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Süße Revanche

Deutsche und niederländische Wissenschaftler entdecken neue Form von Pflanzennektar, die dem „Bittersüßen Nachtschatten“ zur Abwehr von Fraßfeinden dient

Nr. 128/2016 vom 25.04.2016

Wird der Bittersüße Nachtschatten (Solanum dulcamara) von Fraßfeinden angefressen, gibt die Pflanze direkt aus den Wunden einen Nektar ab, der Ameisen anlockt und sie vor weiterem Fraßschaden schützt. Dies haben Wissenschaftler der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit niederländischen Wissenschaftlern der Radboud Universität in Nijmegen entdeckt. „Das Besondere ist, dass der Bittersüße Nachtschatten eine Pflanze ohne sogenannte Nektarien ist, also keine Saftdrüsen besitzt, die speziell zu diesem Zweck dienen“, erklärt Prof. Dr. Anke Steppuhn von der Freien Universität, die die Studie leitet. Bei dem Nektar des Bittersüßen Nachtschattens handele es sich darüber hinaus nicht um den Pflanzensaft der Leitungsbahnen, sondern um fast reine Zuckerlösung, wie unter Mitwirkung von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für molekulare Pflanzenphysiologie in Golm gezeigt werden konnte. Die Studie der Wissenschaftler wurde in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins Nature Plants veröffentlicht.

„Pflanzen sind ihren Schädlingen nicht so wehrlos ausgeliefert wie häufig vermutet“, erläutert Anke Steppuhn. Manche Arten schützen sich etwa mit Dornen oder Giften oder, indem sie Räubern anlocken, die wiederum die Schädlinge angreifen. Manche Pflanzen besitzen zu diesem Zweck Saftdrüsen (Nektarien), die Nektar abgeben und so Ameisen als „Leibwächter“ anlocken. „Der Bittersüße Nachtschatten besitzt jedoch keine solchen Nektarien, und kann sich dennoch auf diese Weise verteidigen“, sagt die Biologin.

Der Bittersüße Nachtschatten ist ein in Europa heimischer Verwandter der Kartoffel und der Tomate. Er ist weitverbreitet und kommt an verschiedensten vornehmlich lichtreichen und wassernahen Standorten vor. Dennoch entdeckten Wissenschaftler erst jetzt, dass diese Pflanze Ameisen zur Verteidigung gegen ihre Fraßfeinde anlockt und zwar genau so, wie es nur für Pflanzen mit Nektarien bekannt war.

In Gewächshäusern beobachten die Wissenschaftler Tropfen, die aus den Wundrändern an Blättern, Blattstielen oder Stengeln des Bittersüßen Nachtschatten traten, wenn dieser durch verschiedene Pflanzenfresser beschädigt wurde. Chemische Analysen zeigten, dass diese Tropfen sich deutlich von dem Pflanzensaft in den Leitungsbahnen der Pflanzen unterscheidet und fast ausschließlich Zucker enthält. Erste Experimente bewiesen dann, dass diese süßen Tropfen Ameisen anlocken. In einer Feldstudie und weiteren Gewächshausversuchen konnte die Wissenschaftler dann belegen, dass die Ameisen – im Gegenzug für die süße Mahlzeit – die Pflanze gegen zwei ihrer größten Fraßfeinde verteidigen: Flohkäferlarven und Schnecken.

Wenn die Flohkäfer im Frühling aus dem Winterschlaf erwachen und anfangen an den jungen Blättern zu fressen, beginnt der Bittersüße Nachtschatten mit seinem Wundnektar seine Beschützer anzulocken. Die erwachsenen Käfer sind mit ihrem harten Panzer gut gegen die Ameisen geschützt und haben nichts zu befürchten. Aber sie legen ihre Eier in die Erde, und die jungen Käferlarven müssen an der rankenden Pflanze bis zu den jungen Stängeln hinaufklettern, in denen sie sich entwickeln. Sie sind eine leichte Beute für die Ameisen, welche dafür sorgen, dass es viel weniger Larven schaffen, sich in die Stängel zu bohren. Zusätzlich fanden die Berliner Wissenschaftler heraus, dass die Ameisen auch gefräßige Nacktschnecken angreifen.

Bei Pflanzen mit oft gut sichtbaren Nektarien außerhalb der Blüte ist die Abwehr von Fraßfeinden durch die Anlockung räuberischer Insekten bereits gut erforscht. Am Beispiel des Bittersüßen Nachtschattens wird nun deutlich, dass auch Pflanzen ohne solche Nektarien diese Form der Abwehr nutzen können. „Die Pflanze kontrolliert die Menge und Zusammensetzung des Wundnektars ähnlich wie Pflanzen mit Nektarien“, sagt Anke Steppuhn. Diese Erkenntnis könne dazu beitragen, die riesige Vielfalt an Nektarien und deren Verbreitung in unterschiedlichsten Pflanzenfamilien zu erklären. „Die weitläufige Auffassung, dass Nektar notwendiger Weise von speziellen Organen produziert wird, war nur schwer mit der Erkenntnis zu vereinbaren, dass diese Nektarien in den verschiedenen Pflanzen neu entstanden sein müssen“, erläutert Anke Steppuhn. Der wahrscheinlich sehr einfache Mechanismus eines Wundnektars könnte also einen Übergang zwischen nektarlosen und nektarproduzierenden Pflanzen markieren. „Es ist durchaus möglich, dass ein solcher Wundnektar im Pflanzenreich weit verbreitet ist und bislang schlichtweg übersehen wurde“, so Anke Steppuhn.

Pressefotos

Schwarze Wegameisen (Lasius niger) fressen den Wundnektar des Bittersüßen Nachtschattens (Solanum dulcamara)
Quelle: Tobias Lortzing

Rote Wegameisen (Myrmica rubra) sammeln den Wundnektar an einem Blatt des Bittersüßen Nachtschattens (Solanum dulcamara)
Quelle: Tobias Lortzing

Die Fotos stehen Medienvertretern zum Download zur Verfügung und sind bei Verwendung im Kontext der Pressemitteilung und Nennung der Quelle „Tobias Lortzing“ honorarfrei.

Die Publikation

Lortzing, T., Calf, O.W., Böhlke, M., Schwachtje, J., Kopka, J., Geuss D., Kosanke, S. van Dam, N.M. and Steppuhn*, A. (2016): „Extrafloral nectar secretion from wounds of Solanum dulcamara“, in: Nature Plants. Doi: 10.1038/NPLANTS.2016.56

Kontakt

Prof. Dr. Anke Steppuhn, Institut für Biologie der Freien Universität Berlin,
Telefon: 030 / 838-56586, E-Mail: a.steppuhn@fu-berlin.de