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Mehr Energie aus der Sonne gewinnen

Wissenschaftler der Freien Universität und der University of Cambridge veröffentlichen in renommierter Fachzeitschrift Nature Physics eine Studie über Möglichkeiten zur Erhöhung des Wirkungsgrades der Solarenergie-Erzeugung

Nr. 370/2016 vom 31.10.2016

Wissenschaftler der Freien Universität Berlin und der University of Cambridge haben einen vielversprechenden Weg zur Effizienzsteigerung bei der Gewinnung von Solarenergie erforscht. Dem Team um die Professoren Jan Behrends und Robert Bittl vom Fachbereich Physik der Freien Universität und Leah Weiss, Dr. Akshay Rao und Professor Neil Greenham von der University of Cambridge gelang es, durch eine sogenannte Singulett-Spaltung erzeugte Anregungszustände in organischen Halbleitern zu untersuchen. Die Wissenschaftler nutzen eine Kombination aus Laserlicht, Mikrowellen und magnetischen Feldern; sie konnten damit Eigendreh-Impulse (engl. Spin) der Anregungszustände analysieren, die in durch Licht angeregten Molekülsystemen auftreten. Die Ergebnisse wurden in der Online-Ausgabe der renommierten Zeitschrift Nature Physics veröffentlicht.

Weltweit versuchen Forscher, den Prozess der Singulett-Spaltung zu verstehen mit dem Ziel, Sonnenlicht effizienter in elektrische Energie umwandeln zu können. Materialien, in denen Singulett-Spaltung in Solarzellen auftritt, könnten den Wirkungsgrad der Solarenergiegewinnung in der Zukunft deutlich steigern. Hierfür muss der Prozess aber besser verstanden werden, um die Materialien zu optimieren und für die Energiegewinnung von Solarenergie einsetzen zu können.

In den meisten existierenden Solarzellen wird das Licht durch Halbleitermaterialien wie Silizium absorbiert. Dabei erzeugt ein Lichtteilchen (Photon) einen Anregungszustand im Material, der zur Erhöhung der Beweglichkeit eines Elektrons führt und dem Elektron genügend Energie überträgt um die Solarzelle zu verlassen und schließlich als elektrischer Strom genutzt zu werden.

In bestimmten Materialien erzeugt ein Photon ein sogenanntes Singulett-Exziton, das sich spontan in zwei neue Anregungszustände (Exzitonen) aufspaltet, die zusammen die gleiche Energie tragen wie das ursprüngliche Singulett-Exziton, aber jedes einen anderen Spin besitzt, also unterschiedliche Eigendreh-Impulse. Diese sogenannten angeregten Triplett-Exzitonen können auf andere Moleküle übergehen, durch das Material wandern und im Idealfall jeweils ein bewegliches Elektron und somit elektrischen Strom erzeugen.

Dieser Spaltungsprozess des nach der Lichtaufnahme erzeugten Singulett-Exzitons in zwei Triplett-Exzitonen wird als Singulett-Spaltung bezeichnet. Für Wissenschaftler, die sich die Umwandlung von mehr Solarenergie in elektrische Energie zum Ziel gesetzt haben, bedeutet dieser Prozess ein „Zwei-für-eins-Geschäft“ bei der Stromerzeugung, wenn man das Verhältnis zum absorbierten Licht betrachtet. Falls es also gelingt, Materialien, in denen Singulett-Spaltung auftritt, in Solarzellen zu integrieren, wird eine effizientere Energieumwandlung von Sonnenlicht möglich.

Die technische Umsetzung des Konzeptes ist allerdings komplex: Eine Herausforderung besteht in der sehr kurzen Lebensdauer der Triplett-Exzitonen-Paare von nur einem Sekundenbruchteil. Innerhalb dieser Zeit müssen die Triplett-Exzitonen weit genug voneinander entfernt werden, um nicht der Triplett-Triplett-Annihilation – also einem Umkehrprozess zur Singulett-Spaltung – zum Opfer zu fallen. Dabei hängt ihre Lebensdauer von ihrem Gesamt-Spin ab, also von der unterschiedlichen Ausrichtung ihrer Eigendrehimpulse. Die Beobachtung ihres Spin-Zustands, beginnend mit der Erzeugung des Triplett-Paars bis zu ihrem Zerfall, ist eine wichtige Voraussetzung, um in einem weiteren Schritt die Energie der Triplett-Zustände in elektrischen Strom umzusetzen.

In ihrer Studie setzten die Forscher der Freien Universität Berlin und der University of Cambridge eine Methode ein, die die Messung des Spin-Zustands im Zeitverlauf erlaubt. Sei griffen dabei auf die Elektronen-Spin-Resonanz-Spektroskopie (ESR) zurück. Diese vor 60 Jahren entdeckte Methode wird mit fortschreitender Verbesserung genutzt, um den Spin als wichtige Beobachtungsgröße für eine Vielzahl von Phänomen experimentell zugänglich zu machen.

Dabei wird das zu untersuchende Material in einem großen Elektromagneten platziert. Die Moleküle der Probe werden mit Laserlicht angeregt, und es wird ihre Mikrowellenabsorption gemessen; diese liefert Aufschluss über die Zeitentwicklung des Spin-Zustands. Für den Singulett-Spaltungsprozess ist die Technik von besonderer Bedeutung, da die entstehenden Triplett-Zustände für andere Techniken nur sehr schlecht sichtbar sind.

Da der Spin der Anregungszustände mit dem Magnetfeld und der Mikrowellenstrahlung wechselwirkt, kann diese Wechselwirkung als zusätzliche Informationsquelle über die Entwicklung der Triplett-Exzitonen nach ihrer Erzeugung herangezogen werden und erlaubt zudem die Manipulation des Spinzustandes. Diese Möglichkeit der Spin-Manipulation setzten die Forscher in der neuen Studie erfolgreich um.

Die Untersuchungen wurden von Dr. Akshay Rao, Research Associate am St. John’s College, University of Cambridge, Professor Neil Greenham vom Department of Physics, University of Cambridge, und Professor Jan Behrends vom Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin geleitet.

Leah Weiss, Gates-Cambridge Scholar und Physik-Doktorandin am Trinity College, Cambridge, ist Erstautorin des Artikels. „Diese Forschungsarbeit wirft viele neue und interessante Fragen auf“, sagt sie. „Bisher ist noch unklar, wodurch bestimmt wird, ob sich die Anregungszustände trennen oder paarweise zusammen bleiben. Fragen dieser Art werden Gegenstand künftiger Forschungsaktivitäten sein.“

Den Forschern war es möglich, die Spinzustände der Triplett-Exzitonen detailliert zu untersuchen. Sie beobachteten sowohl schwach als auch stark gekoppelte Spinzustände. Diese Beobachtung weist auf eine Koexistenz von unterschiedlichen Paaren hin, die räumlich nah beieinander liegen oder weiter entfernt sind. Interessant war für die Forscher, dass sie auch stark gekoppelte Zustände noch einige Mikrosekunden nach deren Erzeugung messen konnten. Bisher waren sie davon ausgegangen, dass die Lebensdauern dieser Zustände viel kürzer sind.

„Die Beobachtung dieser stark gekoppelten Paare war gänzlich unerwartet“, betont Leah Weiss. „Wir vermuten, dass sie durch ihren Spinzustand ;geschützt‘ sein könnten und sie deshalb weniger schnell zerfallen. Folgearbeiten werden sich auf die Herstellung von elektronischen Bauelementen und die Untersuchung der Nutzbarkeit der hier gefundenen Zustände in Solarzellen konzentrieren.“

Professor Behrends von der Freien Universität Berlin unterstreicht: „Diese internationale Zusammenarbeit zeigt eindrucksvoll, dass die Kombination der Expertise von Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fachgebieten interessante und neue Einblicke in einem außerordentlich wichtigen Forschungsfeld ermöglicht. Künftige Studien werden zum Ziel haben, die hier beobachteten stark gekoppelten Paare effektiv aufzuspalten, um die Effizienz von Solarzellen, die Singulett-Aufspaltung nutzen, weiter zu erhöhen.“

Auch über die Photovoltaik hinaus eröffnet diese Arbeit nach Einschätzung der Forscher neue Möglichkeiten. So können die hier gewonnenen Erkenntnisse hilfreich bei der Entwicklung schneller und effizienter elektronischer Bauelemente sein, die die Spin-Eigenschaften in geschickter Weise ausnutzen; es handelt sich um sogenannte „Spintronik“-Bauelemente. Auch hierbei ist die Möglichkeit der Messung und Kontrolle von Spin-Zuständen von entscheidender Bedeutung.

Die aktuelle Forschungsarbeit wurde unterstützt vom UK Engineering and Physical Sciences Research Council (EPSRC) sowie von der Freien Universität Berlin im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder. Jan Behrends leitet an der Freien Universität und am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie eine Nachwuchsgruppe, die aus Exzellenzmitteln finanziert wird. Leah Weiss und ihr Kollege Sam Bayliss führten die spektroskopischen Messungen in den Laboren des Berlin Joint EPR Labs von Professor Jan Behrends und Professor Robert Bittl an der Freien Universität Berlin durch. Die Arbeit ist außerdem Teil der „Cambridge initiative to connect fundamental physics research with global energy and environmental challenges“ (Cambridge-Initiative zur Vernetzung physikalischer Grundlagenforschung mit globalen Energie- und Umweltherausforderungen), unterstützt durch das „Winton Programme for the Physics of Sustainability“ (Winton-Programm für nachhaltige Physik).

Weitere Informationen

  • Prof. Dr. Jan Behrends, Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-54266, E-Mail j.behrends@fu-berlin.de
  • Prof. Dr. Robert Bittl, Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin, Telefon 030 / 838-56049, E-Mail: Robert.Bittl@fu-berlin.de

Im Internet

www.nature.com/nphys/journal/vaop/ncurrent/full/nphys3908.html