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Diamant-Hochzeit im Japan-Ambiente

Der 84-jährige Alumnus Volkhard Plonz und seine 80-jährige Ehefrau Erika speisten in der Mensa I – vor 60 Jahren fand dort ihr Hochzeitsessen statt

23.08.2023

Volkhard und Erika Plonz zu Besuch in der Van't-Hoff-Straße 6: Vor 60 Jahren bereitete der Mensakoch ihr Hochzeitsmenü.

Volkhard und Erika Plonz zu Besuch in der Van't-Hoff-Straße 6: Vor 60 Jahren bereitete der Mensakoch ihr Hochzeitsmenü.
Bildquelle: Marion Kuka

Ein sonniger Freitagmittag im August, in der Mensa I in der Van’t-Hoff-Straße ist nicht viel Betrieb. Erika und Volkhard Plonz lassen sich Zeit bei der Speisenauswahl, sie entscheidet sich für Ramen-Nudeln, er nimmt den Kürbisauflauf und einen Obstsalat zum Nachtisch.

Das Paar ist aus Wolfsburg angereist, um hier diamantene Hochzeit zu feiern. Vor fast genau 60 Jahren hatte der Mensakoch ein Hochzeitsmenü zubereitet. „Damals ging es natürlich sehr viel festlicher zu“, sagt der 84-jährige Volkhard Plonz. Die frisch Vermählten, ihre Trauzeugen und Gäste mussten nicht mit dem Tablett in der Schlange stehen, sondern speisten in einem separaten Raum im ersten Stock. „Es gab Steak mit grünen Bohnen und Sauce Béarnaise“, erinnert er sich, „wie wir es uns gewünscht hatten.“

Damals, im August 1963, studierte Volkhard Plonz angewandte Geographie an der Freien Universität und verdiente seinen Lebensunterhalt unter anderemals Hilfskraft in der zehn Jahre zuvor eröffneten Mensa – 1953 hatte die 1948 gegründete Freie Universität einen Neubau für ihre Kantine bekommen. Der Geographiestudent gab Essen am Fließband aus – alle fünf Sekunden eine Portion – und spülte Geschirr. Als die Trauung mit Erika anstand, gab die Belegschaft alles, um dem Paar ein Festmahl zu bereiten.

Ramen-Nudeln, Kürbis-Auflauf, Bionade – Angebot und Ambiente haben sich nach 60 Jahren stark verändert.

Ramen-Nudeln, Kürbis-Auflauf, Bionade – Angebot und Ambiente haben sich nach 60 Jahren stark verändert.
Bildquelle: Marion Kuka

„Die Kollegin aus der Küche hat ihren Garten geplündert, um den Tisch mit Blumen zu dekorieren“, erinnert sich Erika Plonz. Aber auch das entsetzliche Quietschen des Speiseaufzugs ist ihr im Gedächtnis geblieben.

Von außen sei das Gebäude gut wiederzuerkennen, innen habe sich alles verändert. Die neue Einrichtung gefällt ihr ebenso wie die japanisch inspirierten Gerichte. Beide freuen sich darüber, so viele junge Menschen an einem Ort zu sehen. Auch die haben sich verändert: Niemand trägt mehr Anzug, Krawatte oder Kostüm, niemand hat eine Aktentasche dabei.

In der Mensa gab es Königsberger Klopse und Milch in Flaschen

Als Student hat Volkhard Plonz täglich hier gegessen: Esterhazy-Steak, Königberger Klopse oder Buletten, manchmal Milchreis, diverse Nudelgerichte – keine große Auswahl. „Dazu gab es Milch in kleinen Flaschen, wie man hier auf dem Bild sieht.“ Er hält einen Zeitschriftenartikel über die Mensa aus dem Jahr 1963 in der Hand, auf einem Foto ist er als 24-Jähriger während der Essenspause im Kittel zu sehen. Heute steht eine Bionade neben seinem Tablett – Geschmackssorte Johannisbeere-Rosmarin.

„Ich hatte eine Bude im Studentendorf Schlachtensee“, berichtet er. Seine Vorlesungen und Seminare fanden in der Grunewaldstraße 35 statt, wo sich heute das Institut für Theaterwissenschaften befindet.

Um „auf die Rolle zu gehen“ fuhr der Student eines Abends mit dem Bus Richtung Stadtzentrum. Der Sportpalast in Schöneberg, sein eigentliches Ziel, war schon ausverkauft, also ging es weiter zum „Resi“ in der Neuköllner Hasenheide. Das Ballhaus war eine Legende: Es gab dort eine „Wasserorgel“ – bunt beleuchtete Fontänen, die sich im Takt der Musik bewegten –, außerdem Tischtelefone und eine Rohrpostanlage zur Kontaktaufnahme.

Nach der Geburt ihrer Töchter studierte Erika Plonz Englisch und Geographie auf Lehramt und wurde Lehrerin.

Nach der Geburt ihrer Töchter studierte Erika Plonz Englisch und Geographie auf Lehramt und wurde Lehrerin.
Bildquelle: Marion Kuka

„Und da kam ich ins Spiel“, berichtet Erika Plonz. Ihren Volkhard hat sie an diesem Abend tatsächlich durch einen Anruf per Tischtelefon kennengelernt. Die 20-Jährige wohnte in Tempelhof und arbeitete im Wedding beim Pharmaunternehmen Schering in der Auslandsabteilung.

Nach der Hochzeit zog das Paar in eine winzige möblierte Wohnung nahe der U-Bahn Station Onkel Toms Hütte. Als die erste Tochter zur Welt kam, wurde es zu eng, die Suche nach einer neuen Bleibe war schwierig. „Ein Student mit Kind galt damals als asozial“, erinnert sich Volkhard Plonz. Durch Vermittlung eines Kollegen von Erika Plonz gelang es schließlich, im Sanierungsgebiet Briesestraße in Neukölln eine Zwei-Zimmerwohnung zu finden – Altbau, Ofenheizung, gemeinsame Toilette mit den Nachbarn im Treppenhaus.

Später ergatterten die Plonzens eine Wohnung zur Untermiete in Nikolassee. Der Hauptmieter war vorübergehend für die Außenhandelskammer in Brasilien tätig, ließ aber einen Schäferhund zur Betreuung zurück. „Wir hatten einen kleinen Garten“, davon schwärmt Volkhard Plonz heute noch.

Aufbruchstimmung und Sehnsucht nach Veränderung

Den Luxus eines „Studium Generale“ mit Stippvisiten in Vorlesungen über Anatomie oder Ozeanographie, das er zuvor auch drei Semester lang in Kiel genossen hatte, konnte er sich nun nicht mehr leisten. Während seine Frau zu Hause gegen Honorar Examens- und Doktorarbeiten tippte, schloss er sein Studium mit einer Diplomarbeit über die Strukturveränderung des Fremdenverkehrs auf der Insel Fehmarn nach dem Bau der Fehmarn-Sund-Brücke ab.

Von der Aufbruchstimmung und der Sehnsucht nach Veränderungen in der Studierendenschaft hat das Ehepaar trotzdem einiges mitbekommen. „Die Atmosphäre an der Freien Universität war freigeistiger als anderswo“, sagt Volkhard Plonz. „Hier konnte man Dinge äußern und ausleben, mit denen man anderswo stark angeeckt wäre“, ergänzt seine Frau.

In Wuppertal fand der frisch diplomierte Geograph seine erste Anstellung als Referent für Stadtentwicklung.

In Wuppertal fand der frisch diplomierte Geograph seine erste Anstellung als Referent für Stadtentwicklung.
Bildquelle: Marion Kuka

In Wuppertal fand der frisch diplomierte Geograph seine erste Anstellung, die Familie zog mit. „In der späten Nachkriegszeit waren Baudezernenten die Könige der öffentlichen Verwaltung“, berichtet er. „Sie setzten Geld und Muskelkraft in Bewegung, um zerbombte Städte wiederaufzubauen. Das Amt übten typischerweise selbstbewusste Architekten aus, die mehr an Fluchtlinien, Fassaden oder der technischen Infrastruktur interessiert waren als an den subtileren sozialen Bedürfnissen der Bevölkerung. „Als Gegengewicht stellten einige Städte nun Leute wie mich als Referenten für Stadtentwicklung ein.“

Die zweite Tochter kam in Wuppertal zur Welt. Nach Umzug und einem neuen Job als Amtsleiter in Wolfsburg studierte Erika Plonz Englisch und Geographie auf Lehramt in der Nachbarstadt Braunschweig und wurde Lehrerin. „Heute ist Volkwagenstadt Wolfsburg noch immer der geruhsame Lebensmittelpunkt von uns und unserem uralten Kater“, sagt Volkhard Plonz.

Anschließend Kaffee und Kuchen in der Gartenakademie

Als junger Mann hatte Volkhard Plonz „Sehnsucht nach Berlin“. Heute liegt sein „geruhsamer Lebensmittelpunkt“ in Wolfsburg.

Als junger Mann hatte Volkhard Plonz „Sehnsucht nach Berlin“. Heute liegt sein „geruhsamer Lebensmittelpunkt“ in Wolfsburg.
Bildquelle: Marion Kuka

Zum 80. Geburtstag von Mutter Erika organisierten die Töchter eine „Erinnerungstour“ durch Berlin, dabei entstand die Idee für den Besuch der Mensa anlässlich der Diamant-Hochzeit, der nun auch im Bild festgehalten werden muss. „Das Foto geht an unsere Freunde zu Hause, die sich eigentlich auf eine große Feier gefreut haben“, erklärt Volkhard Plonz.

Daraus wird nichts, stattdessen ziehen die Eheleute an diesem Nachmittag weiter in das Café der Königlichen Gartenakademie in der Dahlemer Altensteinstraße: Dort werden sie mit Kaffee und Kuchen von der in Wuppertal geborenen Tochter empfangen, die inzwischen mit ihrer Familie in Berlin lebt und in der Gartenakademie arbeitet.