Bundesaußenminister Steinmeier: Beilegung des Syrien-Konflikts nur mit Russland möglich
Rede an der Freien Universität Berlin aus Anlass der Gründung der Vereinten Nationen vor 70 Jahren
Nr. 321/2015 vom 21.10.2015
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier hat Russland dazu aufgerufen, sich an der Lösung des Syrien-Konflikts mit friedlichen Mitteln zu beteiligen. Das einseitige militärische Eingreifen Moskaus sei kontraproduktiv und habe die Verhandlungen über einem Waffenstillstand zurückgeworfen, sagte Steinmeier am Mittwoch bei einer Rede an der Freien Universität aus Anlass der Gründung der Vereinten Nationen vor 70 Jahren. Russland werde für eine Lösung in Syrien benötigt. Wir brauchen Moskaus Engagement am Verhandlungstisch, an dem alle wesentlichen Kräfte sitzen“, sagte Steinmeier. Auch die Staaten der Region müssten sich an einer Lösung beteiligen, darunter die Türkei, der Iran und Saudi-Arabien. Steinmeier sprach zum Thema „Welt aus den Fugen – Was hält uns zusammen? Die internationale Ordnung 70 Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen.“
Steinmeier würdigte die Gründung der Vereinten Nationen vor 70 Jahren als „wegweisenden Moment für die Menschheit“. Erstaunlich daran sei, dass die Gründung ausgerechnet 1945 gelungen sei. Damals sei die Weltordnung nicht nur aus den Fugen gewesen, sondern habe „in Schutt und Asche“ gelegen, betonte Steinmeier. Auf diesem Tiefpunkt – „auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, über den Gräbern von über 50 Millionen Toten, im schon aufziehenden neuen Winter des Kalten Krieges“ sei es den Gründermüttern und Gründervätern gelungen, ihre Vision von einer friedlicheren Welt in ein neues Fundament von Ordnung zu gießen, und die Charta der Vereinten Nationen sei entstanden. Steinmeier betonte, dies sei „eine ermutigende Botschaft“. Die Vereinten Nationen seien allerdings immer nur so stark, wie die Mitgliedsstaaten sie sein ließen.
Steinmeier unterstrich, das Fundament der Vereinten Nationen trage bis in die Gegenwart, in der „die Welt technologisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich zusammengewachsen“ sei. Auch heute und ungeachtet zahlreicher internationaler Konflikte könne es gelingen, Ordnung zu gestalten, wenn die internationale Staatengemeinschaft kooperiere. „Gewalt sei in verheerenden Konflikten dieser Tage entfesselt“. Als Beispiele nannte er Syrien, Irak, den „ganzen Krisenbogen von Libyen bis Afghanistan“, Konflikte in vielen Teilen Afrikas sowie in der Ukraine. Steinmeier hob hervor, „die die Ballung von Krisen in unserer Zeit, die Flut von furchtbaren Bildern jeden Abend in den Nachrichtensendungen – diese Ballung ist kein Zufall“. Darin entlade sich „die Erosion von bestehender Ordnung, das Ringen um Einfluss, der Kampf um Geltung und Dominanz“.
Steinmeier unterstrich, Diplomatie brauche „strategische Geduld“, doch es gebe Hoffnungszeichen. So sei es gelungen bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm nach zehn Jahren zu einem Abschluss zu kommen. Dieses Abkommen verhindere nicht nur den Griff des Landes nach der Atombombe, es eröffne auch Optionen für eine Ordnung im Mittleren Osten. Auch im Libyen-Konflikt sei es gelungen, die wesentlichen Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bekommen.
Steinmeier betonte, aus historischer Verantwortung sei gerade Deutschland gefordert, für Regeln und Institutionen in der internationalen Ordnung einzutreten. Die Gründung der Vereinten Nationen sei auch eine Antwort der Menschheit „auf die Menschenrechtsverbrechen, die von unserem Land ausgegangen waren“. Deutschland müsse mit seinen Partnern auch Verantwortung übernehmen für Räume, deren Ordnung noch ausstehe. Dies gelte beispielsweise für die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit im Internet. Hier müssten alle Akteure kooperieren: Regierungen ebenso wie beispielsweise Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen. Ein weiteres Beispiel sei für eine solche Herausforderung der Zukunft sei die Klima- und Umweltpolitik. „Wir müssen beim Klimagipfel im Dezember in Paris ein großes Stück vorankommen“, mahnte Steinmeier.
Steinmeier betonte, die Grenzen von Innen- und Außenpolitik verschwämmen zusehends. Nirgendwo werde dies so deutlich „wie im Schicksal von Hunderttausenden, die aus den Krisengebieten dieser Welt fliehen und Zuflucht bei uns suchen“. Steinmeier hob in diesem Zusammenhang hervor, dass über Deutschland „Erfahrungen mit Migration und Integration“ verfüge. Als Beispiele nannte er die Flucht Deutscher nach dem zweiten Weltkrieg, die Integration von Gastarbeitern in den 1960er und 1970er Jahren und die Hilfe für Flüchtlinge während des Jugoslawien-Konflikts. Steinmeier betonte, vor Veränderungen in einer Demokratie müsse niemand Angst haben. „Wir sollten nicht ängstlich sein und schon gar nicht selbstgerecht in der Diskussion, ob unsere Demokratie die Neuankömmlinge aushält.“ Die Frage einer Religionszugehörigkeit dürfe nicht die dominante Frage dafür sein, ob die Integration gelingen könne. Der Außenminister würdigte im Zusammenhang mit der Flüchtlingshilfe das Programm der Freien Universität Berlin. Mit der Initiative Welcome@FUBerlin“ habe die Hochschule ein umfangreiches Paket von Kursen und Angeboten auf den Weg gebracht, um Flüchtlingen eine Eingliederung in Studium und Universität zu ermöglichen, sagte Steinmeier.
Der Präsident der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Peter-André Alt, hob in seinem Grußwort die Präambel der Charta der Vereinten Nationen hervor. Die Gründungsstaaten hätten darin ihre Entschlossenheit dokumentiert, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren.“ Auch wenn dieses Ziel bis heute nicht erreicht worden sei, hätten die Vereinten Nationen doch zahlreiche Konflikte verhindert oder durch Verhandlungen frühzeitig beendet. Alt betonte, die Vereinten Nationen trügen zur Bewältigung vieler weiterer Probleme bei. Als Beispiele nannte er neben der Friedenssicherung die Armutsbekämpfung, das Eintreten für die Einhaltung der Menschenrechte sowie das Engagement für nachhaltige Entwicklung, globalen Umweltschutz, die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die Hilfe für Flüchtlinge.
Alt unterstrich, die Freie Universität sei nur wenige Jahre jünger als die Vereinten Nationen. Mit ihrer Gründungsidee von Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit stehe sie „für ein liberales Deutschland in einem weltoffenen Europa.“ Die Freie Universität sei – nach dem Beispiel angloamerikanischer Campusmodelle – als eine Hochschule entstanden, „in der demokratische Partizipation, Dialogkultur und Gemeinschaftsgefühl maßgebliche Elemente einer selbstbewussten Institution bildeten.“ Heute seien der Ausbau des internationalen Profils und die Kooperation mit führenden Wissenschaftseinrichtungen weltweit wichtige Schwerpunkte des Zukunftskonzepts der Hochschule, hob Alt hervor. In den politik- und sozialwissenschaftlichen Fächern, Sonderforschungsbereichen, Graduiertenschulen sowie anderen Einrichtungen und Programmen der Freien Universität werde „außenpolitische Kompetenz“ in Forschung und Lehre vielfach gefördert, sagte Alt.
Steinmeier kam auf Einladung der Freien Universität Berlin, deren Universitätsbibliothek seit 1956 United Nations Depository Library ist und die seit 1963 den Status eines Europäischen Dokumentationszentrums (EDZ) hat. Das Dokumentationszentrum gehört damit zum Informationsnetz der Europäischen Union und zum weltweiten System der Depotbibliotheken der Vereinten Nationen. EDZ und UN-Depotbibliothek unterstützen Forschung, Lehre und Studium an der Freien Universität Berlin zu Themen der europäischen Integration und der internationalen Gemeinschaft und Politik. Sie tragen darüber hinaus dazu bei, Institutionen und Tätigkeitsfelder der Vereinten Nationen und der Europäischen Union in der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Das Dokumentationszentrum sammelt und erschließt die Veröffentlichungen und Dokumente der Europäischen Union und der Vereinten Nationen, ergänzend und in Auswahl auch Veröffentlichungen der UN-Sonderorganisationen, des Europarats und anderer internationaler Organisationen. Es verfügt über eine der umfangreichsten Sammlungen an Primärliteratur der Vereinten Nationen und der Europäischen Union in der Region.
Pressefotos
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier an der Freien Universität Berlin
Quelle: Bernd Wannenmacher
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier an der Freien Universität Berlin
Quelle: Bernd Wannenmacher
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier und Professor Dr. Thomas Risse während der Diskussion mit Studierenden und Besuchern an der Freien Universität Berlin.
Quelle: Bernd Wannenmacher
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