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Autokratien trotz Wahl

Die Politikwissenschaftlerin Anja Osei arbeitet über Demokratisierungsprozesse in afrikanischen Ländern

29.06.2023

Prof. Dr. Anja Osei, Arbeitsberereich Politik und Gesellschaft in Afrika, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.

Prof. Dr. Anja Osei, Arbeitsberereich Politik und Gesellschaft in Afrika, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Trotz hoher Zustimmung setzt sich die Demokratie in vielen afrikanischen Ländern nicht durch. Warum das so ist, erläutert Anja Osei, Professorin für Politik und Gesellschaft in Afrika am Otto-Suhr-Institut. Die Spezialistin für Demokratisierungsprozesse, die seit Oktober 2022 an der Freien Universität forscht und lehrt, untersucht gegenwärtig die Rolle von Parlamenten in sogenannten elektoralen Autokratien. In vielen afrikanischen Ländern, sagt sie, regiere trotz Wahlen die Alleinherrschaft.

Digitale Transparenz

Wer wissen will, wer im Deutschen Bundestag, in der französischen Nationalversammlung oder im amerikanischen Kongress sitzt, kann dies mit wenigen Klicks herausfinden. Die Parlamente haben meist umfangreiche Internetseiten, auf denen nicht nur die Namen, sondern auch die Lebensläufe und das Abstimmungsverhalten von Abgeordneten aufgeführt sind. „In Gabun oder Kamerun ist das hingegen nicht so einfach“, sagt Anja Osei. „Dort ist es oft schon schwierig, an die Namen der Abgeordneten zu gelangen – geschweige denn an Informationen, wer sich hinter diesen Namen verbirgt, und welche Politik die Personen verfolgen.“

Formell demokratisch

Anja Osei ist seit Oktober 2022 Professorin für Politik und Gesellschaft in Afrika am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt „Do Legislatures Enhance Democracy in Africa?“ (DLEDA) untersucht sie die Rolle von Parlamenten in sogenannten elektoralen Autokratien auf dem afrikanischen Kontinent. Es handelt sich um Staaten, die zwar formell demokratisch sind, die jedoch seit Jahrzehnten von einflussreichen Einzelpersonen oder Parteien beherrscht werden: Benin, Botswana, Kamerun, Gabun, Tansania, Togo und Uganda.

„Wir versuchen, möglichst alle Parlamentsmitglieder in diesen Ländern persönlich zu befragen“, sagt Osei. „In einem ersten Schritt möchten wir herausfinden, wie repräsentativ die Parlamente zusammengesetzt sind, etwa was Geschlecht, Religion und Ethnie betrifft.“ Unterstützt wird die Professorin dabei von zwei Doktoranden sowie einem Netzwerk aus NGOs und Meinungsforschungsinstituten.

Wissenschaftliche Qualifikation ausschlaggebend

Anja Osei ist Spezialistin für Fragen zu Demokratisierungsprozessen auf dem afrikanischen Kontinent. Nach der Promotion an der Universität Leipzig war sie mehrere Jahre an der Universität Konstanz tätig. „Ich komme ursprünglich aus der Afrikanistik, einer qualitativ ausgerichteten Regionalwissenschaft“, erzählt sie. „Ich habe verinnerlicht, dass man hingehen und zuhören muss.“

Ihre wissenschaftliche Karriere habe sie dann in die stärker quantitativ orientierte Politikwissenschaft geführt. „Heute“, sagt Osei, „gehöre ich zu einer jüngeren Generation von Forscherinnen, die beides mitbringen: regionale Verankerung und methodische Kompetenz.“

Nach ihrer Berufung an die Freie Universität Berlin entzündete sich in den sozialen Medien auch eine Diskussion, ob man die Professur nicht mit einer Schwarzen Person hätte besetzen sollen. „Es ist richtig, dass wir noch viel für die Chancengerechtigkeit tun müssen“, sagt Osei. „Wir müssten Forschende aus Afrika besser unterstützen und Zugänge ermöglichen.“ Dennoch halte sie es für das falsche Signal, jemanden auf Grundlage von bestimmten Attributen wie Hautfarbe oder auch Geschlecht auszuwählen. „Ich glaube nicht, dass mit der Hautfarbe notwendig auch bestimmte Qualifikationen oder politische Positionen einhergehen“, sagt sie. „Dazu sind die Menschen in Afrika viel zu divers, wie überall auf der Welt.“

Stagnierende Entwicklung der Demokratie

Was den Zustand der Demokratie anbelangt, sagt Osei, sei Afrika ein Flickenteppich. Einige Länder, etwa Ghana, wiesen eine verhältnismäßig stabile Demokratie auf. Andere, wie etwa Kamerun, hätten zwar ein Mehrparteiensystem, würden aber trotzdem autokratisch geführt. Gambia habe sich in den vergangenen Jahren demokratisiert – während andere Staaten, wie etwa Benin, nach demokratischen Erfolgen in Autokratien zurückzufallen drohen. „In den 1990er Jahren haben wir in Afrika eine Demokratisierungswelle erlebt“, sagt Osei. „Heute muss man leider sagen, dass diese Entwicklung stagniert.“

Erste Forschungsergebnisse aus dem DLEDA-Projekt zeigen, dass viele Parlamente in den untersuchten Ländern ethnisch und religiös durchaus divers besetzt seien. Allerdings seien Frauen und junge Menschen meist unterrepräsentativ vertreten. Die Abgeordneten seien meist gut ausgebildet, haben oftmals im Ausland studiert und erfolgreiche Karrieren in Wirtschaft oder Verwaltung zurückgelegt. Auffallend sei jedoch ein extrem hoher Durchlauf. „In jeder Legislaturperiode sind rund 50 bis 70 Prozent der Abgeordneten neu“, sagt Osei. „In den von uns untersuchten afrikanischen Ländern werden nur wenige Kandidaten wiedergewählt.“

Der Hauptgrund sei, dass viele Kandidaten im Wahlkampf unrealistische Versprechungen machten. „Sie treten etwa damit an, in ihrem Bezirk eine neue Straße oder ein Krankenhaus bauen zu lassen“, sagt Osei. „Doch das übersteigt die Kompetenzen eines einzelnen Abgeordneten.“ Am Ende würden viele enttäuschte Wählerinnen und Wähler zurückgelassen, die sich bei der nächsten Wahl abwenden.

Erbe der Geschichte

Bis heute sei zudem die koloniale Vergangenheit eine Belastung für die demokratische Entwicklung in Afrika. „Die von den Europäern errichteten Kolonialstaaten waren grundsätzlich repressiv organisiert“, sagt Osei. „Heutige Demokratien haben diesen Staat, seine Geschichte, Verwaltung und Infrastruktur geerbt – damit müssen sie bis in die Gegenwart hinein umgehen.“

Wie wir gegenwärtig auch in Europa und den USA erleben, sei der Aufbau und Erhalt von stabilen Demokratien ein schwieriger und niemals abgeschlossener Prozess. „In der Bevölkerung der meisten afrikanischen Länder gibt es eine hohe Zustimmung zur Demokratie“, sagt Osei. „Das ist ein hohes Gut, das wir nicht unterschätzen sollten.“

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