Springe direkt zu Inhalt

EM-Prognose: Ausgang besonders ungewiss, DFB-Elf ist Top-Favorit

Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der Freien Universität Berlin und der Universität Gießen prognostizieren möglichen Verlauf des Turniers auf Grundlage der „Marktwertmethode“

Nr. 200/2016 vom 09.06.2016

Der Ausgang der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich ist einer Prognose von Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin, der Universität Gießen und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, zufolge besonders ungewiss. Wie die Professoren Jürgen Gerhards, Michael Mutz und Gert G. Wagner auf Grundlage der Marktwertmethode für die nominierten Spieler aller 24 Team-Kader des Turniers berechneten, hat aber ein Finale zwischen Deutschland mit dem höchsten Marktwert von 562 Millionen Euro und Spanien (558 Millionen Euro) die höchste Wahrscheinlichkeit. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich im 1. Halbfinale Weltmeister Deutschland gegen Frankreich (Marktwert 487 Millionen Euro) durchsetzt und im 2. Halbfinale Europameister Spanien mit einem Sieg gegen England (477). Die Prognose basiert auf Daten der Website www.transfermarkt.de, die von Fußballfans und -profis betrieben wird. Die Wissenschaftler berücksichtigten in ihrer Vorhersage den Ausfall von Antonio Rüdiger im Team des DFB am Dienstag und die Nachnominierung von Jonathan Tah; dies änderte den Kaderwert der deutschen Mannschaft nicht, da Tah denselben Wert hat wie Rüdiger. Die Europameisterschaft findet vom 10. Juni bis 10. Juli 2016 statt.

Als Sieger und Zweitplatzierte der Gruppen halten die Wissenschaftler in Gruppe A Frankreich und die Schweiz (Marktwert 173 Millionen) für wahrscheinlich, in Gruppe B wären es England und Wales (170), in Gruppe C Deutschland und Polen (175), in Gruppe D Spanien und Kroatien (272), in Gruppe E Belgien (461) und Italien (272) und in Gruppe F Portugal (322) und Österreich (128). Als die vier besten Drittplatzierten qualifizieren sich sich der Prognose zufolge außerdem für das Achtelfinale die Türkei (186), Russland (136), die Ukraine (129) und Irland (89). Nach der Vorrunde werden den Berechnungen nach die acht Teams mit den geringsten Marktwerten aller Mannschaften ausscheiden. Es sind Schweden (87), die Slowakei (84), die Tschechische Republik (64), Rumänien (55), Albanien (46), Island (42), Nordirland (36) und Ungarn (27).

In der Gruppenphase, in der die Unterschiede zwischen den Marktwerten der Mannschaften sehr ausgeprägt sind –, etwa wenn Albanien mit einem Kaderwert von 46 Millionen Euro auf Frankreich mit 487 Millionen Euro trifft –, ist den Wissenschaftlern zufolge zu erwarten, dass sich die traditionell starken Mannschaften in ihren jeweiligen Gruppen durchsetzen. Spätestens ab dem Viertelfinale wird es nach der Prognose aber richtig spannend. Ein klarer Titelfavorit lasse sich dann nicht mehr identifizieren. Deutschland wird in Frankreich mit einem Mannschaftswert von 562 Millionen Euro antreten. Trotz des Ausfalls von Marco Reus, dessen Transferwert allein auf 45 Millionen Euro geschätzt wird, stellt der DFB das teuerste Team. Der Vorsprung auf die anderen favorisierten Teams sei allerdings sehr knapp: Die von Trainer Vicente del Bosque nominierten 23 spanischen Spieler bringen es demnach auf einen Kader-Transferwert von etwa 558 Millionen Euro. Aber auch auf den Folgerängen liegen mit Frankreich (487 Millionen), England (477) und Belgien (461) „hochwertige“ Teams, wie die Wissenschaftler hervorhoben.

Was die Europameisterschaft in Frankreich von den letzten WM- und EM-Turnieren unterscheidet, ist der Studie zufolge die Tatsache, dass der Abstand zwischen den Kaderwerten der Top-Teams stark geschmolzen ist. Dies gelte vor allem für die Relation zwischen Deutschland und Spanien; der Abstand zwischen beiden Teams sei deutlich geringer als in den Vorjahren. Neben Deutschland habe vor allem Belgien im Zeitverlauf enorm zugelegt, konstatierten die Forscher. Zahlreiche Spieler aus diesem Team hätten den Sprung in die absolute Weltspitze geschafft und würden bei einem Vereinswechsel für entsprechend hohe Transfersummen sorgen.

Mithilfe der Marktwertmethode hatten die drei Wissenschaftler erstmals bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland versucht, die Siegermannschaft vorauszusagen. Sie wandten dieses Verfahren auch bei den Weltmeisterschaften 2010 und 2014 sowie bei den Europameisterschaften 2008 und 2012 an. Tatsächlich wurden 2006 und 2010 die Teams mit den höchsten Marktwerten Weltmeister – Italien und Spanien; im Jahr 2014 gewann das DFB-Team mit dem zweitteuersten Kader. Bei den Europameisterschaften 2008 und 2012 sicherte sich Spanien den Titel – jeweils mit dem wertvollsten Team.

Im Unterschied zu vielen anderen, manchmal recht komplizierten Prognosemodellen ist die Marktwertmethode nach Einschätzung der drei Wissenschaftler verblüffend einfach. „Ein transparenter und öffentlich verfügbarer Indikator, mit dem sich die Leistungsfähigkeit eines Fußballers gut nachbilden lässt, ist sein Marktwert“, betont Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Gert G. Wagner. Fußballspieler stünden heutzutage unter Dauerbeobachtung durch Spielervermittler, Talentscouts, Sportmanager, Trainer und zahlreiche andere Experten, die das Leistungspotenzial der Spieler kontinuierlich bewerteten. Diese Leistungseinschätzungen fänden ihren Ausdruck im Transferwert des Spielers auf dem Spielermarkt. „Der Preis des Spielers offenbart, welche aktuelle, aber insbesondere welche zukünftige Leistung man von ihm erwartet.“

„Genauso wie der Marktwert das sportliche Leistungspotenzial eines einzelnen Fußballers spiegelt, lässt sich auch die Leistungsstärke der gesamten Mannschaft an ihrem Marktwert ablesen“, konstatiert Soziologie-Professor Jürgen Gerhards von der Freien Universität Berlin, „der Mannschaftsmarktwert ist die Summe der Marktwerte aller Einzelspieler. Entsprechend gehen wir davon aus, dass die teuerste Mannschaft auch die potenziell spielstärkste Turniermannschaft ist und deshalb die höchste Wahrscheinlichkeit besitzt, das Turnier zu gewinnen.“ Diese Prognosemethode habe sich nicht nur bei den letzten WM- und EM-Turnieren gut bewährt. „Besonders deutlich wird die Prognosekraft der Marktwertmethode im Ligafußball, wo der Meistertitel in den europäischen Top-Ligen in der Regel unter den teuersten Mannschaften ausgespielt wird“, unterstreicht Sportsoziologe Prof. Dr. Michael Mutz von der Universität Gießen. „Auch in der Bundesliga ist in den vergangenen Jahren zunehmend Langeweile eingekehrt, weil der vermögende FC Bayern der Konkurrenz weit enteilt ist.“ Im Gegensatz dazu sei bei der bevorstehenden Europameisterschaft Spannung garantiert. „Unser Vergleich der Teams zeigt, dass viele Top-Mannschaften im Hinblick auf ihre Marktwerte auf gleicher Höhe liegen und damit das Potenzial haben, den Titel zu holen.“

Jürgen Gerhards ist Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin. Michael Mutz ist Professor für Sportsoziologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Gert G. Wagner ist Professor an der Technischen Universität Berlin und Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Die drei Autoren haben schon mehrfach Prognosen über den Ausgang von Fußballturnieren und Fußballligen publiziert.

Im Internet

Grafik 1: Marktwerte der Kader aller 24 EM-Teilnehmer

Quelle: www.transfermarkt.de, Stand: 6. Juni 2016

Grafik 2: Wertentwicklung der Kader der vier „heißesten“ Turnierfavoriten, 2010–2016

Quelle: www.transfermarkt.de, Stand: 6. Juni 2016

Grafik 3: Möglicher Turnierverlauf nach der Gruppenphase

Quelle: www.transfermarkt.de, Stand: 6. Juni 2016

Die Gafiken stehen Medienvertretern zum Download zur Verfügung. Sie sind bei Verwendung im Kontext der Pressemitteilung und Angabe der Quelle honorarfrei.