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Von Anfang an genau

Schwerpunktthema „Gute wissenschaftliche Praxis“: Die Nanostrukturwissenschaftlerin Britta Anstötz lässt sich zur Trainerin für gute wissenschaftliche Praxis ausbilden

02.08.2021

Debatte um Sorgfalt und Redlichkeit: Britta Anstötz schult Promovierende in guter wissenschaftlicher Praxis.

Debatte um Sorgfalt und Redlichkeit: Britta Anstötz schult Promovierende in guter wissenschaftlicher Praxis.
Bildquelle: Marion Kuka

2001 veröffentlichte ein junger Physiker einen bahnbrechenden Artikel nach dem anderen in hochangesehenen Fachzeitschriften – bis einige Kolleginnen und Kollegen seine Messreihen anzweifelten und schließlich als Fälschungen entlarvten. „Das ist natürlich ein besonders krasser Fall“, sagt Britta Anstötz, aus dem man keinesfalls einen Generalverdacht für die gesamte Wissenschaft ableiten dürfe: „Gemessen an der großen Zahl der Personen und Projekte in der Wissenschaft ist das Ausmaß wissenschaftlichen Fehlverhaltens äußerst gering.“

Britta Anstötz hat Nanostrukturwissenschaften auf Diplom studiert und wurde danach mit einem Thema der Materialwissenschaften promoviert. Inzwischen koordiniert sie das Graduiertenprogramm Ultraschnelle Spindynamik am Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin. Derzeit lässt sie sich als Trainerin ausbilden, um Doktorandinnen und Doktoranden in guter wissenschaftlicher Praxis zu unterweisen.

Das Graduiertenprogramm Ultraschnelle Spindynamik gehört zum Sonderforschungsbereich/Transregio (TRR) 227, bei dem die Freie Universität Berlin und die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit dem Fritz-Haber-Institut, dem Helmholtz-Zentrum Berlin und dem Max-Born-Institut zusammenarbeiten. „Transregios werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert“, sagt Britta Anstötz. „Auch daraus ergibt sich die Verpflichtung, unsere zurzeit rund 40 Promovierenden ausdrücklich in guter wissenschaftlicher Praxis zu unterweisen.“

Als sie jedoch einen Kurs für die Doktorandinnen und Doktoranden organisieren wollte, musste sie feststellen, dass Trainerinnen und Trainer stark ausgebucht sind: „Von der ersten Anfrage bis zum Start des Kurses hat es fast ein Jahr gedauert“, berichtet sie und sieht das als „Zeichen dafür, dass das Thema in der wissenschaftlichen Community gerade intensiv diskutiert und bearbeitet wird“. Deshalb schlug sie ihrem Chef Martin Weinelt, Physikprofessor an der Freien Universität Berlin und Sprecher des Sonderforschungsbereichs TRR 227, kurzerhand vor, dass sie sich selbst zur Trainerin ausbilden lässt.

Drei Unterrichtsmodule, Hausaufgaben und ein Workshop

Der kostenpflichtige Ausbildungskurs wird von erfahrenen Trainerinnen und Trainern angeboten, die selbst an der Erarbeitung des Curriculums für gute wissenschaftliche Praxis beteiligt waren – das Curriculum wurde von dem von der DFG eingesetzten, inzwischen unabhängigen Gremium „Ombudsman für die Wissenschaft“ erstellt. Der Trainingskurs besteht aus drei Unterrichtsmodulen von je zweieinhalb Tagen und begleitenden Hausaufgaben. Zwischen dem zweiten und dritten Modul bereiten die Teilnehmenden selbst einen Workshop vor, führen ihn durch und erhalten Feedback dazu.

Mitte Juni war es so weit: Britta Anstötz gab ihren ersten Online-Workshop für gute wissenschaftliche Praxis – gemeinsam mit Bertram Welker von der Dahlem Research School (DRS), der ebenfalls an dem Ausbildungsprogramm teilnimmt. Die DRS verantwortet unter anderem das überfachliche Qualifizierungsangebot der Freien Universität für Promovierende, das in guter wissenschaftlicher Praxis einen Schwerpunkt hat. „Bertram Welker ist Politologe, kommt also aus den Sozialwissenschaften – das hat gut gepasst, weil auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Workshops aus verschiedenen Fächern kamen“, sagt die Wissenschaftlerin. So hätten sie als Leitende auch auf Unterschiede in den Disziplinen eingehen können.

Debatte schärft den Blick auf die eigene Arbeit

Zunächst ging es jedoch um Grundlagen: Wie lässt sich gute wissenschaftliche Praxis definieren? Welche Regeln gelten? Welche Rechte und Pflichten haben Promovierende und Betreuende? Welche Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens gibt es? „Das lässt sich anschaulich an Fällen zeigen, die groß in den Medien waren“, sagt Britta Anstötz. Zum Beispiel das Freiburger Krebsforscher-Team Friedhelm Herrmann und Marion Brach, das in den 1990er Jahren nachweislich Daten in fast 100 Publikationen gefälscht hat. Der Skandal war einer der Anlässe, weshalb die DFG ihr Memorandum zur Sicherung guter wissenschaftliche Praxis überarbeitet hat.

Auch über die Plagiatsaffäre Franziska Giffey, die kürzlich zum Entzug des Doktorgrades durch die Freie Universität geführt hat, habe sich im Seminar eine Diskussion entsponnen: War es Vorsatz oder nicht? Und ist der Unterschied überhaupt relevant? Die Debatte über Sorgfalt und Redlichkeit habe den Blick der Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer auf ihre eigene Arbeit geschärft, sagt Britta Anstötz.

Forschungstagebuch führen, um die Entwicklung der Arbeit zu dokumentieren

Einen Tipp konnte die Nanostrukturwissenschaftlerin den Promovierenden aus den Geistes- und Sozialwissenschaften mitgeben: Analog zu den in den Naturwissenschaften üblichen Laborbüchern sollten sie ein Forschungstagebuch führen und darin fortlaufend dokumentieren, welche Publikationen sie wann gelesen haben und welche Gedanken sie dazu hatten. So könnten sie selbst und andere den Forschungsprozess und die Entwicklung ihrer Arbeit später besser nachvollziehen.

Nach dem Abschluss ihres Trainings möchte Britta Anstötz sich auch dafür einsetzen, dass Seminare zu Guter wissenschaftliche Praxis schon im Bachelor- und Masterstudium angeboten werden. „So kann von Anfang an vermittelt werden, dass es kein Kavaliersdelikt ist, im Laborpraktikum das Protokoll vom Nachbarn abzuschreiben oder Messpunkte zu korrigieren, wenn sie nicht zu den erwarteten Ergebnissen passen.“ Schließlich biete ein Ausreißer in den Messdaten – wenn also nicht die „Musterlösung“ eintrete – auch die Chance für neue Erkenntnisse: wenn man transparent mit den unerwarteten Ergebnissen umgehe und nach den Ursachen suche.

Später würde Britta Anstötz gern auch eine Veranstaltung für Betreuende organisieren. Dabei soll es um Standards und Methoden für gute Betreuung gehen. „Viele Betreuende sind zwar schon mit Herz und Seele bei der Sache, wünschen sich aber mehr Methodenwissen, um den Betreuungsprozess noch produktiver zu gestalten.“

Weitere Informationen

Zur Person

Neben ihrer Aufgabe im Transregio-SFB 227 Ultraschnelle Spindynamik ist Britta Anstötz auch Koordinatorin für den neuen Promotionsstudiengang Natural Sciences, den der Fachbereich Physik gemeinsam mit dem Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie aufbaut. Dafür können sich promotionsinteressierte Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler bewerben, die noch keinem strukturierten Doktorandenprogramm angehören.