die Informationen nichts mehr mit überprüfbaren Fakten zu tun hätten oder diese politisch opportun verzerrten. Und eine Desinformationsblase, die groß genug sei, entwickele ihre eigene, die Wirklichkeitswahrnehmung beeinflussende Dynamik. Infolge der „viralen Effekte“ der sozialen Medien könne die Einengung der Sichtweisen und die politische Polarisierung eine geradezu überwältigende Dominanz annehmen. Fake News, Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien würden so immer mehr zur Bedrohung für unsere Demokratie.

Digitalisierung, Wissenszunahme und Globalisierung hätten zu einer Nachrichtenexplosion geführt. Der Wahrheits- oder Relevanzgehalt jedoch spiele für die Verbreitung dieser Nachrichten eine nur nachrangige Rolle, so Vestergaard. Aufmerksamkeit bekomme, was mit aufmerksamkeitsfördernden Merkmalen ausgestattet sei: Neben niedlichen Katzenbildern seien das solche Nachrichten, die unsere affektiven Reflexe, unsere tribalistischen „Wir-gegen-die-Anderen“-Instinkte mobilisierten, die uns bei unseren Ängsten packten oder unsere Entrüstung abriefen etc. All das „sind effiziente Strategien, um Aufmerksamkeit zu erlangen“, sagte Vestergaard. „Wir wollen nicht unsere Überzeugungen kritisch hinterfragen“, fuhr er fort, „wir wollen Nachrichten, die zu unserer Weltanschauung passen.“

„Bullshit“ – vom Kraftausdruck zum Fachterminus

Dem Überfluss der Informationsmenge aber stehe die begrenzte Zeit der Konsumenten gegenüber. Aufmerksamkeit, sagt Vestergaard, ist die Währung der Gegenwart. Während Konsumgüter kaum noch knapp sind, werde um die Aufmerksamkeit der Menschen immer heftiger konkurriert. Aufmerksamkeit als knappes Gut ist mithin als Naturkonstante aufzufassen. Schließlich sei es schlichtweg unmöglich, zwei Filme oder zwei Bücher gleichzeitig zu konsumieren. Wenn aber belanglose, werberische oder irreführende Nachrichten die Aufmerksamkeit monopolisierten, bleibe den Bürgern weniger Zeit für die Beschäftigung mit überprüfbaren Nachrichten, die sie für eine demokratische Auseinandersetzung bräuchten. Das deutet auf ein Nullsummenspiel hin, wie es der Logik des Investierens zugrunde liegt: Die Gewinne der Bullshit News sind die Verluste der verlässlichen Tatsachenberichte. Solange wir uns damit beschäftigen, ob die Sonne bei Trumps Amtseinführung geschienen hat oder nicht, können wir uns nicht mit wichtigeren Dingen beschäftigen.

In seiner Bestimmung des Wesens von Fake News verwies Mads Vestergaard auf den Begriff „Bullshit“, den der US-amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt geprägt und als dritte Kategorie neben die Lüge und die Wahrheit gestellt hat. Während Wahrheit und Lüge jeweils einen Bezug zu einer objektiven Wirklichkeit aufwiesen – der Lügner sich folglich der Lüge bewusst sei –, zeichne den Bullshit-Emittenten eine tiefe Gleichgültigkeit gegenüber der Frage aus, wie die Dinge tatsächlich liegen. Das Wesen der Fake News sei demnach weniger, dass sie vorsätzlich falsch seien, sondern dass ihre Entlarvung keine Rolle mehr spiele. Wo sachgerechte Fakten konsequent durch ideologische Total- oder Teilfiktionen ersetzt werden, werde der Orientierungssinn im Bereich des Wirklichen, der ohne die grundlegende Unterscheidung von Wahrheit und Lüge nicht funktionieren kann, ausgelöscht. Das mache Bullshit, resümiert Veestergard, letztlich zu einer noch größeren Bedrohung für die Wahrheit als die Lüge.

Der Aufstieg der Populisten sei daher das Signet unserer Gegenwart, in der zu wenig Massenmedien noch an die Objektivität des Wahren glaubten und stattdessen nur die werbewirtschaftliche Klickwährung der „Likes und Shares“ zähle. „Donald Trump may not be good for America“, zitierte Vestergaard den Vorstandvorsitzenden des amerikanischen Fernsehsenders CBS, „but it’s damn good for CBS.“