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Moderator zwischen zwei Welten

Christian Lazar ist neuer Leiter des Verbindungsbüros der Freien Universität in São Paulo

26.11.2020

Weiß, wie man Brücken baut: Christian Lazar leitet das Verbindungsbüro der Freien Universität in São Paulo.

Weiß, wie man Brücken baut: Christian Lazar leitet das Verbindungsbüro der Freien Universität in São Paulo.
Bildquelle: Wanezza Soares

Fünf Verbindungsbüros unterhält die Freie Universität: in Kairo, Neu-Delhi, Moskau, Peking und São Paulo. Sie repräsentieren die Hochschule, vernetzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Berlin und der Zielregion und etablieren Austauschprogramme für Studium und Forschung. Inmitten der Corona-Hochzeit hat Christian Lazar das Verbindungsbüro in Brasilien übernommen. Er freue sich sehr über diese Herausforderung, sagt der 32-Jährige mit deutschen und costa-ricanischen Wurzeln: „Das Brückenschlagen kenne ich schon lange: Ich bin von Kindheit an oft umgezogen, habe in Costa Rica, Venezuela und Deutschland gelebt – und nun in Brasilien, im Ausnahmejahr 2020.“

Als Kind eines deutschen Vaters und einer costa-ricanischen Mutter wuchs Christian Lazar bilingual deutsch-spanisch auf. Während seines Studiums der Philosophie und Lusitanistik in Freiburg lernte er Portugiesisch, „um sich in allen südamerikanischen Ländern verständigen zu können“. Seit seiner Zeit als Masterstudent der Lateinamerikastudien mit Schwerpunkt Brasilien fühlt er sich der Freien Universität verbunden. Trotzdem sei es für ihn „im positiven Sinne kurios“, in Südamerika zu leben und dennoch für seine Alma Mater zu arbeiten. „Ich habe erkannt, dass ich stark bin im ‚Zwischendrin-Sein‘“, sagt Lazar, interkulturelle Kommunikation habe er schon praktiziert, lange bevor er wusste, was damit gemeint sei. Starke Kontakte möchte der Verbindungsbüroleiter nun zwischen der Wissenschaftslandschaft in Südamerika und der Freien Universität aufbauen.

Seit drei Jahren ist der Philosoph vorwiegend in Brasilien, arbeitete zuerst beim Deutschen Generalkonsulat in Rio, anschließend im Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus in São Paulo. Diese Regionalexpertise kann er nun für seine Vermittlungsarbeit nutzen. Er kennt nicht nur die aktuelle Lage im Land, sondern auch die kulturellen Unterschiede. Fristen erst auf die letzte Minute einzuhalten etwa, sei in Brasilien nicht ungewöhnlich. Und auf die korrekte Nennung von Titeln werde wenig Wert gelegt, weil selbst das Verhältnis zwischen CEO und Praktikant oftmals kameradschaftlich sei.

Auf der Avenida Paulista in São Paulo an einem Sonntag in Pandemiezeiten.

Auf der Avenida Paulista in São Paulo an einem Sonntag in Pandemiezeiten.
Bildquelle: Christian Lazar

Wirtschaftsmetropole São Paulo

„São Paulo ist bekannt als das ‚New York des Südens‘. Und es ist tatsächlich eine Stadt der Superlative“, sagt Christian Lazar. Die Metropole sei nicht nur gigantisch groß, sondern auch sehr facettenreich. „Rund 1000 deutsche Firmen sind in São Paulo präsent“, sagt er, „auch gibt es dort die größte japanische Community außerhalb Japans. Viele Nordafrikaner und unzählige Migranten aus allen Landesteilen Brasiliens sowie ganz Südamerika leben hier.“ Mit mehr als 12 Millionen Einwohnern ist das Finanzzentrum eine der bevölkerungsstärksten Städte der Welt. Es ist außerdem der größte Wirtschaftsstandort Deutschlands im Ausland. Das Verbindungsbüro der Freien Universität Berlin befindet sich im Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus, in dem außerdem Wissenschaftsorganisationen wie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Fraunhofer-Gesellschaft Büros haben.

In São Paulo träfen Kulturen aufeinander, sagt Christian Lazar, aber leider auch Arm und Reich – ohne räumliche Trennung. Menschen verschiedener Herkunft und unterschiedlichen Wohlstands lebten Seite an Seite. Die Infrastruktur für die zahlreichen internationalen Firmen und Auslandsvertretungen in eigenen Industrievierteln sei allerdings sehr zweckmäßig: „Auf der einen Straßenseite sind all die modernen Bürogebäude, eines neben dem anderen. Auf der anderen befinden sich nur Restaurants, die auf die Versorgung in der Mittagspause ausgerichtet sind – pragmatischer geht es nicht“, meint Christian Lazar und lacht.

Das Museu de Arte de São Paulo (MASP) ist das wichtigste Kunstmuseum Brasiliens.

Das Museu de Arte de São Paulo (MASP) ist das wichtigste Kunstmuseum Brasiliens.
Bildquelle: Christian Lazar

Ankommen im Ausnahmejahr

Eigentlich wollte der Leiter des Verbindungsbüros in diesem Herbst die Freie Universität besuchen, sich bei den Instituten, Lehrenden, Studierenden sowie im Präsidium vorstellen. Nun sei an die Stelle seiner Antrittsreise eine Aneinanderreihung von Videotelefonaten getreten. Ähnlich sieht sein Arbeitsalltag aus: Das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus ist seit Monaten vollständig im Homeoffice. Zeitweise sei es in der Großstadt fast gespenstisch gewesen mit menschen- und autoleeren achtspurigen Avenues, erzählt Christian Lazar. Seit etwa einem Monat sei nun fast wieder der Normalzustand in Brasilien eingekehrt: das Weihnachtsgeschäft boomt, gleichzeitig steigen vielerorts jedoch die COVID-19-Zahlen.

Während São Paulos Gouverneur zumindest Basisentscheidungen für die Corona-Eindämmung getroffen habe, habe der Präsident die Pandemie verharmlost. „Generell ist die Lage hier sehr schwierig, weil die gesundheitliche Vorkehrung politisch aufgeladen ist und das Land in zwei Lager spaltet“, erläutert der Leiter des Verbindungsbüros. Fake-News zur Krankheit instrumentalisiere die Bundesregierung. „In der wissenschaftlichen Zusammenarbeit müssen wir deshalb am besten langfristig umdenken, um zukunftsfähig zu bleiben“, ist sich Lazar sicher.

Digitale Partnerschaften

Die großen Hochschulen vor Ort seien sehr motiviert, mit neuen Formaten wie internationalen global classrooms die Studierendenmobilität zunehmend zu digitalisieren. Auch Christian Lazar sieht darin nicht nur für die Dauer der Corona-Krise viel Potenzial: „Digitale Partnerschaften können später zusätzlich zu tatsächlichen Studien- oder Forschungsaustauschen eingesetzt werden – vor allem, wenn es um fachliches Interesse geht und weniger darum, Land und Leute kennenzulernen.“ Als Moderator möchte er zwischen der Freien Universität und den brasilianischen Universitäten vermitteln. Regelmäßig ist er zudem mit den Verbindungsbüroleitern in Kairo, Moskau, Peking und Neu-Delhi im Gespräch, deren pandemiebedingte Situationen sich in einigen Aspekten gleichen. Auch in diesen Regionen ist es zurzeit nur bedingt ratsam, Wissenschaftler und Studierende der Freien Universität ins Land einzuladen. „Digital zu denken, ist deshalb für uns alle eine gute Option“, findet Christian Lazar.

Das Interesse auf brasilianischer Seite, für einen Studienaustausch, eine Promotion oder ein Postdoktorat an die Freie Universität zu gehen, sei jedoch auch derzeit groß. Einige Stipendien sind aktuell ausgeschrieben, der Verbindungsbüroleiter berät seine ersten Studierenden zum Bewerbungsablauf. Das bereite ihm viel Freude, sagt er. Denn er selbst habe, unterstützt von der Freien Universität, ein Auslandsjahr in Brasilien verbracht – und eine neue Heimat gefunden.